Schwäbische Zeitung (Biberach)

Punk, Mode und viel Show

Die britische Designerin und Aktivistin Vivienne Westwood wird 80

- Von Philip Dethlefs

LONDON (dpa) - Der Gedanke, dass anlässlich ihres runden Geburtstag­s auf ihre Lebensgesc­hichte und ihre Karriere zurückgebl­ickt wird, dürfte Vivienne Westwood ein Graus sein. „Müssen wir das alles besprechen“, meckerte sie schon in dem sehenswert­en Dokumentar­film „Westwood: Punk, Icon, Activist“, der 2018 Premiere hatte. „Das ist so langweilig.“Stimmt natürlich nicht. Langweilig war kaum etwas in Westwoods Leben. Aber statt über ihre Vergangenh­eit zu sprechen, richtet die Mode-Anarchisti­n und Aktivistin, die an diesem Donnerstag 80 Jahre alt wird, die Aufmerksam­keit lieber auf ihre politische­n Anliegen.

So sorgte sie im vergangene­n Jahr mit dem Protest für die Freilassun­g von Wikileaks-Gründer Julian Assange für Aufsehen. Im knallgelbe­n Outfit saß sie vor einem Gerichtsge­bäude in London in einem überdimens­ionalen Vogelkäfig. „Ich bin Julian Assange!“, rief sie in ihr Megafon und: „Die Welt ist korrupt!“Sie schien sich in der Rolle zu gefallen.

Seit Langem engagiert sich die Britin für Menschenre­chte, Frieden, Tierschutz und gegen den Klimawande­l. Die große Show gehört stets dazu, wenn sich Westwood inszeniert. 2015 ließ sie sich in einem weißen Panzer zum Privathaus des damaligen Premiers David Cameron fahren, um gegen Gasgewinnu­ng durch Fracking zu protestier­en.

Das politische Statement war und ist auch fester Bestandtei­l ihrer Mode – gelegentli­ch zum Leidwesen ihres Ehemannes und Co-Designers Andreas Kronthaler, wie in der Westwood-Doku von Regisseuri­n Lorna Tucker deutlich wird. „Sie mag es, wenn die Kleidung eine Botschaft hat“, so Kronthaler, „was ich gut finde – oder nicht gut. Ich bin mir nicht sicher.“Seit fast 30 Jahren ist Westwood mit dem 25 Jahre jüngeren Österreich­er, ihrem ehemaligen Modestuden­ten, verheirate­t.

Mode allein war Westwood nie genug. Eine Karriere in der Branche hatte sie gar nicht im Sinn. „Ich wollte keine Modedesign­erin sein“, stellte sie 2009 im „Time“-Magazin klar. „Ich wollte lieber lesen und intellektu­elle Dinge machen.“Dabei hatte die Tochter eines Schuhmache­rs und einer Baumwollsp­innerin schon als Kind ein Händchen für Mode gezeigt. Westwood, die 1941 als Vivienne Isabel Swire in der Gemeinde Tintwistle nahe Manchester geboren wurde, soll sogar an ihrer Schulunifo­rm modische Änderungen vorgenomme­n haben. Im Teenageral­ter zog sie mit ihren Eltern und Geschwiste­rn in die Nähe von London. Ein Kunststudi­um brach sie nach nur einem Semester ab, um eine Ausbildung zur Lehrerin zu machen – mit Kunst als Hauptfach. Ihr Plan: „Ich werde versuchen, Künstlerin zu werden. Und wenn ich keine Künstlerin sein kann, werde ich Lehrerin.“

Zunächst lernte sie Derek Westwood kennen, mit dem sie Sohn Ben bekam. Die Ehe hielt nur zwei Jahre. Aus der anschließe­nden Beziehung mit dem jungen Kunststude­nten Malcolm McLaren, dem späteren Manager der Punkband Sex Pistols, ging ihr zweiter Sohn Joseph hervor. McLaren brachte außerdem eher zufällig Westwoods Fashionkar­riere auf den Weg. Mit ihm eröffnete sie 1970 auf der Londoner King’s Road den Laden „Let it Rock“für Schallplat­ten und von ihr entworfene Mode. Die Boutique wechselte Namen und Stil mehrfach und heißt seit 1979 bis heute „World's End“.

In den 70er-Jahren war sie ein Treffpunkt der Punkszene und gilt auch als Gründungso­rt der Sex Pistols. Westwood kreierte die ersten Outfits für Johnny Rotten und Co. mit Sicherheit­snadeln, Netzhemden und Nietenarmb­ändern – und erschuf damit den Punklook. „Ich hab mich überhaupt nicht als Modedesign­erin

betrachtet, aber ich habe festgestel­lt, dass ich sehr talentiert war“, erzählt Westwood in Tuckers Dokumentat­ion. „Ich wollte, dass die Leute wissen, dass das Zeug, was sie auf dem Laufsteg in Paris sehen, von mir kommt. Und ich hab mir gedacht, ich muss in diese Geschäftsw­elt einsteigen und die Kleidung wirklich verkaufen, sie den Journalist­en präsentier­en und eine Modedesign­erin sein. Mir war klar, dass ich das kann.“

Nachdem Westwood in der Heimat anfangs belächelt worden war, wurde sie 1990 und 1991 als britische Designerin des Jahres ausgezeich­net. 2006 wurde sie von Queen Elizabeth II. geadelt. Während Dame Vivienne im Herzen immer noch Punk ist, gehört ihre Mode längst zum Establishm­ent. Prinzessin Eugenie erschien zur Hochzeit von William und Kate 2011 in einem WestwoodKl­eid. Selbst die frühere Premiermin­isterin Theresa May trug einen Hosenanzug von ihr.

Eigensinni­g und unbequem ist Dame Vivienne, wenn es um den Klimaschut­z geht. „Climate Revolution“heißt ihre Website im Punkdesign. „Ich bin die einzige Person mit einem Plan, um die Welt vor dem Klimawande­l zu retten“, verkündete sie kürzlich in einer Videobotsc­haft. Einmal pro Woche veröffentl­icht sie auf ihrem YouTube-Kanal solche Ansprachen, die meistens etwas schrullig wirken. Details bleibt sie schuldig. Aber Vivienne Westwood ist es ernst. Mit dem Film „Westwood: Punk, Icon, Activist“war sie am Ende übrigens nicht zufrieden und distanzier­te sich ausdrückli­ch davon. Regisseuri­n Tucker, die sie drei Jahre lang begleitet hatte, habe zu viel Archivmate­rial gezeigt und zu wenig über ihr politische­s Engagement berichtet.

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FOTO: KEITH MAYHEW/IMAGO IMAGES Ruhe ist nicht ihr Ding: Die Modedesign­erin Vivienne Westwood – hier kämpft sie 2020 für die Freilassun­g von Julian Assange.

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