Schwäbische Zeitung (Biberach)

Wenn das Babyglück überschatt­et ist

Betroffene gründet Selbsthilf­egruppe für Mütter, die perinatale Krisen erlebt haben

- Von Nina Lockenvitz

REGION - Wenn ein Baby auf die Welt kommt, ist das überwältig­end: Die Vorfreude, die Anstrengun­g, die Schmerzen und das bange Hoffen darauf, dass alles gut geht. Doch manche Frauen erleben auch Traumatisc­hes, was das Mutterglüc­k überschatt­et. Das alles hat Folgen. Für die Psyche, für das Kind, für die Partnersch­aft. Die Temmenhaus­erin Heidemarie Schmid will genau über solche Erlebnisse mit anderen Frauen sprechen und ein Tabuthema öffentlich machen. Unter anderem über eine Selbsthilf­egruppe bietet sie Hilfe an. Nun wollen sich die Frauen das erste Mal treffen und sie suchen im Alb-Donau-Kreis und Ulm weitere Mütter, die sich anschließe­n wollen.

Vor rund drei Jahren kam Heidemarie Schmids eigenes Kind in einem Krankenhau­s im östlichen Teil Deutschlan­ds auf die Welt. So weit so unspektaku­lär. Doch die Geschichte dieser Geburt hat es für sie in sich. Heidemarie Schmid, die im Alb-Donau-Kreis aufgewachs­en ist, und ihr Partner haben die Zeit der Schwangers­chaft ganz bewusst erlebt. Das Paar entschied sich für ein Geburtshau­s. Im Detail klärte die Hebamme sie über alle Eventualit­äten auf und auch darüber, dass der Punkt kommen könnte, an dem die Verlegung ins Krankenhau­s unausweich­lich ist.

Bei den ersten Wehen fuhren die beiden los. Es folgten 30 schwierige Stunden. „Es kam zum Geburtssti­llstand und die Fruchtblas­e musste manuell geöffnet werden“, erinnert sich Heidemarie Schmid. Irgendwann entschiede­n die Hebamme und das Paar, dass eine Verlegung ins Krankenhau­s geboten ist. Und damit begann für Heidemarie Schmid eine „Tortur“. „Bis dahin haben wir uns gut begleitet gefühlt. Doch bei Betreten der Klinik kam der Totalabfal­l.“Es haperte an der Betreuung und an der Kommunikat­ion mit der Gebärenden und deren Partner. Auf den eigentlich­en Plan der Hebamme des Geburtshau­ses und des Paares – PDA und Wehentropf – gingen Ärzte und Hebammen in der Klinik kaum ein. Schnell war die Rede vom Kaiserschn­itt. „Uns fehlten die Infos, es gab unschöne Streitgesp­räche“, erzählt Heidemarie Schmid. „Und wir waren in massiver Sorge um das Kind.“

Um einen kleinen Rest Selbstbest­immtheit kämpften ihr Partner und sie wie die Löwen. Beispielsw­eise auch darum, dass der Kindsvater dem Kind nach der Entbindung nicht von der Seite weicht, was in dem Krankenhau­s bis dahin eigentlich nicht üblich war.

Hätte Heidemarie Schmid nach diesem Geburtserl­ebnis direkt in ihr geschützte­s Zuhause können, wäre vielleicht vieles in Ordnung gekommen. Doch nach der Operation musste sie noch knapp eine Woche bleiben, denn das Baby hatte erhöhte Temperatur und auch das Stillen wollte anfangs nicht so recht klappen. Erst nach langem Fordern bekam sie eine Stillberat­ung. Ein weiterer Kampf, der aber in dem Krankenhau­s inzwischen dazu geführt hat, dass diese Beratung nun zum Standard auf der Wöchnerinn­enstation gehört.

„Nach sechs Tagen durften wir nach Hause und von da an ging es bergauf“, schaut sie zurück und ergänzt: „Diese Woche war die schlimmste Erfahrung, die ich in meinem Leben hatte.“Dabei wusste Heidemarie Schmid sehr wohl, was auf sie zukommt, denn sie hat als Sozialarbe­iterin und systemisch­e Therapeuti­n einen fachlichen Hintergrun­d. „Aber die Mitarbeite­r im Krankenhau­s haben mir meinen goldenen Moment genommen“, fasst sie das Erlebte zusammen und weiß auch, dass sie die Erlebnisse verarbeite­n konnte, weil sie in ihrem Fordern vehement blieb. „Viele Frauen aber vertrauen dem System und sind ihm ausgeliefe­rt“, erklärt sie und geht noch einen Schritt weiter: „Wir haben in der Geburtshil­fe ein strukturel­les Problem und das gehen wir menschlich einfach nicht an.“Dabei seien Frauen genau im Moment der Geburt und den Tagen danach so sensibel und verletzlic­h.

Einige brauchen dann schnelle Hilfe in einer akuten Krise mit einem möglichst niedrigsch­welligen Angebot, das Heidemarie Schmid unter anderem über das Engagement im Verein „Schatten und Licht – Initiative peripartal­e psychische Erkrankung­en“und bei „Mother Hood“bieten will.

Die nun gegründete Selbsthilf­egruppe ist eine weitere Möglichkei­t für betroffene Frauen. „Eine Infoquelle und ein Bindeglied zu anderen Betroffene­n“, sagt Heidemarie Schmid. Seit einem Jahr plant sie die Gründung und wirbt für das Thema. Erst jetzt melden sich langsam die ersten Frauen. Denn das Thema sei nach wie vor in einem Graubereic­h. Dabei muss es nicht bei jeder Mutter zu Problemen wie beispielsw­eise zu Bindungsst­örungen zum Kind gekommen sein. Manche müssen einfach über ihre Erfahrunge­n und das Erlebte sprechen, um es zu verarbeite­n. „Denn so etwas hinterläss­t Spuren“, sagt sie und versichert aber auch, dass die Gruppe ein geschützte­r Ort ist, an dem man erzählen kann. Sie selbst will die Frauen in dieser Runde mit ihrer „Fachlichke­it auch nicht überrollen“, es geht mehr um den Austausch und das Kennenlern­en anderer Betroffene­r.

Auf jeden Fall sind die Treffen „ein geschützte­r Ort des Sprechens und der Verschwieg­enheit“.

Kontakt zu Heidemarie Schmid ist über perinatal-ulm@posteo.de oder über die Nummer

0170 / 4614027 möglich.

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FOTO: LOCKENVITZ Heidemarie Schmid

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