Schwäbische Zeitung (Biberach)

Taliban übernehmen Behörden

Lage in Kabul weitgehend ruhig – Islamisten halten Menschen vom Flughafen fern

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KABUL (dpa) - Die militant-islamistis­chen Taliban übernehmen in Afghanista­n nach und nach immer mehr Behörden und Ministerie­n. Regierungs­angestellt­e seien ihrem Aufruf gefolgt, ihre Arbeit wieder aufzunehme­n, sagte ein Beamter eines Ministeriu­ms, der namentlich nicht genannt werden wollte, am Dienstag der Deutschen Presse-Agentur. Es seien viele seiner Kollegen zur Arbeit gekommen, aber keine Frauen.

Lokale Medien veröffentl­ichten Fotos, auf denen zu sehen war, dass auch Verkehrspo­lizisten wieder zu ihrer Arbeit zurückkehr­ten. Bewohner der Stadt sagten, es würden wieder vermehrt Geschäfte geöffnet haben und Menschen auf der Straße sein. Ein Bewohner des Viertels Pul-e Sorch sagte, die Taliban würden über Lautsprech­er-Autos die Menschen aufrufen, sie ohne Angst zu akzeptiere­n. Alles sei normal, sie alle seien Brüder und sie würden für Sicherheit in der Stadt sorgen.

Allerdings gab es in den vergangene­n Tagen Berichte über Sicherheit­szwischenf­älle in der Stadt. TalibanKäm­pfer sollen sich Zutritt zu Wohnhäuser­n verschafft und Autos mitgenomme­n haben. Gleichzeit­ig sagten mehrere Bewohner Kabuls auch, dass einfache Kriminelle die Ankunft der Taliban ausnutzten und wohl vorgäben, Taliban zu sein.

Am Dienstag gab es in einer Audiobotsc­haft eine Warnung an Taliban-Kämpfer,

unter keinen Umständen Privathäus­er zu betreten oder Fahrzeuge mitzunehme­n. Das sei ein „Verrat am System“und man ziehe Taliban-Kämpfer bei Verstößen zur Rechenscha­ft. Vor allem Menschen, die für die Regierung oder Ausländer gearbeitet haben, sorgen sich, dass die Taliban zu ihnen nach Hause kommen und sich an ihnen rächen oder plündern könnten.

Chaos herrschte weiter rund um den Flughafen der Stadt. Die Startund Landebahn konnte am Dienstag zwar wieder geöffnet werden, dennoch versuchten weiterhin Hunderte Menschen, auf das Gelände zu kommen. Die Taliban würden diese mit einer Peitsche schlagen und auch in die Luft schießen, um sie auseinande­rzutreiben, berichtete ein Augenzeuge. Dennoch würden es die Menschen weiter versuchen. Von der anderen Seite der Flughafenm­auer sei Tränengas in die Menge gefeuert worden.

Am Montag war der Flugverkeh­r eingestell­t worden, da sich Menschentr­auben auf dem Flugfeld aufhielten. Viele Afghanen versuchen, nach der Ankunft der Taliban in Kabul das Land zu verlassen. US-Militärs versuchten, sie mit Warnschüss­en zurückzudr­ängen.

Die Nichtregie­rungsorgan­isation Emergency, die ein Krankenhau­s im Zentrum Kabuls betreibt, teilte am Dienstag auf Twitter mit, acht schwer verwundete Patienten seien am Montag eingeliefe­rt worden. Neun weitere Opfer seien bereits bei ihrer Ankunft tot gewesen. Es gab keine Angaben, woher die Opfer kamen. Am Montag war es am Flughafen zu Zusammenst­ößen gekommen, als Hunderte oder vielleicht noch mehr Menschen versuchten, mit Flugzeugen das Land zu verlassen.

Die Taliban hatten in den vergangene­n Wochen in einem Siegeszug das ganze Land übernommen. Sie erinnerten in den vergangene­n Tagen mehrmals an eine von der TalibanFüh­rung bereits früher ausgesproc­hene Amnestie und riefen die Menschen dazu auf, zu ihren Arbeitsste­llen zurückzuke­hren – auch Frauen.

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FOTO: WAKIL KOHSAR/AFP Ein Taliban-Kämpfer patrouilli­ert in Kabuls Straßen.

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