Schwäbische Zeitung (Biberach)
Wenn das Babyglück überschattet ist
Betroffene gründet Selbsthilfegruppe für Mütter, die perinatale Krisen erlebt haben
●
REGION - Wenn ein Baby auf die Welt kommt, ist das überwältigend: Die Vorfreude, die Anstrengung, die Schmerzen und das bange Hoffen darauf, dass alles gut geht. Doch manche Frauen erleben auch Traumatisches, was das Mutterglück überschattet. Das alles hat Folgen. Für die Psyche, für das Kind, für die Partnerschaft. Die Temmenhauserin Heidemarie Schmid will genau über solche Erlebnisse mit anderen Frauen sprechen und ein Tabuthema öffentlich machen. Unter anderem über eine Selbsthilfegruppe bietet sie Hilfe an. Nun wollen sich die Frauen das erste Mal treffen und sie suchen im Alb-Donau-Kreis und Ulm weitere Mütter, die sich anschließen wollen.
Vor rund drei Jahren kam Heidemarie Schmids eigenes Kind in einem Krankenhaus im östlichen Teil Deutschlands auf die Welt. So weit so unspektakulär. Doch die Geschichte dieser Geburt hat es für sie in sich. Heidemarie Schmid, die im Alb-Donau-Kreis aufgewachsen ist, und ihr Partner haben die Zeit der Schwangerschaft ganz bewusst erlebt. Das Paar entschied sich für ein Geburtshaus. Im Detail klärte die Hebamme sie über alle Eventualitäten auf und auch darüber, dass der Punkt kommen könnte, an dem die Verlegung ins Krankenhaus unausweichlich ist.
Bei den ersten Wehen fuhren die beiden los. Es folgten 30 schwierige Stunden. „Es kam zum Geburtsstillstand und die Fruchtblase musste manuell geöffnet werden“, erinnert sich Heidemarie Schmid. Irgendwann entschieden die Hebamme und das Paar, dass eine Verlegung ins Krankenhaus geboten ist. Und damit begann für Heidemarie Schmid eine „Tortur“. „Bis dahin haben wir uns gut begleitet gefühlt. Doch bei Betreten der Klinik kam der Totalabfall.“Es haperte an der Betreuung und an der Kommunikation mit der Gebärenden und deren Partner. Auf den eigentlichen Plan der Hebamme des Geburtshauses und des Paares – PDA und Wehentropf – gingen Ärzte und Hebammen in der Klinik kaum ein. Schnell war die Rede vom Kaiserschnitt. „Uns fehlten die Infos, es gab unschöne Streitgespräche“, erzählt Heidemarie Schmid. „Und wir waren in massiver Sorge um das Kind.“
Um einen kleinen Rest Selbstbestimmtheit kämpften ihr Partner und sie wie die Löwen. Beispielsweise auch darum, dass der Kindsvater dem Kind nach der Entbindung nicht von der Seite weicht, was in dem Krankenhaus bis dahin eigentlich nicht üblich war.
Hätte Heidemarie Schmid nach diesem Geburtserlebnis direkt in ihr geschütztes Zuhause können, wäre vielleicht vieles in Ordnung gekommen. Doch nach der Operation musste sie noch knapp eine Woche bleiben, denn das Baby hatte erhöhte Temperatur und auch das Stillen wollte anfangs nicht so recht klappen. Erst nach langem Fordern bekam sie eine Stillberatung. Ein weiterer Kampf, der aber in dem Krankenhaus inzwischen dazu geführt hat, dass diese Beratung nun zum Standard auf der Wöchnerinnenstation gehört.
„Nach sechs Tagen durften wir nach Hause und von da an ging es bergauf“, schaut sie zurück und ergänzt: „Diese Woche war die schlimmste Erfahrung, die ich in meinem Leben hatte.“Dabei wusste Heidemarie Schmid sehr wohl, was auf sie zukommt, denn sie hat als Sozialarbeiterin und systemische Therapeutin einen fachlichen Hintergrund. „Aber die Mitarbeiter im Krankenhaus haben mir meinen goldenen Moment genommen“, fasst sie das Erlebte zusammen und weiß auch, dass sie die Erlebnisse verarbeiten konnte, weil sie in ihrem Fordern vehement blieb. „Viele Frauen aber vertrauen dem System und sind ihm ausgeliefert“, erklärt sie und geht noch einen Schritt weiter: „Wir haben in der Geburtshilfe ein strukturelles Problem und das gehen wir menschlich einfach nicht an.“Dabei seien Frauen genau im Moment der Geburt und den Tagen danach so sensibel und verletzlich.
Einige brauchen dann schnelle Hilfe in einer akuten Krise mit einem möglichst niedrigschwelligen Angebot, das Heidemarie Schmid unter anderem über das Engagement im Verein „Schatten und Licht – Initiative peripartale psychische Erkrankungen“und bei „Mother Hood“bieten will.
Die nun gegründete Selbsthilfegruppe ist eine weitere Möglichkeit für betroffene Frauen. „Eine Infoquelle und ein Bindeglied zu anderen Betroffenen“, sagt Heidemarie Schmid. Seit einem Jahr plant sie die Gründung und wirbt für das Thema. Erst jetzt melden sich langsam die ersten Frauen. Denn das Thema sei nach wie vor in einem Graubereich. Dabei muss es nicht bei jeder Mutter zu Problemen wie beispielsweise zu Bindungsstörungen zum Kind gekommen sein. Manche müssen einfach über ihre Erfahrungen und das Erlebte sprechen, um es zu verarbeiten. „Denn so etwas hinterlässt Spuren“, sagt sie und versichert aber auch, dass die Gruppe ein geschützter Ort ist, an dem man erzählen kann. Sie selbst will die Frauen in dieser Runde mit ihrer „Fachlichkeit auch nicht überrollen“, es geht mehr um den Austausch und das Kennenlernen anderer Betroffener.
Auf jeden Fall sind die Treffen „ein geschützter Ort des Sprechens und der Verschwiegenheit“.
Kontakt zu Heidemarie Schmid ist über perinatal-ulm@posteo.de oder über die Nummer
0170 / 4614027 möglich.