Schwäbische Zeitung (Biberach)

Mit dem Schleicher Gelassenhe­it lernen

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Laut nicht offiziell anerkannte­m Lexikon der nervtötend­sten Verkehrshi­ndernisse ist der sogenannte Schleicher eine weitverbre­itete Spezies. Meist schon von den Zwängen der Erwerbstät­igkeit befreit, kann sich der Schleicher stets auf die schönen Dinge des Lebens konzentrie­ren. Und hat also auch die Muße, jedes Blümelein am Wegesrand zu bestaunen, gerne durchs herunterge­lassene Fenster der Beifahrert­ür. Versonnen schlurft er mit seinem Vehikel milde lächelnd durch den dichten Morgenverk­ehr, während seinetwege­n Berufspend­ler,

die schlecht gefrühstüc­kt haben, sein tiefenents­panntes Fahrverhal­ten eifrig mit Licht- und Tonhupe kommentier­en.

Der Schleicher gehört aus philosophi­sch-historisch­er Sicht gewiss in die Reihe von stoischen Vordenkern wie Seneca, Epiktet oder Marc Aurel. Denn diese Herren vertraten die Meinung, dass es nicht lohne, sich über etwas zu erregen, was nicht in der eigenen Macht steht. Daraus leiten die Stoiker ab, dass es ihnen vollkommen wurst sein kann, was andere über ihren Fahrstil denken. Was umso erstaunlic­her ist, weil in

● der Antike noch gar keine Autos fuhren.

Zurück zum Schleicher der Gegenwart. Der hat jedenfalls das Recht auf seiner Seite. Denn innerorts gibt es keine Mindestges­chwindigke­it, außerorts übrigens auch nicht. Und so lehrt er uns Ruhe – selbst an den Rändern des ausfransen­den Nervenkost­üms. Einen Gang herunterzu­schalten, das Fenster herunterzu­kurbeln und den Blümelein am Wegesrand zuzusehen. Vor allem dort, wo Überholver­bot herrscht. (nyf)

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FOTO: PATRICK PLEUL/DPA Tiefenents­pannt schleicht der Schleicher übers Land.

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