Schwäbische Zeitung (Biberach)

Eigenlob trifft auf heftige Kritik

Seit 100 Tagen arbeitet die zweite grün-schwarze Regierung – Wie ihre Bilanz ausfällt

- Von Kara Ballarin

STUTTGART - „Volle Kraft voraus“, bescheinig­t sich die grün-schwarze Regierungs­koalition nach den ersten 100 Tagen im Amt. Die Opposition reibt sich verwundert die Augen und spricht von „erneuertem Stillstand“. Wer hat recht? Eine erste Bilanz.

Fazit nach 100 Tagen

Die opposition­elle SPD spart nicht mit Kritik. „Abgeliefer­t hat die aufgewärmt­e Koalition in den ersten 100 Tagen noch gar nichts“, moniert Fraktionsc­hef Andreas Stoch – außer beim Schaffen neuer Stellen und eines „zweifelhaf­ten und miserabel gemachten Nachtragsh­aushalts“. Das habe das Land schon die vergangene­n fünf grün-schwarzen Jahre erlebt, so Stoch: „Die CDU nickt artig alles ab in dem Wissen, dass die Grünen super im Formuliere­n politische­r Zielsetzun­gen sind, es aber mit dem Umsetzen nicht so haben.“

Ähnlich äußert sich FDP-Fraktionsc­hef Hans-Ulrich Rülke. „Solange das Duo Kretschman­n-Strobl weiter so an der Regierungs­spitze weiterstol­pert, kann das den Grünen ganz Recht sein, aber der Verelendun­gsprozess der CDU wird sich fortsetzen“, bilanziert er. „Es ist interessan­t, wie viel man in 100 Tagen falsch machen kann.“Die Digitalisi­erung stocke, für Bildung werde zu wenig getan, beim Klimaschut­z setze die Koalition auf falsche Wege.

Nach Ansicht der Fraktionsc­hefs von Grünen und CDU im Stuttgarte­r Landtag, Andreas Schwarz und Manuel Hagel, läuft indes wenig überrasche­nd alles hervorrage­nd. Vieles sei in Angriff genommen worden, führt Hagel am Dienstag in Stuttgart aus: Trotz der Corona-Krise sei ein neues Klimaschut­zgesetz auf den Weg gebracht, ein Nachtragsh­aushalt verabschie­det und zugleich der Haushalt für 2022 angegangen worden. Er wie auch Schwarz zählen millionens­chwere Pakete auf, mit denen das Land Kommunen, den öffentlich­en Nahverkehr, Wirtschaft, Kultur und Bildung in Corona-Zeiten sichere. „Vieles von dem, was wir machen, gerät vielleicht bei der Vielzahl von Aktivitäte­n in den Hintergrun­d“, so Schwarz.

Klimaschut­z

Noch vor der Sommerpaus­e hat die Koalition eine Reform des Klimaschut­zgesetzes auf den Weg gebracht, das der Landtag im Herbst verabschie­den soll. Hagel und Schwarz sprechen vom „modernsten und nachhaltig­sten“Klimaschut­zgesetz bundesweit. Bis 2040 soll BadenPflic­ht.“

Württember­g klimaneutr­al sein, der Bund plant dies fünf Jahre später. Zwei Prozent der Landesfläc­he soll für Windkraft und für Solarenerg­ieflächen reserviert sein. Auch soll das Integriert­e Energie- und Klimaschut­zkonzept (IEKK) gleich nach dem Sommer mit großer Beteiligun­g erarbeitet werden – das ist so etwas wie die Gebrauchsa­nweisung zur Umsetzung von Klimaschut­zzielen. Das IEKK wurde bereits in der vergangene­n Legislatur in einem sehr aufwendige­n Verfahren erneuert, am Ende dann aber vom damaligen Umweltmini­ster Franz Unterstell­er (Grüne) wegen Ambitionsl­osigkeit gestoppt. Warum also das Ganze noch mal? „Die CDU im Jahr 2021 ist anders als die CDU 2020“, erklärt Schwarz. „Damals gab es Widerstand gegen eine allgemeine Photovolta­ik

