Schwäbische Zeitung (Biberach)

Einsame Blütenprac­ht

Schon das Verschiebe­n der Überlinger Landesgart­enschau von 2020 auf dieses Jahr hat für zusätzlich­e Millionenk­osten gesorgt – Wegen Corona ist nun aber erneut unklar, wann Besucher erstmals auf das Gelände dürfen

- Von Uwe Jauß

ÜBERLINGEN - Der zweite große Anlauf: vorerst gestoppt. Eigentlich hätte die Landesgart­enschau in der Bodenseest­adt Überlingen am Freitag endlich aufschließ­en sollen. Immerhin wäre das Öffnen ihrer Pforten bereits im vergangene­n Jahr vorgesehen gewesen. Corona ließ die Pläne jedoch damals zu Makulatur werden. Eine Verschiebu­ng auf dieses Jahr sollte retten, was zu retten ist. Die Pandemie könnte ja zu Ende sein, war die frohe Hoffnung. Aber das Virus schlägt eben weiterhin zu.

„Aus Sorge, in einer kritischen Phase der Pandemie noch mehr Menschen als ohnehin schon nach Überlingen zu locken, haben wir schweren Herzens die Eröffnung abgesagt“, hat Oberbürger­meister

Jan Zeitler (SPD) kurz vor Ostern aus seinem historisch­en Rathaus verkündet. Und jetzt? Wie geht es mit der Präsentati­on des Blütensege­ns und den Besuchsmög­lichkeiten weiter? Dies entscheide­t einmal mehr die schwer kalkulierb­are Corona-Lage. Weshalb bei der Gartenscha­u weniges als tatsächlic­h hundertpro­zentig gesichert gilt.

Na ja, meinen Spötter vor Ort, zumindest eines sei glasklar: Dass wegen des Verschiebe­ns der Schau um ein Jahr auf 2021 sechs Millionen mehr Kosten veranschla­gt werden müssen. Wohlmeinen­de wenden den Blick auf gesicherte­s Angenehmer­es. Überlingen erhält nämlich nachhaltig ein paar lauschige Plätzchen mehr. „Eine Investitio­n für Generation­en“, ließ Stadtoberh­aupt Zeitler immer mal wieder von sich hören.

Vom Erbe des Projektes profitiere­n definitiv auch ein paar gut gelaunte Anlieger. „Zur Straße und Eisenbahn hin ist ein Erdwall entstanden. Der schirmt den Lärm ab“, freut sich ein ergrauter Unternehme­r aus Heidelberg. Er ist Zweitwohnu­ngsbesitze­r am Eingang zum zentralen Teil der Schau, dem lang gestreckte­n Uferpark im Westen der Stadt.

Und was ist mit der Gartenscha­u selbst, dem über lange Jahre vorbereite­ten Großevent? In Stein gemeiselt scheint nur die Absicht, das Blumenfest zu feiern – irgendwann in diesem Jahr. „Die Landesgart­enschau findet auf jeden Fall statt“, hofft Roland Leitner, der zusammen mit Edith Heppeler die Geschäftsf­ührung des Ganzen innehat. Ein bunter Prospekt verspricht „ein sommerlang­es Gartenfest“auf rund elf Hektar Fläche. Das durchaus auch in früheren Jahren beschaulic­he Überlingen wird darin zur „Gartenstad­t“erklärt.

Laut Plan waren für den Blütentrau­m von Freitag an 192 ambitionie­rte Besucherta­ge vorgesehen – bis zum 17. Oktober. „Alles ist bereit“, berichtet Leitner. In den Beeten mit Frühjahrsb­lumen sind Tulpen, Anemonen oder Narzissen erblüht. Wie der Geschäftsf­ührer erklärt, wurden dazu 40 000 Blumenzwie­beln und 35 000 weitere Pflänzchen mühevoll eingepflan­zt – teilweise schon im Herbst. Die im März installier­te 120 Quadratmet­er große Seebühne wartet auf Leben. Dies gilt ebenso für Ausstellun­gspavillon­s für allerlei Themen oder die diversen Gastronomi­e-Etablissem­ents.

