Schwäbische Zeitung (Biberach)
Wo sind die Zeiger von St. Martin hin?
In der Bibel, im Buch Prediger, steht der bekannte Satz: „Alles hat seine Zeit.“Für die Turmuhr unserer Stadtpfarrkirche St. Martin trifft das im Moment nicht zu. Sie ist zeitlos. Darauf macht Friedrich Lechner, Pfarrer im Ruhestand aus Biberach, in einer Mail an die SZ-Redaktion aufmerksam. Und tatsächlich: An der Turmseite zum Schadenhof prangt nur noch das Zifferblatt – ohne Zeiger.
„Zuerst dachte ich: Wie schön, endlich einmal eine Uhr, die die Ewigkeit anzeigt“, schreibt Pfarrer Lechner weiter. „Dann aber kam mir der Gedanke, irgendwer oder irgendetwas hat uns die Zeit gestohlen. Oder ist sie gar verflogen? Aber wohin?“
Auf alle Fälle ist unsere Kirche jetzt zeit-los, aber sie ist und bleibt zeitgemäß. Und Corona lässt uns manchmal spüren, als wäre die Zeit stehengeblieben. Und keiner käme auf die Idee zu sagen: Mensch, wie die Zeit vergeht!
Und wenn es keine Zeit mehr gibt, dann greift auch kein gutgemeintes Sprichwort mehr, wie „die Zeit heilt Wunden“, auch keine Corona-Wunden.
Ja, und ohne Zeit gibt es dann auch keine Zeit-Zeugen mehr. Die Einzigen,
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die entspannt sein könnten wären die, die sagen „ich habe keine Zeit.“Warum entspannt? Weil ich etwas, was ich nicht habe, auch nicht berücksichtigen muss, es existiert ja nicht. Und was nicht da ist, kann ich auch nicht einteilen.
Nun, ich möchte jetzt nicht zu viel Zeit verschwenden mit meiner Zeitreise.
Und ich hoffe, die Zeit kehrt bald wieder an ihren Platz zurück. Bis dahin beruhige ich mich mit dem bekannten Sprichwort: „Dem Glücklichen schlägt keine Stunde – der Unglückliche hat keine Uhr.“
Was aber genau ist nun mit den Zeigern passiert? Der evangelische Stadtpfarrer Ulrich Heinzelmann gibt auf Nachfrage der SZ Auskunft: „Bei einer Begutachtung wurde vor etwa drei Wochen festgestellt, dass die Befestigung der Zeiger völlig ausgeleiert war und deswegen die Zeiger ,abzustürzen’ drohten, etwa bei starkem Wind. Deswegen wurden sie sicherheitshalber entfernt und werden im Zuge der Turmsanierung wieder angebracht – also voraussichtlich 2022.“
Wäre ja auch noch schöner, wenn jemand von der verlorenen Zeit am Kopf getroffen würde.