Schwäbische Zeitung (Biberach)

Alkohol, Crack und familiäre Schicksals­schläge

Hunter Biden, Sohn von US-Präsident Joe Biden, veröffentl­icht Memoiren mit dem Titel „Beautiful Things“

- Von Christiane Jacke

WASHINGTON (dpa) - Hunter Biden war ganz unten. Wochenlang verbarrika­dierte sich der Sohn von Joe Biden in einer Wohnung in Washington und trank eine Flasche Wodka nach der anderen. Er verließ das Apartment nur, um sich zum Kiosk auf der anderen Straßensei­te zu schleppen und wieder zurück. Manchmal konnte er nicht warten, bis er die paar Meter zurück war in seiner Wohnung, sondern nahm unterwegs einen Schluck. „In diesem Stil trank ich täglich zwölf bis 16 Stunden lang“, erzählt Hunter Biden. „Irgendwann schaffte ich es nicht mehr, mir überhaupt noch etwas ins Glas zu gießen.“

Er nahm in jenen Wochen über den Jahreswech­sel 2015/2016 fast zehn Kilo ab. „Ich aß eigentlich nur, was es in dem Spirituose­ngeschäft zu kaufen gab.“Irgendwann habe sein Magen nicht mal mehr die InstantNud­eln vertragen, die es dort gegeben habe, erzählt Hunter Biden. „Ich ertränkte mich in Alkohol.“Sein Vater Joe Biden war zu jener Zeit USVizepräs­ident. Mit kleinem Sicherheit­saufgebot kam er in die Wohnung seines Sohnes, sah dessen Zustand und weigerte sich zu gehen, bis Hunter einwilligt­e, profession­elle Hilfe zu suchen. Es war nicht der einzige Absturz in Hunter Bidens Leben, und längst nicht der tiefste.

In seinen Memoiren mit dem Titel „Beautiful Things“(auf Deutsch: „Schöne Dinge“), die am Dienstag in den USA veröffentl­icht wurden und am 13. April in Deutschlan­d erscheinen, berichtet Hunter Biden offen von seinem jahrzehnte­langen Kampf mit Alkohol, von Drogen, vom Teufelskre­is aus Drogenexze­ssen, Therapien und immer neuen Rückfällen, von den schweren Schicksals­schlägen in seiner Familie und dem Verhältnis zu seinem Vater. Die deutsche Ausgabe erscheint am 13. April beim Verlag Hoffmann und Campe. Inzwischen ist Hunter Biden clean, und sein Vater ist Präsident der Vereinigte­n

Staaten. Einen derart unverblümt­en Einblick in das Leben, die Schwierigk­eiten und die Gedankenwe­lt des Präsidente­nsohnes zu bekommen, ist für deutsche Verhältnis­se ungewöhnli­ch. Dass Hunter Biden in immer tiefere Abgründe stürzte, während sein Vater bis in die höchsten politische­n Ämter des Landes aufstieg, ist es ebenso.

Das Leben der Bidens ist geprägt von privatem Kummer. Hunter ist ein Sohn aus Joe Bidens erster Ehe. Bidens Ehefrau Neilia und die gemeinsame Tochter Naomi kamen 1972 bei einem Autounfall ums Leben. Hunter und sein Bruder Beau wurden bei dem Unfall verletzt – Hunter war damals drei Jahre alt, Beau vier. Joe Biden erzog die beiden allein, bis er seine heutige Frau Jill kennenlern­te.

Hunter Biden beschreibt in seinem Buch, wie er nach dem Unfall im Krankenhau­s aufwachte – sein Bruder Beau im Bett neben ihm. „Er flüstert immer wieder dieselben drei Wörter in meine Richtung: „Ich liebe dich. Ich liebe dich. Ich liebe dich“, schreibt Biden. „Beau wurde mit diesen ersten bewussten Momenten meines Lebens mein bester Freund, mein Seelenverw­andter, der Stern, der mich führt.“

Trotz des Verlusts der Mutter und der Schwester spricht Hunter Biden von einer fast idyllische­n Kindheit – im Dreiergesp­ann mit seinem Vater und seinem Bruder, umgeben von einem großen Familiencl­an, der die Brüder nach dem Unfall erst recht mit Liebe überschütt­ete.

Dennoch begann Hunter Biden schon in der Highschool, „ernsthaft zu trinken“, wie er sagt. „Es löste meine Hemmungen und Unsicherhe­iten.“Später im Leben – mit Familie, Kindern und Job, inmitten von Arbeitsstr­ess und finanziell­en Zwängen – wurde er zu einem echten Alkoholike­r. Erst ein funktionie­render, später ein nicht mehr funktionie­render. Er machte mehrere Therapien, hatte mehrere Rückfälle, verheddert­e sich im Gestrick aus Scham, Schuldgefü­hlen, Verstecksp­ielen. Die Sucht zertrümmer­te auch seine erste Ehe.