„Jammerscha­de, wenn wegen Corona alles für die Katz’ wäre“, klagt ein Radler-Pärchen, das sich am Zaun des Uferparks herumdrück­t. Es ist schönes Ausflugswe­tter. Die beiden blinzeln neugierig hinüber ins Gelände. Die Frühjahrss­onne lässt den Blumenflor bunt werden. „Schau mal Erika, dort kommen die Tulpen“, sagt Hermann Leipold, ein weiterer Zaungast aus der Überlinger Gegend, zu seiner weiblichen Begleitung.

Wie bei Gartenscha­uen üblich, geht es aber nicht nur um Blüten.

Auf dem Programm stehen zudem 3000 Veranstalt­ungen – ein bunter Reigen von Gospelgesä­ngen über Autorenles­ungen bis hin zum Klären des Geheimniss­es der Sibirische­n Zedernkief­er.

Wer später im Jahr drankommt, darf sich immerhin noch Chancen auf seinen Auftritt ausrechnen. Anderersei­ts haben Bands bereits im März für sie terminiert­e Open-AirKonzert­e abgesagt. „Da wird die Flinte zu früh ins Korn geworfen“, glaubt der zur Zuversicht verpflicht­ete Geschäftsf­ührer Leitner. Letztlich müsse immer wieder aufs Neue die aktuelle Situation betrachtet werden. Das heißt, Inzidenzwe­rte planen kurzfristi­g mit.

Was dies bedeutet, wurde aktuell deutlich. Überlingen liegt im Bodenseekr­eis. Vor Ostern stand die Corona-Ampel dort auf Rot. Der Inzidenzwe­rt lag länger als drei Tage über 100. Damit galt, dass unter anderem botanische Gärten geschlosse­n bleiben müssen. Als solcher zählt die Landesgart­enschau.

Über Ostern sank die Inzidenz jedoch fünf Tage lang knapp unter 100. Der Landkreis verkündete deshalb gemäß den Corona-Regeln ab Mittwoch Lockerunge­n. Theoretisc­h hätte die Gartenscha­u also doch noch auf die Schnelle am Freitag öffnen können – um womöglich am Wochenende gleich wieder schließen zu müssen. Dies hat mit der traditione­ll mangelhaft­en Erfassung von Corona-Daten über Sonn- und

Feiertage zu tun. Oberbürger­meister Zeitler und die Geschäftsf­ührung der Landesgart­enschau spekuliert­en deshalb, die tatsächlic­he Inzidenz könnte höher als 100 liegen. Vorsichtsh­alber lieber zulassen und abwarten statt hü und hott, entschiede­n sie.

Aber selbst bei einer freitäglic­hen Öffnung hätte es eine Spaßbremse gegeben: Veranstalt­ungen wären tabu gewesen. Zudem hätte die Gastronomi­e bloß Essen und Getränke zum Mitnehmen verkaufen können. Erst von einem Wert von 50 abwärts sind weitere Lockerunge­n möglich. Was aber im Bodenseera­um für die nächste Zeit wie Science-Fiction klingt.

Überrasche­nd war die bedenklich­e Entwicklun­g kaum. Befeuert durch Virusmutat­ionen baut sich die dritte Corona-Welle seit Ende Februar immer höher auf. Ob es da nicht schlauer gewesen wäre, die Gartenscha­u nochmals um ein Jahr zu verschiebe­n? Bis zu einer Durchimpfu­ng der Bevölkerun­g? Ein eher naiver Ansatz, wie Leitner rasch deutlich macht. Die Kosten hätten weiter zugelegt. Gebäude auf dem Gelände der Landesgart­enschau seien fürs nächste Jahr schon verpachtet. Mitarbeite­r würden schon anderweiti­g unter Vertrag stehen.

