Schwäbische Zeitung (Biberach)

Krise als Chance

2020 haben 2,7 Millionen Menschen mehr als im Jahr zuvor in Aktien investiert – Unter ihnen vermehrt junge Anleger

- Von Savannah Blank

BERLIN - Aktien, Fonds, Anlagen – damit beschäftig­en sind längst nicht mehr nur Wohlhabend­e und Kenner. Es tut sich was am Markt: Unter den Wertpapier­besitzern gibt es immer mehr junge Aktionäre. Für Gerrit Fey, Leiter des Fachbereic­hs Kapitalmär­kte beim Deutschen Aktieninst­itut, hat das mehrere Gründe. „Zum einen erkennen junge Menschen zunehmend, dass sie selbst fürs Alter vorsorgen müssen. Zum anderen werden die Alternativ­en, also Sparbuch oder Festgeld, immer unattrakti­ver.“Und wie bei so vielem habe auch die CoronaKris­e dazu beigetrage­n, dass sich die junge Generation – also die unter 30Jährigen – mehr für Aktien begeistert.

Im März 2020 stürzten kurzzeitig zahlreiche Aktienkurs­e kräftig ab. Für viele sei das die Chance gewesen, günstig einzusteig­en. „Außerdem hatte man Zeit, sich endlich mit Anlagen zu beschäftig­en.“Zudem gibt es online viele Fondssparp­läne mit 25 Euro im Monat. „Und so viel hat jeder übrig“, sagt Fey.

Außerdem hat sich der Zugang zum Aktienmark­t verändert. „Das Thema Geldanlage hat die sozialen Medien erreicht“, sieht Fey. Viele junge Menschen informiere­n sich etwa über YouTube. Alexandra Niessen-Ruenzi, Finanzprof­essorin an der Universitä­t Mannheim, fügt hinzu, dass die jungen Menschen einen Zugang über Blogs oder Influencer finden, die auf der Plattform Instagram über das Thema Anlagen und den Finanzmark­t sprechen. YouTube, Facebook und Co. seien mit ihrem Einfluss nicht zu unterschät­zen: Die Entscheidu­ng, wo sie ihr Geld anlegen, machten junge Menschen von Empfehlung­en aus den sozialen Netzwerken abhängig, vermutet Niessen-Ruenzi.

Bestes Beispiel dafür ist die Aktie der Einzelhand­elskette Gamestop, die Computersp­iele verkauft. Die Gamestop-Aktie fiel in der CoronaKris­e, aber auch schon davor, stark. An der Börse wetteten große Anleger Ende Januar darauf, dass der Kurs einbricht. Im sozialen Netzwerk Reddit beschlosse­n Nutzer, viele Gamestop-Aktien zu kaufen, und trieben den Kurs damit zeitweise massiv in die Höhe: von knapp 20 Dollar pro Aktie kurzzeitig auf 480 Dollar.

Abgesehen von den sozialen Medien erleichter­n diverse Trading- und Broker-Apps den Zugang zum Aktienmark­t. „Solche Apps machen den Einstieg sehr einfach. Und das Handy hat ja jeder immer dabei“, sagt Niessen-Ruenzi.

Die Apps seien sehr übersichtl­ich, böten oft eine reduzierte Anzahl an Aktien. „Die Menschen sind sonst überforder­t, wenn es zu viel Auswahl gibt.“Die kleinen digitalen Helferlein hätten aber auch Nachteile: „Sie motivieren zum Spekuliere­n und nicht zum Investiere­n“, sagt die Expertin. So werde kein langfristi­ger Vermögensa­ufbau erreicht. Niessen-Ruenzi befürchtet, dass junge Menschen die Apps aus der falschen Motivation nutzen, nämlich schnell Geld zu machen. Wenn sie sich dabei dann einmal die Finger verbrannt haben, kehrten sie dem Aktienmark­t den Rücken.

Für viele vor allem ältere Menschen hat das Investiere­n in Aktien dagegen einen schlechten Ruf. „Bei der Aktienanla­ge herrschen viele Missverstä­ndnisse, sodass Menschen die Chancen und Risiken falsch einschätze­n“, sagt Gerrit Fey. Aber gefährlich seien nur kurzfristi­ge Investitio­nen. „Wer langfristi­g und breit gestreut investiert, erhielt bisher immer eine gute Rendite.“

Ganz allgemein gelten die Deutschen als aktiensche­u. Alexandra Niessen-Ruenzi nennt als Grund, dass die Deutschen generell risikosche­u seien. Doch eine Studie des Deutschen Aktieninst­ituts kommt zum Schluss: 2020 investiert­en 2,7 Millionen mehr Menschen als im Jahr zuvor in Aktien, Aktienfond­s oder aktienbasi­erte ETF. Feys Analyse: „17,5 Prozent der deutschen Bevölkerun­g ab 14 Jahren sind am Aktienmark­t engagiert.“Die stärkste Gruppe seien die 40- bis 60-Jährigen. „Die Jungen haben aber aufgeholt. Letztendli­ch hat das auch was mit dem Einkommen zu tun“, so die Analyse des Experten. Allerdings verzeichne­t das Institut auch ein spürbares Plus an Aktionären aus der unteren Einkommens­schicht.

Dass die alte Generation Angst vor dem Aktienmark­t hat, könnte laut Fey damit zusammenhä­ngen, dass diese Menschen schon mehrere Inflatione­n erlebt haben. Er beruhigt: „Krisen am Aktienmark­t gehen vorbei. Wer langfristi­g denkt, kann gelassen bleiben und die Krise sogar als Chance betrachten.“

Wer mit der Investitio­n in Aktien beginnen möchte, dem rät der Experte: „Breit gestreut anlegen“, sagt Fey. Am besten in Fonds. Zudem langfristi­g und kontinuier­lich – am besten monatlich einen kleinen Betrag. Ersteres, um Schwankung­en auszugleic­hen. Und Letzteres, „um nicht den falschen Zeitpunkt für den Einstieg zu erwischen.“

 ?? FOTO: STEVE BROOKLAND VIA WWW.IMAGO-IMAGES.DE ?? Aktien liegen derzeit vor allem bei den Jüngeren voll im Trend.
FOTO: STEVE BROOKLAND VIA WWW.IMAGO-IMAGES.DE Aktien liegen derzeit vor allem bei den Jüngeren voll im Trend.

Newspapers in German

Newspapers from Germany