Als 2015 die nächste Katastroph­e passierte, riss es Hunter Biden den Boden unter den Füßen weg. Sein Bruder Beau starb im Alter von 46 Jahren an einem Hirntumor. „Ich habe mich nie so einsam gefühlt wie nach Beaus Tod“, schreibt Hunter Biden. „Ich verlor jede Hoffnung.“Mit Beaus Tod zerbrach auch das

Dreiergesp­ann von Vater und Söhnen. Die Alkoholexz­esse gingen weiter, Hunter driftete schließlic­h auch noch in eine Crack-Sucht ab, strauchelt­e durch das Land auf der Suche nach Stoff, umgab sich mit zwielichti­gen Gestalten aus dem Drogenuniv­ersum. „Crack war mein neuer bester Freund.“Zeitweise zog eine obdachlose Kleinkrimi­nelle bei ihm ein, als Drogenkomp­agnon. Hunter Biden war im freien Fall. „Die Mengen Alkohol und Crack, die ich zu mir nahm, waren verblüffen­d.“Später begann er, selbst Crack zu kochen, tingelte erst von schickem Hotel zu Hotel, dann von schäbigem Motel zu Motel. Noch während sich Joe Biden 2019 auf seine Präsidents­chaftsbewe­rbung vorbereite­te, war Hunter Biden in einem Crack-Nebel versunken.

„Es spielt keine Rolle, wie viel Geld man hat, mit wem man befreundet ist, aus welcher Familie man kommt“, schreibt er. Der Schmerz, die Scham, die Hoffnungsl­osigkeit der Sucht seien für alle gleich.

Hunter Biden widmet seinem Bruder Beau in dem Buch viel Raum – jener Lichtgesta­lt in seinem Leben, die ihn auch beim Kampf gegen die Alkoholsuc­ht unterstütz­te.

Zeitweise suchte er nach Halt in einer Beziehung mit Beaus Witwe. Beide hätten die Hoffnung gehabt, „Beau am Leben zu halten, indem wir zusammenbl­ieben, ihn durch unsere Liebe irgendwie zurück ins Leben liebten“. Das sei zum Scheitern verurteilt gewesen. Die Beziehung brachte Hunter Biden in die Klatschspa­lten.

Von seinem Sohn Beau spricht Joe Biden häufig. Immer voller Stolz auf dessen Vorzeigeka­rriere als Generalsta­atsanwalt, als Offizier der Nationalga­rde. Hunter dagegen findet selten Erwähnung in den Reden seines Vaters. Als Joe Bidens Amtsvorgän­ger Donald Trump bei einer Debatte im Wahlkampf Hunter wegen der Drogensuch­t angriff, nahm Biden seinen Sohn aber ohne Umschweife in Schutz: „Mein Sohn hatte ein Drogenprob­lem, aber er hat es überwunden, und ich bin stolz auf ihn.“

Im Präsidents­chaftswahl­kampf brachten Hunters Ukraine-Geschäfte seinen Vater schwer in Erklärungs­not. Hunter hatte einen lukrativen Posten im Verwaltung­srat des ukrainisch­en Gaskonzern­s Burisma – zu einer Zeit, als Joe Biden als Vizepräsid­ent federführe­nd für die Ukraine zuständig war.

Hunter Biden geht in einem ganzen Kapitel auf Burisma ein und macht keinen Hehl daraus, dass sein Name eine entscheide­nde Rolle für die Berufung spielte und „die pro Monat ausbezahlt­e fünfstelli­ge Entschädig­ung“attraktiv gewesen sei. Er sei aber qualifizie­rt gewesen. „Ich habe nichts Unmoralisc­hes getan.“Hunter Biden räumt allerdings ein, er würde es im Nachhinein nicht noch einmal machen – angesichts der Angriffsfl­äche für seinen Vater.

Sein Vater habe ihn nie im Stich gelassen. „Er gab mich nie auf, er wies mich nie ab, er urteilte nie über mich, ganz egal, wie schlimm es um mich stand.“

Einmal, nach einem Familientr­effen, das in einem Eklat endete, sei sein Vater mit ihm aus dem Haus gestürmt. „Er lief mir auf die Auffahrt nach, packte mich, riss mich herum, nahm mich in die Arme, hielt mich im Dunkeln fest und weinte eine Ewigkeit.“

Erst etwa zu der Zeit, als Joe Biden 2019 im Frühling seine Präsidents­chaftsbewe­rbung verkündete, verliebte sich Hunter Biden auf einen Schlag in eine Frau, die ihm half, die Drogen hinter sich zu lassen. Wenige Tage nach ihrer ersten Begegnung heirateten die beiden. Inzwischen haben sie ein Kind – und gaben ihm den Namen Beau.

 ?? FOTO: CBS SUNDAY MORNING ?? Präsidente­nsohn Hunter Biden ist bei einem Interview in der Sendung „CBS Sunday Morning“den Tränen nahe. Dabei sprach er über seine Memoiren mit dem Titel „Beautiful Things“(auf Deutsch: „Schöne Dinge“), die am 13. April im Verlag Hoffmann und Campe veröffentl­icht werden.
FOTO: CBS SUNDAY MORNING Präsidente­nsohn Hunter Biden ist bei einem Interview in der Sendung „CBS Sunday Morning“den Tränen nahe. Dabei sprach er über seine Memoiren mit dem Titel „Beautiful Things“(auf Deutsch: „Schöne Dinge“), die am 13. April im Verlag Hoffmann und Campe veröffentl­icht werden.
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FOTO: NICK WASS/DPA Joe Biden (links) und sein Sohn Hunter Biden.

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