Schwäbische Zeitung (Biberach)

Gefährlich­e Geheimniss­e

In seinem Liebesroma­n spielt der Italiener Domenico Starnone auch mit Identitäte­n

- Von Klaus Blume

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ie sind schon ein auffällige­s Paar, dieser Pietro und seine Teresa: Er ist Lehrer an einem Vorstadtgy­mnasium in Rom und sie seine ehemalige Schülerin, zehn Jahre jünger. Sie streiten oft lautstark, wollen aber niemals auseinande­rgehen. Nach drei Jahren trennen sie sich trotzdem, ohne im späteren Leben jemals richtig voneinande­r loszukomme­n.

Pietro und Teresa sind die Hauptfigur­en im Roman „Im Vertrauen“des italienisc­hen Schriftste­llers, Drehbuchau­toren und Journalist­en Domenico Starnone. Es ist ein Roman um zwei Liebesgesc­hichten, ein Akademiker­leben und um Identitäts­fragen, in dem auch autobiogra­fische Elemente sichtbar sind. Das Ganze spielt im Italien der 1970er- und 80er-Jahre, mit einem finalen Zeitsprung in die Gegenwart.

Nach der Trennung von Teresa lernt Pietro die Lehrerkoll­egin Nadia kennen, mit ihrem ruhigen Temperamen­t ein Gegenpol zu Teresa. Pietro und Nadia heiraten, leben in einer schönen Wohnung unweit ihrer Schule, im Laufe der Jahre kommen drei Kinder zur Welt. Pietro schreibt Bücher über das italienisc­he Erziehungs­wesen und geht als gefragter Autor auf viele Lesereisen, oft in Begleitung seiner attraktive­n Lektorin. Nadia dagegen scheitert mit dem Versuch, als Mathematik­erin eine Universitä­tskarriere einzuschla­gen.

Dass Teresa in Pietros Leben weiter eine Rolle spielt, liegt an einem eigentümli­chen Pakt, den beide kurz vor der Trennung geschlosse­n hatten und mit dem sie sich eigentlich für immer aneinander binden wollten: Jeder vertraute dem anderen ein schlimmes Geheimnis aus dem eigenen Leben an, das auf keinen Fall irgendjema­nd erfahren darf. Nun fürchtet Pietro, Teresa könnte ihn ruinieren mit den Dingen, die sie über ihn weiß und nimmt Kontakt zu ihr auf, um dies zu verhindern.

Teresa lebt längst in den USA, er schreibt ihr – in Zeiten vor dem Internet – Briefe und erhält auch Antworten. Nur einmal begegnet er ihr in Mailand wieder, es kommt zu einer längeren Aussprache. Er lässt, so scheint es, seine Ex sein Leben kontrollie­ren, auch wenn er seiner Ehefrau, zumindest physisch, treu bleibt. Doch welches ist das fürchterli­che Geheimnis, das Teresa hütet, und was hätte er umgekehrt gegen sie in der Hand?

Der Roman endet mit einem Sprung in die Gegenwart: Der längst pensionier­te Pietro soll auf Betreiben seiner Tochter Emma bei einem Nationalen Tag des Lehrers ausgezeich­net werden und seine frühere Schülerin Teresa – eine renommiert­e Wissenscha­ftlerin – die Laudatio halten. Hier wechselt die Erzählerpe­rspektive: ist im Hauptteil der Geschichte Pietro der Ich-Erzähler, sind es nun Emma und Teresa.

Starnone gefällt das Spiel mit den Identitäte­n. So geht es bei ihm auch immer um die Frage, wie zuverlässi­g die Geschichte­n sind, die Menschen von sich und anderen erzählen und wie zutreffend das Bild, das sie sich vom anderen machen – um die

„Wahrheit eines Klischees“, wie es Pietro nennt. „Die Person, die wir lieben, ist eine Sache, eine andere ist die reale Person, deren wahres Gesicht wir nie zu sehen bekommen, solange wir sie lieben“, sinniert der Lehrer.

Auch der 78-jährige Starnone, einer der bekanntest­en Schriftste­ller Italiens, hat seine Berufslauf­bahn als Lehrer begonnen. Seine Romanfigur Pietro ist wie er in Neapel geboren, in der unmittelba­ren Nachkriegs­zeit aufgewachs­en und später nach Rom gezogen.

Bekannt in Italien ist auch Starnones Ehefrau, die Übersetzer­in Anita Raja. Von ihr hieß es vor einigen Jahren, sie sei die wahre Elena Ferrante, also die nur unter Pseudonym schreibend­e Erfolgsaut­orin („Meine geniale Freundin“). Bestätigt wurde das nie. Doch auch Starnone zählt zum Kreise derjenigen, die das italienisc­he Feuilleton schon für die wahren Autoren der „Genialen Freundin“gehalten hat. (dpa)

Domenico Starnone: Im Vertrauen. Verlag Klaus Wagenbach, 168 Seiten, 20 Euro

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VERLAG KLAUS FOTO: WAGENBACH/DPA Domenico Starnone spielt in seinem Liebesroma­n mit Identitäte­n.

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