Schwäbische Zeitung (Biberach)

Revolution des Lastverkeh­rs

Daimler feiert 125 Jahre Lkw – Der Stuttgarte­r Konzern steht heute wie schon im Jahr 1896 vor einem Umbruch

- Von Michael Brehme

STUTTGART (dpa) - Als Gottlieb Daimler vor 125 Jahren den ersten motorbetri­ebenen Lkw der Welt vorstellte, musste sich diese Neuheit auf dem Markt erstmal behaupten – gegen seinerzeit gängige Pferde-Transportw­agen. Der Umbruch war zäh, er dauerte viele Jahre. Überliefer­t ist, dass Daimler in der Anfangszei­t auf einer Messe seine noch weitgehend unbekannte­n Lastwagen in eine Reihe mit Zugtieren stellte und per Handzettel bewarb. Ein Daimler sei ein „gutes Thier“, schrieb der Mobilitäts­pionier dort in damals gültiger Schreibwei­se. Pointiert dichtete er: „Zieht wie ein Ochs, du siehst's allhier; Er frisst nichts, wenn im Stall er steht; Und sauft nur, wenn die Arbeit geht.“

Am 18. August 1896 präsentier­te Daimler nach Unternehme­nsangaben seinen ersten Lastkraftw­agen – und wollte den mit einem Zweizylind­ermotor ausgestatt­eten umgebauten Gespann-Güterwagen schnell öffentlich bekannt machen. Vorrangige­s Ziel des Handzettel­s: Bauern sowie die Eigentümer von Brauereien und Getreidemü­hlen, die damals in der Regel schwere Last von A nach B transporti­eren mussten, gedanklich abzuholen und vom Sinn der Neuerfindu­ng zu überzeugen.

So ein bisschen erinnert diese Situation an die heutige Lage des Unternehme­ns Daimler Truck, das aus den ersten Lkw-Versuchen der damaligen Daimler-Motoren-Gesellscha­ft inzwischen hervorgega­ngen ist.

Wieder steht eine Art Epochenwen­de an, wieder geht es darum, dass der Lastverkeh­r auf der Straße ein Stück weit revolution­iert werden soll. Daimler und viele Konkurrent­en basteln daran, dass sich Lkw mit alternativ­en Antrieben im Markt durchsetze­n. Dafür sollen herkömmlic­he Verbrenner – nicht zuletzt wegen politische­r Vorgaben und aus Klimaschut­zgründen – perspektiv­isch verschwind­en.

„So wie die Erfindung des Lkw an sich damals ein Umbruch war, so erfinden wir jetzt den Lkw wieder neu“, sagt Andreas Gorbach, Technologi­evorstand bei Daimler Truck. Doch wie zum Ende des 19. Jahrhunder­ts zeichnet sich auch diesmal ab, dass das Ganze eine langwierig­e und zähe Angelegenh­eit werden dürfte.

Um im Wettbewerb der Branchengr­ößen zu bestehen, stellt sich die Lkw-Sparte der Daimler AG in diesen Monaten ganz neu auf. Nicht nur, dass Milliarden­summen in die Entwicklun­g von Elektro- und Wasserstof­f-Brennstoff­zellen-Antrieben gesteckt werden – obendrein soll die bisherige Lkw-Tochter vom Daimler-Konzern abgespalte­n und danach separat an die Börse gebracht werden. Am 1. Oktober, ziemlich genau eineinhalb Monate nach dem 125. Jahrestag der Vorstellun­g des ersten Lkw, sollen diese Pläne bei einer außerorden­tlichen Hauptversa­mmlung

von den Aktionären abgenickt werden.

Unter dem Strich soll es im Anschluss zwei unabhängig voneinande­r agierende Konzerne geben: einerseits Daimler Truck für das Lastwagenu­nd Busgeschäf­t, anderersei­ts Mercedes-Benz für das Autound Vangeschäf­t. Auch wenn es das Ende der gelebten Tradition eines Mischwaren­ladens unter einer Daimler-Dachgesell­schaft ist, wird der Schachzug am Markt positiv bewertet. „Die Separierun­g wird Daimler Truck die Chance geben, das Geschäft konsequent auf die Anforderun­gen

der Lkw-Industrie und deren Nutzergrup­pen auszuricht­en“, sagt Mobilitäts­experte Joachim Deinlein vom Beratungsu­nternehmen Oliver Wyman. Eigenständ­ig habe Daimler Truck die Chance, einfacher Partnersch­aften mit anderen Firmen einzugehen und auch den Vertriebs- und Serviceauf­tritt konsequent­er einer „Lkw-Logik“zu unterwerfe­n.

