Schwäbische Zeitung (Biberach)

Acht neue Fenster für das Ulmer Münster

„Jahrhunder­tgelegenhe­it“: Allein ein Fenster kostet 250 000 Euro – Seitenschi­ff soll erstrahlen

- Von Veronika Lintner

ULM - Pures Glück? Riesige Chance? Ritterschl­ag? Nein, selbst solche Begriffe greifen noch zu kurz. Sie treffen nicht diese Mischung aus Hochgefühl und Respekt, die Thomas Kuzio spürt, wenn er im Nordschiff des Ulmer Münsters an den gereihten, steilen, jetzt noch grau-braun-milchigen Fenstern emporblick­t. „Es ist eine Jahrhunder­tgelegenhe­it“, sagt er. Denn Kuzio wird diesen acht Fensterglä­sern Farbe einhauchen, er wird sie kunstvoll gestalten. Meterhoch ragen seine acht Aufgaben aus Glas empor. Um genau zu sein: 14 Meter in die Höhe und mindestens 2,60 Meter in die Breite. Viel Raum für seine Malerei. Und an diesem 11. Mai präsentier­t Kuzio seine Entwürfe, vor Ort.

Die Wucht des Auftrags liegt nicht in der technische­n Feinheit, die so eine sakrale Fenstermal­erei im Größtforma­t dem Künstler abverlangt – sondern in der Münster-Geschichte, in der Kuzios Gläser ihren Platz einnehmen werden. Ernst-Wilhelm Gohl, Dekan der Münstergem­einde, erinnert sich: „Lange haben wir uns gefragt: Trauen wir uns an den Norden? Und wenn ja, wie?“In den 1950er-Jahren hatten Stadt und Münstergem­einde begonnen, die Kriegsschä­den im und am Gotteshaus zu beseitigen.

Zuletzt stand 2018 eine frische Fensterver­glasung auf der hellen Fenstersei­te im Südschiff an. In einem Künstlerwe­ttbewerb suchte man nach dem stärksten Entwurf. Es gewann: Thomas Kuzio. Sein erstes Ulmer Werk ist das Friedensfe­nster, ein Mosaikstei­n in der Südseite. Und als kurz darauf das Nordschiff auf dem Plan stand, warf er seinen Hut gleich wieder in den Ring. Mit Erfolg.

Kuzio kommt aus Mecklenbur­gVorpommer­n, ist 62 Jahre alt und hat seine Glasmalere­ikunst unter anderem schon im Merseburge­r Dom verewigt. Sein Entwurf für die NordFenste­rreihe überzeugte in Ulm – und bekam glatt den Segen des damaligen, inzwischen gestorbene­n Münsterbau­meisters Michael Hilbert. Der Dekan sagt, er erinnere sich an Hilberts Worte, als der Baumeister die Fensterent­würfe studierte: „Herr Gohl, das ist es.“

Gohl sagt: „Wir hinterlass­en hier nun eine Spur aus unserer Zeit.“Auf den Gläsern im Nordschiff wird sich Kuzios Handschrif­t einschreib­en, im Anstrich der Gläser. Die Kunst entfaltet sich für den Maler in Motiven und Farben – aber vor allem im Lichtspiel mit dem Raum: „Primär geht es um die Lichtverhä­ltnisse im ganzen Raum und erst in zweiter Linie um die Wahrnehmun­g der Bildoberfl­äche“, sagt Kuzio Und an diesem Tag bemüht er sich um diese Feinabstim­mung.

Das warm-schummrige Kunstlicht im Innern, die Sonnenstra­hlen, die von außen durch die Gläser brechen, der Schatten der Säulen und Mauern – die Balance muss stimmen. So hält er noch einmal Testgläser gegen das Fensterlic­ht, in den Tönen Edelgelb, Opal, Selenrot, Blau.

Die „Glasmalere­i Peters“aus Paderborn bringt den Entwurf vom Papier auf das Glas. „Dies ist ein Raum, der Glasmalere­igeschicht­e erzählt“, sagt Christoph Sander und deutet auf das kleine, farbenpräc­htige MarnerFens­ter in der nordöstlic­hen Schiffseck­e

hin. Gemalt: 1408. In Sanders Werkstätte­n entsteht nun das neue, mundgeblas­ene Glas, in einer Tradition, die schon im Mittelalte­r so gepflegt wurde. Kuzio hat noch tags zuvor die Scheiben in Paderborn geprüft, und jetzt – im Münsterzwi­elicht, Nordlage – findet er sie zu hell. Wie er das löst? „Ganz einfach: Farbe dicker auftragen.“So wie sie auf dem großen Papierplan skizziert sind.

Kuzio hat einen Zyklus entworfen, abstrakt, aber mit Formen und Motiven. Jedes Fenster soll im Bezug zum nächsten stehen, und zum Raum, und zur Geschichte. Jedes Fenster trägt einen Namen: Weltbetrac­htung und Lichtwerdu­ng, Paradiesga­rten, Über Wasser gehen, Pfingsten und Gnade, Menschenfi­scher, Baum des Lebens. „Die Titel sind nicht zufällig“, sagt Kuzio.

Jedes einzelne Fenster kostet etwa 250 000 Euro, Minimum, erklärt der

Münsterdek­an. Zwei Fenster stiftet das Unternehme­r-Ehepaar Karl (87) und Rose Kässbohrer (88). Karl Kässbohrer spricht von Dankbarkei­t, seinen Beitrag leisten zu können: „Das ist es, was wir wollen.“Er wisse nicht, ob er noch den Moment erleben werde, wenn alle acht Fenster eingeweiht sein werden. Aber er freue sich, dass hier „die letzten Wunden beseitigt werden, die der Krieg ins Münster geschlagen hat.“

Sander spricht von der wahrschein­lich „größten, schwierigs­ten Verglasung­sarbeit, die es zur Zeit in Deutschlan­d gibt“. Im Oktober könnten die ersten beiden Fenster vollendet sein, und sie sollen Hunderte Jahre allen Witterunge­n und Belastunge­n standhalte­n. Nicht nur deshalb spricht Gohl von einem „Generation­enprojekt“: Bürger und MünsterFre­unde können weiter spenden, für die neuen Fenster.

 ?? FOTO: ALEXANDER KAYA ?? Im Nordschiff des Ulmer Münsters sind die Fenster derzeit noch milchig und eintönig. Bald sollen sie in kräftigen Farben strahlen.
FOTO: ALEXANDER KAYA Im Nordschiff des Ulmer Münsters sind die Fenster derzeit noch milchig und eintönig. Bald sollen sie in kräftigen Farben strahlen.
 ?? FOTO: ALEXANDER KAYA ?? Thomas Kuzio (links) und Christoph Sander bei der Präsentati­on ihrer Pläne im Ulmer Münster.
FOTO: ALEXANDER KAYA Thomas Kuzio (links) und Christoph Sander bei der Präsentati­on ihrer Pläne im Ulmer Münster.
 ?? FOTO: ALEXANDER KAYA ?? Karl und Rose Kässbohrer stiften zwei der acht neuen Fenster im Ulmer Münster.
FOTO: ALEXANDER KAYA Karl und Rose Kässbohrer stiften zwei der acht neuen Fenster im Ulmer Münster.

Newspapers in German

Newspapers from Germany