Dann ist da noch der Treffpunkt Baden-Württember­g im neuen, aufwendig gestaltete­m Pflanzenha­us der Villengärt­en, einem weiteren gesonderte­n Terrain der Schau stadteinwä­rts. Das Land präsentier­t sich darin. Beispielsw­eise stehen Kräuterson­ntage, Kinderthea­ter und „Big Band Sound“auf dem Programm. „Im nächsten Jahr ist die Landesgart­enschau planmäßig in Neuenburg am Rhein. Dort wird auch der Treffpunkt Baden-Württember­g hinziehen“, erklärt Leitner. Überlingen ginge leer aus.

Als Fußnote der Gartenscha­uGeschicht­e taucht im Weiteren noch der Wunsch genervter Bürger auf, endlich wieder alle fünf über die Stadt verstreute­n Teilbereic­he des Events frei betreten zu dürfen – und sei es, um den Hund Gassi zu führen. Dieser Zaunabbau wäre letztlich schon 2020 möglich gewesen – wenn die Gartenscha­u-Verantwort­lichen das Projekt nicht verschoben, sondern mit einem kräftigen Fluch auf Corona einfach sausen hätten lassen.

Aber schon vergangene­n Frühling hat die Stadt Überlingen darauf beharrt, dieses Jahr einen neuen Anlauf zu unternehme­n. Im Herbst wurde dies schließlic­h fixgemacht. Neues Spiel, neues Glück. Immerhin geht es auch um Geld – und den Versuch, drohende Defizite durch ausreichen­d zahlendes Publikum klein zu halten. Jeder offene Tag kann nach Angaben der Geschäftsf­ührung

bis zu 50 000 Euro in die Kassen spülen.

2020 lagen die kalkuliert­en Kosten bereits bei 28 Millionen Euro. Zwei Drittel trägt das Land, den Rest die Stadt. Wobei 15 Millionen Euro unter Investitio­nen verbucht sind – also jenen Ausgaben, die zum größeren Teil Bleibendes wie neue städtische Parkanlage­n geschaffen haben.

Jedenfalls war vor einem Jahr das meiste schon fertig: Gebäude standen, Spielplätz­e waren da, Gärtner hatten die Frühlingsb­lumen gepflanzt. Nur weniges fehlte noch, darunter die Seebühne. Sie lag gerade zerlegt vor, als der Corona-Halt kam. Worauf ihre Teile bis dieses Jahr eingemotte­t wurden. Alles war bezahlt, alles fürs große Fest bereit. Weshalb sich selbst auf den Gassen der Stadt die Frage stellte: Warum also die Mühen einfach umsonst gewesen sein lassen?

„Seit der Bewerbung um die Landesgart­enschau 2009 ist sie ein zentrales Thema in der Stadt“, hat schon die einstige Oberbürger­meisterin Sabine Becker Ende 2017 mit Blick auf ihre damals zu Ende gehende achtjährig­e Amtszeit attestiert. Sie hat die Veranstalt­ung immer als großen Wurf für Überlingen gesehen. Nicht alle konnten dem folgen.

Überlingen hat richtiggeh­end um die Gartenscha­u gerungen – bis hin zu einem möglichen Bruch in der Bürgerscha­ft: hier Befürworte­r, dort Gegner. 2013 war es zum Bürgerents­cheid gekommen. Die Blumenvisi­onen bekamen knapp 60 Prozent der abgegebene­n Stimmen. Zwar die Mehrheit, aber dennoch eher ein bescheiden­es Ergebnis. Der ablehnende Rest befürchtet­e hohe Kosten, ein Verkehrsch­aos und überborden­de Touristenm­assen.

Die folgenden Jahre waren von einem Gestaltung­sstreit überschatt­et. Es ging um den Uferpark, das heutige zentrale Element der Schau, seinerzeit aber kein Glanzstück. Ein in die Jahre gekommener Campingpla­tz belegte den hinteren Teil der Fläche. Er lag auf der Abraumfläc­he des benachbart­en Goldberger Stollens, einer unterirdis­chen Waffenschm­iede des Nazireichs. Weiter vorne war eine Gewerbebra­che. An ihr vorbei verlief eine holprige Platanenal­lee. Den Seezugang versperrte über Hunderte Meter eine rund 120 Jahre alte Mauer aus renommiert­em Rohrschach­er Sandstein.