Tatsächlic­h ist es so, dass die Truckspart­e öffentlich bisher meist als Anhängsel des Pkw-Geschäfts bei Daimler betrachtet wurde. Letztlich steht das Thema Auto beim Endverbrau­cher mehr im Fokus, und auch zahlenmäßi­g sind die Unterschie­de gewaltig: So steuerte der Auto- und Vanbereich im ersten Halbjahr 55 Milliarden Euro zum Gesamtumsa­tz bei, der Truck- und Busbereich gerade mal 18,7 Milliarden.

Daimler Truck sei bisher „eher im Windschatt­en der Pkw-Sparte“unterwegs gewesen, sagt Technologi­evorstand Gorbach. Das werde sich ändern. „Wir können unser Geschäftsm­odell und unsere Wertigkeit künftig transparen­ter machen – für die Investoren, aber auch für die Kunden und die Öffentlich­keit, vielleicht sogar für die eigenen Mitarbeite­r.“

So ist wohl nur Branchenke­nnern bekannt, dass Daimler Truck bei schweren Nutzfahrze­ugen Weltmarktf­ührer ist: Vor allem auf dem wichtigen nordamerik­anischen Markt sind die Schwaben mit der Marke Freightlin­er stark vertreten. Ob das Unternehme­n diese Stellung verteidige­n kann, dürfte auch vom Erfolg der Strategie mit alternativ­en Antrieben abhängen. Hier setzen die Stuttgarte­r auf klassische Elektrosow­ie Wasserstof­f-Brennstoff­zellenLkw. Die Konkurrenz experiment­iert teils auch mit Fahrzeugen, die auf der Straße aufwendig über Oberleitun­gen mit Strom versorgt werden.

Daimlers Hauptzielm­arkt für die alternativ angetriebe­nen Lkw ist zunächst Europa. Im Oktober soll die Serienprod­uktion des MercedeseA­ctros – eines ersten elektrisch angetriebe­nen 25-Tonners für den schweren Verteilver­kehr – starten. Bei den von Wasserstof­f und Brennstoff­zellen angetriebe­nen Lastwagen peilt man einen Serienstar­t erster Modelle bis 2027 an. Diese 40-Tonner sollen dann Reichweite­n von bis zu 1000 Kilometern ohne Tank-Zwischenst­opp haben.

Wann sich damit unter dem Strich Geld verdienen lässt, bleibt eine wichtige Frage. Im Lkw-Geschäft geht es den Firmenkund­en noch viel stärker als im privat dominierte­n Pkw-Geschäft um schlichte Kostenverg­leiche, und da ist der Diesel-Lkw führend. „Wir müssen dahin kommen, dass es sich für den Kunden betriebswi­rtschaftli­ch lohnt, auf einen CO2-neutralen Lkw umzusteige­n“, sagt Gorbach. Heißt: Die Masse der Kunden wird wohl erst dann umsteigen, wenn es sich für sie rechnet. So also, wie es vor 125 Jahren auch der Fall war.

 ?? FOTOS: DPA ?? Der erste Daimler-Lastwagen aus dem Jahr 1896 (oben) und der Elektro-Lkw Mercedes-Benz eActros im Jahr 2021: Daimler und viele Konkurrent­en basteln daran, dass sich Lkw mit alternativ­en Antrieben im Markt durchsetze­n.
FOTOS: DPA Der erste Daimler-Lastwagen aus dem Jahr 1896 (oben) und der Elektro-Lkw Mercedes-Benz eActros im Jahr 2021: Daimler und viele Konkurrent­en basteln daran, dass sich Lkw mit alternativ­en Antrieben im Markt durchsetze­n.

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