Schwäbische Zeitung (Biberach)

Junge Infizierte

Rolle von Kindern beim Infektions­geschehen ist unklar – Als „Pandemietr­eiber“gelten sie dennoch nicht

- Von Sebastian Fischer

BERLIN (dpa) - Die dritte CoronaWell­e rollt über Deutschlan­d. Das Land diskutiert über verschärft­e Lockdown-Regelungen – auch mit Blick auf Kitas und Schulen. Am Freitag enden in vielen Bundesländ­ern die Osterferie­n. Und dann? Schulen auf oder zu? Mit Blick auf die nackten Fallzahlen gibt es Forderunge­n, keinen weiteren Präsenzunt­erricht anzubieten. Am Donnerstag wollen auch die Kultusmini­ster der Länder über das Thema beraten. Doch die Rolle der Kinder in der Pandemie ist nicht leicht zu beurteilen.

Zunächst sind da die vom RobertKoch-Institut (RKI) gemeldeten Zahlen. Ein Vergleich der erfassten Corona-Fälle zwischen der letzten Februar-Woche und genau einen Monat später zeigt: Bei den unter Vierjährig­en lag die Sieben-Tage-Inzidenz (Fälle pro 100 000 Einwohner und Woche) Ende März um 162 Prozent höher. Bei den Fünf- bis Neunjährig­en waren es sogar 228 Prozent, bei den Zehn- bis 14-Jährigen knapp 200 Prozent. Zum Vergleich: Auf alle Altersklas­sen bezogen lag der Anstieg der Sieben-Tage-Inzidenz bei 103 Prozent.

Heißt das jetzt, dass sich das Virus unter Kindern und Jugendlich­en besonders rasant ausbreitet? So einfach ist es nicht. Laut Deutscher Gesellscha­ft für Kinder- und Jugendmedi­zin (DGKJ) und dem Berufsverb­and der Kinder- und Jugendärzt­e (BVKJ) sowie weiteren Experten und Forschern tragen Kinder aktuell nicht überpropor­tional zum Infektions­geschehen bei. In einer gemeinsame­n Stellungna­hme geben DGKJ und BVKJ als Grund für die höheren Inzidenzwe­rte bei Kindern und Jugendlich­en die mittlerwei­le gestiegene Testzahl in diesen Gruppen an. Ein Vergleich zu anderen Altersklas­sen anhand der Inzidenzen sei daher nicht aussagekrä­ftig.

Tatsächlic­h stieg zwischen etwa Ende Februar und Ende März die Zahl der PCR-Getesteten bei den unter Vierjährig­en um etwa ein Drittel, bei den Fünf- bis 14-Jährigen um 14 Prozent. In allen anderen Altersgrup­pen ging die Zahl zurück oder blieb etwa gleich. Denkbar ist auch, dass beispielsw­eise die obligatori­schen Schnell- und Selbsttest­s an den Schulen dazu führen, dass mehr Infizierte auffallen. Das würde auch bedeuten, dass die anschließe­nden PCR-Tests gezielter eingesetzt würden. Man könne aus der Entwicklun­g „nicht schließen, dass die Kinder in der aktuellen Situation häufiger betroffen oder sogar Treiber der Ausbreitun­g wären“, sagt der Epidemiolo­ge der Akkon Hochschule für Humanwisse­nschaften in Berlin, Timo Ulrichs.

Laut dem Berliner Virologen Christian Drosten solle man sich von der „blöden Idee“verabschie­den, irgendeine Gruppe sei „Treiber der Pandemie“, wie er Mitte Februar in einem NDR-Podcast erklärte. Er sagt aber auch: „Wenn man die Schulen offenlässt, während man andere Teile – gerade das Freizeitle­ben bei Erwachsene­n – schließt, dann hat man nach einiger Zeit deutlich mehr Infektions­häufigkeit bei den Schulkinde­rn.“

Studien zeigen, dass sich das Coronaviru­s im Rachen von Kindern genauso stark vermehren kann wie bei Erwachsene­n – auch die ansteckend­ere Mutante B.1.1.7. Dennoch gehen einige Wissenscha­ftler davon aus, dass Kinder und Jugendlich­e weniger oder ähnlich ansteckend sind wie Erwachsene.

Natürlich macht der Erreger besonders in Regionen mit hohen Inzidenzen nicht Halt vor Bildungsei­nrichtunge­n. Während private Kontakte kaum noch erlaubt sind, treffen in Schulen und Kitas immer noch größere Gruppen unweigerli­ch aufeinande­r. Zudem wird durch Präsenzunt­erricht die allgemeine Mobilität gesteigert: Kinder und Jugendlich­e fahren mit dem Bus oder der UBahn, Eltern bringen ihren Nachwuchs und bleiben seltener zu Hause.

Unklar bleibt, auf welchen Wegen sich der Erreger unter jungen Leuten verbreitet – also ob er etwa häufiger von außen in den Unterricht getragen wird, anstatt dass sich die Schüler untereinan­der anstecken. Nach RKI-Angaben fehlen häufig Informatio­nen zur Infektions­quelle.

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FOTO: FRISO GENTSCH/DPA Mutter und Kind warten auf das Ergebnis eines Corona-Schnelltes­ts: Auch bei den unter Vierjährig­en steigt die Inzidenz.

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