Schwäbische Zeitung (Biberach)
Zusammenhalt in den Musikvereinen ist groß
Werden die Chöre und Orchester nach dem Ende der Pandemie weniger Mitglieder haben?
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REGION - Wenig ist dem Schwaben neben der Familie so wichtig wie sein Verein. Geschätzt jeder Zweite ist entweder im Sport- oder Musikverein. Seit März 2020 sind jedoch weder Proben noch Training möglich – und die meisten Musikvereine fürchten, dass wenn es dann irgendwann mal wieder losgeht, viele frühere Mitglieder nicht mehr zu den Proben erscheinen werden.
Diese Sorge treibt auch Andreas Bitterwolf um. Er ist Vorsitzender des Musikvereins Unteressendorf. Bitterwolf erinnert sich noch genau, wie im März vor einem Jahr ganz plötzlich erst mal gar keine Treffen mehr möglich waren. „Am 3. Juli haben wir dann wieder mit Proben angefangen, wobei das natürlich ganz anders als sonst ablief.“Geprobt wurde von Juli bis September in der Gemeindehalle, mit großem räumlichen Abstand zwischen den Musikern und maximal 30 anstatt 45 Musikern. „Schon damals ging es uns darum, die Kameradschaft am Leben zu erhalten, denn Auftritte, auf die man sonst immer hin geprobt hatte, gab es ja nun nicht mehr“, erinnert er sich. Um das Gemeinschaftsgefühl nicht zu verlieren, habe der Verein auch einmal ein besonderes Projekt gestartet: Jeder Musiker nahm von einem neuen Stück seine Stimme separat mit dem Video auf und das Ganze wurde dann zu einem Video zusammengebastelt. „Das war eine super Sache, aber eben einmalig“, so der Vorstand.
Doch nun, seit einem halben Jahr, sind überhaupt keine Proben mehr möglich. Manch einen sehe er ab und zu im Dorf. Je länger die Corona-Pandemie aber nun andauere, umso größer sei die Gefahr, dass ein Teil der Musiker danach nicht mehr zurückkehre. „Wenn wir wieder anfangen,
ANZEIGE wird daher nicht das stundenlange Musizieren im Vordergrund stehen, sondern es wird darum gehen, wieder eine Gemeinschaft aufzubauen. Die Musikprobe soll ein Ort des Austauschs sein, wo man zusammenkommt und Menschen trifft, mit denen man gerne Zeit verbringt.“Allerdings wisse er auch von einigen Kameraden, dass sie es kaum noch erwarten könnten, endlich wieder mit dem Proben anzufangen. Vor Herbst rechne er jedoch nicht damit, wieder loslegen zu können.
Positiv überrascht von der Entwicklung ist hingegen Matthias Wolf. Der Dekanatskirchenmusiker leitet in Bad Schussenried den Chor und das Orchester der Sankt-MagnusKirche. Für Kirchenmusiker gelten die Regeln der jeweiligen Diözese.
Und diese besagen, dass ein Kirchenchor unter bestimmten Bedingungen auch in der Pandemie einen Gottesdienst begleiten darf. Die Gemeinde dagegen darf nicht singen. 75 Mitglieder hat der Chor eigentlich. 40 davon haben sich bereit erklärt, auch in diesen besonderen Zeiten weiterhin Musik zu machen. Je nach Pandemiesituation dürfen vier, acht oder sogar zwölf von ihnen auf der Empore singen, während Matthias Wolf an der Orgel sitzt. „Und das klappt überraschend gut. Die Gottesdienstbesucher melden mir zurück, dass sie sehr froh sind, Musik zu hören, und meine Musiker zeigen eine ganz große Bereitschaft, jeden Sonntag in der Kirche neben mir zu stehen“, sagt Wolf.
Gesungen wird dabei nicht nur das Repertoire der vergangenen Jahre,
sondern es werden sogar neue Stücke einstudiert. „Ich habe ein Notenprogramm, in das ich eine Partitur reinschreiben kann und daraus kann ich dann die einzelnen Stimmen herausziehen und meinen Sängern zuschicken. Und diese müssen sie dann zu Hause allein einüben. Das klappt aber erstaunlich gut.“Kurz vor dem Gottesdienst treffe man sich dann noch zu einer kurzen Probe. Parallel dazu schreibe der Vorstand einmal wöchentlich eine EMail, um alle Chormitglieder auf dem Laufenden zu halten. „Im Moment mache ich mir daher überhaupt keine Sorgen, dass irgendjemand abspringt. Ich habe sogar Anfragen auf Neuaufnahmen für den Chor“, so Wolf. Kommende Woche wolle er während des Gottesdienst auch ein paar Streicher aus dem Orchester miteinbeziehen. Diesen ist es nach den kirchlichen Verordnungen ebenfalls erlaubt zu musizieren.
44 Mitglieder hat der Männergesangsverein Steinhausen-Muttensweiler. Der Wunsch, auch in Zukunft wieder gemeinsam zu singen, ist laut dem Vorsitzenden Josef Schneiderhan bei den meisten immer noch da. Nach dem Ende des ersten Lockdowns erstellte der Verein ein eigenes Hygienekonzept und probte den ganzen Sommer über in Kleingruppen. Und unter Beachtung der damals geltenden Hygiene- und Abstandregeln seien die Sänger damals sogar nach den Proben noch zusammen eingekehrt. Geprobt wurde damals für ein kleines Konzert, das dann jedoch abgesagt werden musste.
„Als im Dezember dann der zweite Lockdown kam, sind drei der älteren Mitglieder ausgetreten, zum Teil ihres Alters wegen, zum anderen weil sie Angst vor einer Ansteckung hatten“, erinnert sich Schneiderhan. Im Moment halte man den Kontakt über WhatsApp-Gruppen und EMails. Vergangenes Wochenende sei ein großer Teil des Chors bei einem Requiem eines verstorbenen Chormitglieds zusammengekommen. Zwei Mal im Quartal begleite ein Teil der Sänger einen Gottesdienst in der Wallfahrtskirche in Steinhausen. „An den Rückmeldungen merke ich, dass die Begeisterung am Singen nicht nachgelassen hat. Und wir sind optimistisch, dass wir im Herbst wieder ein Konzert geben können“, so der Vorsitzende.