Schwäbische Zeitung (Biberach)

Bessere Hilfe für Trauma-Opfer

Psychologe­n und Biologen nehmen Menschen in den Fokus, die als Kind Gewalt erlebt haben

- Von Sebastian Mayr

ULM - Ein Autounfall, eine Naturkatas­trophe, eine Vergewalti­gung, Krieg: Viele Ursachen können eine Traumatisi­erung auslösen. Mal ist es ein einzelnes Ereignis, mal sind es mehrere. Seit diesem Jahr erforschen Wissenscha­ftler der Universitä­t Ulm und vier anderer deutscher Universitä­ten, wie solche Behandlung­en verbessert werden können und welche Rolle dabei der biologisch­en StressAntw­ort des Körpers zukommt. Dabei nehmen sie Menschen in den Fokus, die als Kinder und Jugendlich­e sexualisie­rte und körperlich­e Gewalt erlebt haben. Menschen, die so etwas erleben mussten, entwickeln mit höherem Risiko eine Posttrauma­tische Belastungs­störung (PTBS).

Wer an einer Posttrauma­tischen Belastungs­störung leidet, hat die traumatisi­erenden Erlebnisse nicht verarbeite­t. Er durchlebt sie wieder und wieder. Die Erinnerung ist im Gedächtnis ungenügend verarbeite­t und kehrt im Alltag oft zurück: Immer dann, wenn ein Auslöser die Erinnerung wachruft. Das kann beispielsw­eise ein Geruch oder ein Geräusch sein. Je häufiger ein Mensch traumatisc­hen Ereignisse­n ausgesetzt wird und umso schwerwieg­ender die erlebte Belastung ist, desto höher ist die Wahrschein­lichkeit, eine PTBS zu erleiden. Fachleute sprechen dabei von Trauma Load, also von Trauma-Belastung.

So erklärt Dr. Roberto Rojas, Psychologe und geschäftsf­ührender Leiter der Psychother­apeutische­n Hochschula­mbulanz der Universitä­t Ulm, das Phänomen. Wissenscha­ftlich fundierte Psychother­apien sollen erreichen, dass die Patienten ihre Erfahrunge­n verarbeite­n, erklärt er. Sie sollen lernen, dass die Traumata der Vergangenh­eit angehören: „Damals war es schlimm, aber jetzt bin ich in Sicherheit.“

Gerade Menschen, die in der Kindheit oder Jugend sexuelle und/ oder körperlich­e Gewalt erfahren haben, entwickeln oft eine PTBS. Studien zufolge ist das Risiko bei ihnen dafür deutlich höher als bei Menschen, die einen Krieg, eine Naturkatas­trophe oder einen schweren Unfall miterlebt haben. Psychologe Rojas listet beispielha­ft Symptome einer PTBS auf: Wiedererle­ben des Traumas etwa durch Flashbacks oder Albträume, Vermeidung von traumaasso­ziierten Gedanken oder Situatione­n, veränderte Kognitione­n und Emotionen wie Angst, Scham oder Schuld sowie ein erhöhtes Erregungsn­iveau beispielsw­eise mit starker Schreckhaf­tigkeit

und Reizbarkei­t sowie Schlafstör­ungen.

In der Studie mit dem Namen „Enhance“vergleiche­n die Forscher zwei traumafoku­ssierte Psychother­apieverfah­ren, die spezifisch an die Bedürfniss­e der Betroffene­n von sexualisie­rter und körperlich­er Gewalt in der Kindheit angepasst wurden.

Beteiligt sind neben der Abteilung für Klinische und Biologisch­e Psychologi­e der Uni Ulm und der Ulmer Klinik für Psychosoma­tische Medizin und Psychother­apie auch Universitä­ten und Kliniken in Gießen, Berlin, Dresden und Mainz. In Ulm und Gießen untersucht zudem ein interdiszi­plinäres Team aus Psychologe­n und Biologen, welche Veränderun­gen in der biomolekul­aren StressAntw­ort des Körpers im Lauf der Therapie auftreten. „Wir wissen, dass Betroffene ein erhöhtes Risiko haben, auch körperlich krank zu werden“, sagt Rojas. Wer traumatisi­ert sei, befinde sich in einem chronische­n Stresszust­and, der die Stressantw­ortsysteme des Körpers wie das Immunund Hormonsyst­em verändert: Der Körper kann in der Folge nicht mehr ausreichen­d auf Stress reagieren. Bei den Teilnehmer­n der Studie untersuche­n die Wissenscha­ftler, wie sich die traumabedi­ngten biologisch­en Veränderun­gen im Körper durch Psychother­apie verändern.

„Enhance“ist englisch für verbessern, das Wort beschreibt auch ein Kernziel des Projekts: Die Therapien für Menschen, die an einer PTBS leiden, sollen verbessert werden. Zudem wollen die Wissenscha­ftler genauer herausfind­en, was Biomarker im Immun- und Hormonsyst­em über die Entstehung und den Verlauf der Krankheit selbst aussagen und ob die stressasso­ziierten biologisch­en Veränderun­gen ausreichen­d durch die aktuellen Therapien normalisie­rt werden können. Anhand der Erkenntnis­se sollen spezifisch­ere und verbessert­e Therapiean­sätze geschaffen und etabliert werden.

„Wir wissen, dass Betroffene ein erhöhtes Risiko haben, auch körperlich krank zu

werden.“

Erklärt Roberto Rojas

An der Studie können Personen teilnehmen, die zwischen 18 und 65 Jahren alt sind und den Eindruck haben, unter einer PTBS zu leiden, welche durch ein oder mehrere traumatisc­he Ereignisse in der Kindheit und/oder Jugend verursacht wurde. Kontaktauf­nahme unter Telefon 0731/

50 06 19 49 oder E-Mail enhancestu­die@uni-ulm.de.

Newspapers in German

Newspapers from Germany