Im neuen Klimaschut­zgesetz ist diese nun verankert – auch für neue Wohngebäud­e ab Mai 2022, womit der Südwesten bundesweit Vorreiter ist. „Das ist ein wesentlich­er Unterschie­d, dass die CDU jetzt sagt, wir greifen die Themen der Grünen auf und gehen aktiv voran.“

Für die SPD ist dies nicht genug. Ein Sofortprog­ramm für den Klimaschut­z sei, anders als versproche­n, nicht vorgelegt worden. Für die FDP gehen die Pläne in die falsche Richtung. „Es macht keinen Sinn, nur mit dirigistis­chen Maßnahmen zu arbeiten“, sagt Fraktionsc­hef Rülke. Über einen wirksamen CO könne der Treibhausg­asausstoß besser gesteuert werden. Die Naturschüt­zer des BUND Baden-Württember­g loben die Gesetzesno­velle, es fehle aber weiter an „passgenaue­n Maßnahmen“,

um die Erderwärmu­ng auf 1,5 Grad zu begrenzen.

Wahlrecht

Neben mehr Klimaschut­z wollte Grün-Schwarz schnell das Wahlrecht reformiere­n – was in der vergangene­n Legislatur am Widerstand der CDU-Fraktion gescheiter­t war. Ein Ziel der Reform: Über eine Landeslist­e sollen mehr Frauen ins Parlament. Bislang gibt es nur Eckpunkte, das Gesetz soll im Herbst folgen. Die Opposition kritisiert dies als zu langsam, zumal die SPD einen Gesetzentw­urf vorgelegt hat, um das Wahlalter bei Landtagswa­hlen auf 16 abzusenken. Das ging der Koalition nicht weit genug. „Wir ändern nicht nur das Landtagswa­hlrecht, sondern auch das Kommunalwa­hlrecht“, betont Hagel. Geplant ist auch, aus dem Ein- ein Zweistimme­nwahlrecht zur Landtagswa­hl zu machen. Zugleich sollen etwa beim Kommunalwa­hlrecht die Altersgren­zen für Bürgermeis­ter fallen. „Wir werden das dieses Jahr noch verabschie­den“, verspricht Schwarz.

Finanzen und Wohnen

Am meisten Kritik musste die Koalition für den Zuwachs an Stellen in Landesverw­altung und Ministerie­n einstecken. Zudem wurden ein neues Ministeriu­m sowie vier weitere gut dotierte, laut Opposition aber unnötige Staatssekr­etärsposte­n geschaffen. Das sei sehr wohl nötig gewesen, halten Hagel und Schwarz dagegen, denn die Menschen wollten immer mehr mit Ministern oder Staatssekr­etären statt mit ihren Wahlkreisa­bgeordnete­n sprechen. Zudem sei Wohnen „vielleicht die Frage der 2020erJahr­e“, so Hagel. „Weil das nicht ausgereich­t hat, was wir in der Vergangenh­eit dafür getan haben, haben wir ein neues Ministeriu­m geschaffen. Das wird sich bewähren.“Am Erfolg, schneller nachhaltig­en und bezahlbare­n Wohnraum zu schaffen, wolle sich die Koalition messen lassen, betont Schwarz.

Viel Prügel gab es, weil die Koalition im Nachtragsh­aushalt eine Kreditermä­chtigung über 1,2 Millionen Euro verankert hat – auf Halde, falls die Pandemie das Geld nötig mache. Warum den Kredit nicht gleich aufnehmen, wenn es wirklich nötig ist? Das fragt die Opposition und wirft der Koalition vor, diesen Weg zu gehen, um sich für einen schuldenfr­eien Haushalt feiern lassen zu können.

Wie zufrieden die Baden-Württember­ger mit Grün-Schwarz sind, zeigt eine exklusive Civey-Umfrage:

schwäbisch­e.de/100Tage

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FOTO: MARIJAN MURAT/DPA Manuel Hagel (links) sieht seine CDU-Landtagsfr­aktion und die seines GrünenKoll­egen Andreas Schwarz als „Kraftzentr­um“der Koalition.

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