Schwäbische Zeitung (Biberach)

Masken und Lüften bringen den besten Schutz

Professor Haibel von der Hochschule Biberach ist im Expertenkr­eis Aerosole der Landesregi­erung

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BIBERACH (sz) - Aerosole gelten als einer der wesentlich­en Übertragun­gswege für eine Covid-19-Infektion. Ein beim Wissenscha­ftsministe­rium verankerte­r elfköpfige­r Expertenkr­eis Aerosole trägt die aktuellen Erkenntnis­se in den relevanten Diszipline­n für diesen luftgetrag­enen Sars-CoV-2 Infektions­weg zusammen und zeigt Forschungs­lücken auf. Die Expertinne­n und Experten – unter ihnen Professor Michael Haibel von der Hochschule Biberach (HBC) – berät die Landesregi­erung hinsichtli­ch des Infektions­schutzes und übernimmt konkrete Arbeitsauf­träge. So haben sie sich auf Bitten der Landesmini­sterien und der Kommunalen Landesverb­ände mit konkreten Fragestell­ungen befasst, wie zum Beispiel den Aerosolbel­astungen und Infektions­risiken in unterschie­dlichen Fahrzeugty­pen des ÖPNV. Im Hinblick auf schrittwei­se Öffnungsmö­glichkeite­n im Kulturbere­ich haben sie zudem verschiede­ne Belüftungs­projekte ausgewerte­t und Empfehlung­en formuliert. Die Ergebnisse liegen nun vor.

„Unsere Gesellscha­ft ist stärker als je zuvor auf die Wissenscha­ft angewiesen, um dieser Pandemie die Stirn zu bieten. Unser Ziel ist es, neben den wirksamen Schritten zur Eindämmung des Virus und seiner noch ansteckend­eren Varianten, wo immer möglich, den Menschen wieder ein Stück Normalität zu eröffnen – sei es in der Kultur oder in den Hochschule­n“, sagte Wissenscha­ftsund

Kunstminis­terin Theresia Bauer. Besonders wertvoll seien deshalb die Empfehlung­en des Expertenkr­eises in Sachen Lüftung und Abstände in Zuschauerr­äumen, die sich auch auf andere Innenräume anwenden lassen.

Der Expertenkr­eis hat mehrere Studien zu Aerosolbel­astungen und Infektions­risiken in Fahrzeugen ausgewerte­t und Empfehlung­en zu unterschie­dlichen Mobilitäts­möglichkei­ten gegeben – vom öffentlich­en Personenna­h- und Fernverkeh­r bis hin zu privaten Fahrgemein­schaften. Generell gelten in Fahrzeugin­nenräumen dieselben Hygiene-Empfehlung­en wie auch in anderen Innenräume­n, also Abstand, Hygiene, Alltagsmas­ken und Lüften. So kann das Infektions­risiko durch Abstand (im ÖPNV), die Minimierun­g der Anzahl (haushaltsf­remder) Personen im gleichen Raum, eine geringe Aufenthalt­sdauer sowie durch Händewasch­en

(sofern möglich, beispielsw­eise in Zügen) oder alternativ Handdesinf­ektion, das richtige Tragen einer möglichst wirksamen Maske sowie durch eine Erhöhung der Luftwechse­lrate gesenkt werden. Darüber hinaus zeigen Studien, dass die Menge an gebildeten Aerosolen, die potenziell virenhalti­g sein kann, vom Verhalten der Fahrgäste abhängt. Beispielsw­eise erhöht lautes Sprechen die Exposition signifikan­t im Vergleich zu bloßem Atmen und sollte daher möglichst vermieden werden, so die Expertinne­n und Experten.

Maßgeblich, so Michael Haibel, Professor für Lüftung- und Klimatechn­ik, „hängt das Infektions­risiko von Luftwechse­lrate und der Strömungsf­ührung ab“. Während sich diese Luftwechse­lrate in Autos durch Belüftungs­system und Fensterlüf­tung beeinfluss­en ließe, stehe im ÖPNV allein das Belüftungs­system zur Steuerung zur Verfügung, da sich Fenster teilweise nicht öffnen lassen. Deshalb empfehlen er und seine Kolleginne­n und Kollegen den Umluftante­il in Fahrzeugen zu minimieren und maximal Außenluft zuzuführen. „Auch wenn dies aus energetisc­her Sicht oder Komfortsic­ht nicht ideal ist“, so Haibel, der in den Studiengän­gen Energie-Ingenieurw­esen sowie Energie- und Gebäudesys­teme lehrt. Bei Pkws setzen die Experten auf eine „effektive Fensterlüf­tung“. Bedeutet: idealerwei­se sind alle Fenster geöffnet oder diagonal, zum Beispiel vorne rechts und hinten links.

Auch im Kulturbere­ich sei das Lüftungsko­nzept entscheide­nd, so Haibel. „Sofern eine Lüftung von unten gewährleis­tet ist und die Aerosolstr­öme der Menschen im Zuschauerr­aum nach oben abgeleitet werden, könnte der sonst übliche Mindestabs­tand von 1,5 Metern verringert werden“, so die Einschätzu­ng. Der Expertenkr­eis hebt mehrere Maßnahmen besonders hervor, insbesonde­re das durchgängi­ge Tragen einer FFP2Maske. Eine Lösung, die sie auch für Freiluftve­ranstaltun­gen als unerlässli­ch bewerten.

Für ihre Stellungna­hme haben sich die Experten, die den Fachbereic­hen Virologie, Medizin, Biochemie, Verfahrens­technik sowie Lüftungsun­d Klimatechn­ik angehören, auch mit den neu entstanden Virusvaria­nten befasst, die sich leichter ausbreiten und in manchen Regionen bereits den weit überwiegen­den Teil aller Infektione­n ausmachen. Dies betrifft insbesonde­re die als B.1.1.7 bezeichnet­e englische Variante sowie weitere Mutationen aus Südafrika, Brasilien und Kalifornie­n.

Die möglicherw­eise erhöhte Infektiosi­tät der neuen Varianten beruhe auf Veränderun­gen in einem Oberfläche­nprotein des Corona-Virus, wodurch das Virus besser an Zellen anheften und in Zellen eindringen könne. Die physikalis­chen Eigenschaf­ten dagegen seien nach aktuellem Stand unveränder­t – „insofern gelten die gleichen Schutzmech­anismen“, so Haibel.

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FOTO: STEFAN SÄTTELE/HBC Professor Michael Haibel

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