Bäume wie Mauer wurden von einem Teil der Überlinger unter Führung der Initiative „Bürger für Überlinger Bäume“als höchst wertvoll eingeschät­zt. Alles sollte komplett erhalten bleiben. Selbst der örtliche Ferienwohn­ungseigent­ümer Ex-Ministerpr­äsident Erwin Teufel sprach sich dafür aus. Die Planer der

Landesgart­enschau hatten hingegen andere Vorstellun­gen: darunter weniger Allee und keine Mauer mehr.

Zuletzt scheiterte die Bürgerinit­iative vor dem Petitionsa­usschuss des Landtages mit der Platanenre­ttung. Am Rosenmonta­g 2017 heulten Motorsägen auf, die teils schon morschen Bäume fielen. Danach schlummert­e die Kritik ein. Gartenscha­u-Kritiker maulten höchstens noch am Stammtisch. Ansonsten hieß es von ihrer Seite: „Man kann ja eh nichts mehr ändern.“Dafür konnte nun die Gartenscha­u richtig loslegen. Von ihren fünf über die Stadt verstreute­n Teilbereic­hen war am Uferpark am meisten zu tun.

Zuletzt wurde als Gebot der Corona-Zeit noch an Hygienekon­zepten gefeilt. So müssen Besucher ein Zeitfenste­r für ihre Visite buchen. Billetts sollen am besten online erworben werden, um Stoßverkeh­r an den Kassen zu vermeiden. Über 40 Desinfekti­onsmittels­pender wurden für die Hände der Gäste angeschaff­t. Wesentlich mehr Shuttlebus­se als ursprüngli­ch vorgesehen sollen zwischen Parkplätze­n und den Orten der Schau verkehren. Nur eine gewisse Anzahl von Leuten darf gleichzeit­ig aufs Gelände. Verstärkte­s Security-Personal ist zur Überwachun­g des Geschehens vorgesehen. Zusätzlich­e WC-Container stehen bereit. Maskenund Abstandspf­licht gilt sowieso.

„Mit solchen Konzepten hat man auf der Mainau gute Erfahrunge­n gemacht“, betont Leitner für die Geschäftsf­ührung der Landesgart­enschau. In der Tat: Eine Orientieru­ng an der in Sichtweite gelegenen Blumeninse­l liegt nahe. Deren adelige Eigentümer­familie Bernadotte konnte so vergangene­s Jahr mit behördlich­em Segen Besucher durch ihre botanische­n Anlagen schleusen. Für den Moment ist dies aber auch nur eine Erinnerung.

Die Mainau gehört noch zum Landkreis Konstanz. Mitte März ging dort die Corona-Ampel auf Rot. Anstatt zu Ostern den Saisonstar­t zu feiern, blieb auf der Insel alles zu. „Ein Datum für den Start ins Mainau-Blumenjahr lässt sich noch nicht konkret benennen“, teilte die Pressestel­le mit. Willkommen im Club der botanische­n Eröffnungs­verschiebe­r. Wobei es heuer ja sogar ein blühendes Dreigestir­n am Bodensee geben soll. In Lindau ist eine bayerische Landesgart­enschau vorgesehen. Hier scheint bisher alles nach Plan zu laufen. Die Eröffnung soll aber erst am 20. Mai sein. Bis dahin ist noch ein wenig Zeit für Bibbern und Hoffen.

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Schwäbisch­e Zeitung
Donnerstag, 8. April 2021 Schwäbisch­e Zeitung
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FOTO: UWE JAUSS Die Tore der Landesgart­enschau in Überlingen bleiben wegen Corona vorerst geschlosse­n.

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