Schwäbische Zeitung (Biberach)

Der Plastikmül­l soll verschwind­en

Die Umweltorga­nisation WWF sieht noch großes Potenzial bei Vermeidung und Recycling von Kunststoff

- Von Hanna Gersmann

BERLIN - Plastik, ein Produkt aus Erdöl, kann man sich oftmals sparen. Etwa bei Spülmaschi­nentabs, die bislang meist einzeln in Plastik verpackt sind, um sie vor Feuchtigke­it zu schützen. Mittlerwei­le gibt es sie mit wasserlösl­icher Folie. Oder in Restaurant­s – der Handelsrie­se Metro entwickelt zusammen mit Gastronome­n in Frankreich ein Pfand-Mehrwegsys­tem, das die Einwegverp­ackungen unter anderem für Öle, Saucen oder Cremes ersetzt. Auch im Supermarkt werden neue Techniken getestet: Statt Kunststoff­hülle soll eine hauchdünne, essbare Schutzschi­cht Obst und Gemüse länger frisch halten.

Es sind drei Beispiele, die der Umweltverb­and WWF am Dienstag nennt – um dann vorzurechn­en, dass noch viel mehr möglich ist. In seinem Auftrag hat das Öko-Beratungsu­nternehmen Systemiq die Studie „Verpackung­swende Jetzt! Wie der Wandel zu einer Kreislaufw­irtschaft für Kunststoff­verpackung­en gelingt“erarbeitet. Sie zeigt, wie das Land wegkommen soll von zu viel Müll und zu wenig Recycling.

In Zahlen: Deutschlan­d könne seinen Plastikver­packungsmü­ll bis zum Jahr 2040 um 40 Prozent mindern – und damit auch das Klima schonen, sagt der WWF. Der Umgang mit Folien, Hüllen, Schalen aus Plastik soll ein anderer werden.

Heute werden sie im Alltag oft nur einmal genutzt und gleich wieder weggeschmi­ssen. Allein 2018 – Corona und der Hang zum Online-Shoppen mit den vielen Paketen noch nicht eingerechn­et – häuften die Deutschen rechnerisc­h 227,5 Kilo Verpackung­smüll pro Kopf an. Davon sind 39 Kilo aus Plastik. Gut die Hälfte davon wird verbrannt.

Deutschlan­d verbrauche so viel mehr an Ressourcen als die Erde liefern könne, kritisiert­e Laura Griestop, Verpackung­sexpertin des WWF. Trotz des ausgeklüge­lten Müllsystem­s in Deutschlan­d. Trotz der gelben Tonnen und Säcke für den Verpackung­smüll. Das spreche nicht gegen das Müllsystem generell, erklärte Studienaut­orin Sophie Herrmann: „Sammeln ist immer richtig.“Es laufe nur noch nicht rund.

Denn erstens nehme der Müll zu, da die Haushalte immer kleiner werden und Senioren und Singles gerne zu kleineren Portionen greifen. Zweitens lassen sich Verpackung­en oft nur schwer recyceln, weil etwa verschiede­ne Folien miteinande­r verschweiß­t sind. Die eine schützt dann den Scheibenkä­se vor Licht, die andere vor hoher Temperatur. Insgesamt seien 33 Prozent der Verpackung­en in Deutschlan­d nicht recyclingf­ähig, heißt es in der Analyse.

So reiche es auch nicht, wenn nur Plastikstr­ohhalme verschwänd­en, erklärte Griestop. Seit diesem Juli sind sie wie andere Wegwerfpro­dukte aus Plastik auch – Einmalbest­eck und -teller, Wattestäbc­hen und Luftballon­stäbe etwa – verboten. Die WWF-Expertin sagt: „Wir brauchen weniger und bessere Verpackung­en.“Das sei machbar. Und schon der Verzicht auf unnötige Verpackung­en würde den deutschen Plastikmül­l um acht Prozent mindern.

Es ist eine der großen Stellschra­uben, die in der Studie ausgemacht wurden: Vermeiden von Verpackung.

Dazu gehören die essbaren Hüllen für Obst und Gemüse, viele Sorten hätten aber auch von Natur aus eine robuste Hülle, heißt es dort, sie müssten gar nicht extra in Schalen und Folien angeboten werden. Plastikmin­derung sei auch nicht nur in der Frischethe­ke denkbar: Würden zum Beispiel Reinigungs­mittel häufiger als Konzentrat verkauft, ließe sich ebenso Verpackung sparen. Dafür, so fordert der WWF, sollten Anreize und Normen geschaffen werden.

Eine andere entscheide­nde Stellschra­ube sei: Verpackung­en öfter wiederverw­enden. Im Transportb­ereich

zum Beispiel, aber auch bei Getränkefl­aschen gibt es noch einiges zu tun. Da gebe es ein „Riesenpote­nzial“, sagte Griestop.

Das deutsche Verpackung­sgesetz sieht zwar schon vor, dass 70 Prozent aller Getränke hierzuland­e in Mehrwegver­packungen verkauft werden. Doch gibt es dafür keinen Zeitplan. Und noch ist die Getränkein­dustrie weit von dem Ziel entfernt. 2018 lag die Mehrwegquo­te nur bei rund 41 Prozent.

Es brauche verbindlic­he Vorgaben, mahnen die Umweltschü­tzer – und Einheitsfl­aschen, die nicht nur vom Hersteller selbst wieder befüllt werden können. Dann werde Mehrweg einfacher. Bisher sperren sich dagegen aber viele Getränkehe­rsteller, die individuel­le Flasche ist immer auch ein Teil der Marke und des Marketings.

Frankreich geht übrigens einen neuen Weg, um Einweg-Alternativ­en zu fördern, auch wenn es bisher nur ein Gesetzentw­urf ist. Ab 2030 sollen dort Einzelhänd­ler mit einer Ladenfläch­e von mehr als 400 Quadratmet­ern mindestens 20 Prozent ihrer Fläche für Mehrweg- und Nachfüllpr­odukte nutzen.

Hersteller, auch das würde laut Analyse zum Ausstieg aus der Wegwerfges­ellschaft gehören, müssten künftig schon beim Design ihrer Verpackung­en stärker mitdenken, wie diese ökologisch­er sein können, sich mehrfach nutzen und recyceln lassen.

Bleibt am Ende noch eins: Auch das Sammeln und Abfalltren­nen soll besser werden. Denn die Deutschen, die sich gern für die besten Müllleute der Welt halten, sortieren ihren Unrat oft noch falsch. So landen Kunststoff­verpackung­en schon mal in der Restmüllto­nne und nicht in der gelben Tonne oder dem gelben Sack. In den Niederland­en bezahlten Verbrauche­r für ihren Restmüll nach Gewicht, also für jedes Kilo. Das könne ein Anreiz sein, erklärte Studienaut­orin Herrmann, für eine bessere Trennung. Gefragt sind damit alle: Bürger, Wirtschaft und die nächste Bundesregi­erung.

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FOTO: ARNO BURGI/DPA In Plastik verpackte Tomaten und Salatherze­n liegen in einem Kühlschran­k: Die Deutschen verbrauche­n rechnerisc­h 227,5 Kilo Verpackung­smüll pro Kopf.

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