Schwäbische Zeitung (Biberach)

Der tiefe Fall eines Pop-Superstars

Missbrauch­sprozess gegen R. Kelly beginnt in New York – Massive Anschuldig­ungen

- Von Christina Horsten

NEW YORK (dpa) - Jahrelang wirkte R. Kelly wie ein unangreifb­arer Musikkolos­s auf dem Pop-Thron. Hits wie „I Believe I Can Fly“oder „If I Could Turn Back The Hands of Time“, Alben an der Spitze der Charts, Kollaborat­ionen mit anderen Stars wie Michael Jackson, Whitney Houston, Mariah Carey oder Britney Spears, ausverkauf­te Welttourne­en und mehrere Grammys – Kelly gehörte lange Zeit zu den weltweit erfolgreic­hsten Musikern. Doch der Sänger ist tief gefallen und am heutigen Mittwoch geht ein Prozess unter anderem wegen sexuellen Missbrauch­s gegen Kelly in New York mit den Auftaktplä­doyers in die heiße Phase.

Bereits zu seinen erfolgreic­hsten Zeiten kamen immer wieder Anschuldig­ungen und Berichte über sexuellen Missbrauch durch den 1967 in Chicago geborenen Robert Sylvester Kelly an die Öffentlich­keit. Seine später annulliert­e Kurzehe mit der damals erst 15 Jahre alten Sängerin Aaliyah Mitte der 1990er-Jahre sorgte für Aufsehen, wurde aber erstmal nur hinter vorgehalte­ner Hand kritisiert, viele andere Berichte weitgehend ignoriert. Mehrere Gerichtsve­rfahren wegen Geschlecht­sverkehrs mit Minderjähr­igen wurden außergeric­htlich beigelegt, in einem Prozess wegen des Besitzes von Abbildunge­n schweren sexuellen Kindesmiss­brauchs wurde Kelly 2008 freigespro­chen. Doch dann wurde Kelly im Sommer 2019 erneut festgenomm­en – als er in Chicago gerade mit seinem Hund „Believe“spazieren ging.

Der Festnahme vorausgega­ngen waren immer mehr Vorwürfe, die sich um 2017 zeitgleich mit dem Aufkommen der #MeToo-Bewegung gegen sexuelle Belästigun­g zusammenba­llten. Gemeinsam mit einem Team von Angestellt­en soll Kelly jahrelang Jungen, Mädchen und Frauen zum Sex gezwungen haben, auf seinen Anwesen einen „Sexkult“betrieben und auch Minderjähr­ige festgehalt­en, erpresst und sexuell ausgebeute­t haben. Seine zweite Ehefrau Andrea, mit der er zwischen 1996 und 2009 verheirate­t war, gibt an, ihr Ex-Mann habe sie emotional, körperlich und sexuell missbrauch­t, sie habe um ihr Leben gefürchtet. Seine erste Ehefrau

Aaliyah starb 2001 bei einem Flugzeugab­sturz, auch diese Beziehung wird in den Anschuldig­ungen immer wieder thematisie­rt. Alles zusammen fasste dann 2019 die Aufsehen erregende Dokumentat­ion „Surviving R. Kelly“.

„Wir haben zu lange weggeschau­t“, kritisiert­e Sängerkoll­ege John Legend nach der Ausstrahlu­ng von „Surviving R. Kelly“, in der er auch zu Wort kommt, sich selbst und die Musikindus­trie. Die Dokumentat­ion wird zum Anfang vom Ende der Karriere von R. Kelly: Immer mehr Stars distanzier­ten sich daraufhin von dem Sänger, zudem Radiosende­r, Streaming-Dienste und schließlic­h auch sein Musiklabel RCA, das zu Sony Music gehört. 2016 brachte Kelly sein bislang letztes Album heraus, inzwischen ist er nach Angaben seiner Verteidige­r quasi mittellos. Der Musiker hat alle Vorwürfe immer wieder zurückgewi­esen und seinen Kritikern eine Rufmordkam­pagne vorgeworfe­n.

Seit seiner Festnahme 2019 sitzt Kelly im Gefängnis, zunächst in Chicago, dann in New York. Laut Anklagesch­rift muss sich der Musiker unter anderem wegen Erpressung und sexueller Ausbeutung Minderjähr­iger verantwort­en. Eigentlich hätte sein Prozess schon im Mai 2020 starten sollen, aber in der Corona-Pandemie wurde der Termin immer weiter verschoben. Mehrfach versuchte der 54-Jährige die Pandemie auch als Anlass zu nehmen, auf Kaution vorzeitig aus der Haft entlassen zu werden, diese Anträge wurden aber abgelehnt.

Nun ist an dem Gericht im New Yorker Stadtteil Brooklyn in der vergangene­n Woche eine Jury gefunden worden: Sieben Männer und fünf Frauen wurden von Richterin Ann Donnelly eingeschwo­ren, zudem sechs Ersatzjuro­ren ausgesucht. Kelly verfolgte die Juryauswah­l im Anzug gekleidet am Gericht.

Mit den Auftaktplä­doyers geht der Prozess nun ab Mittwoch los. Das Verfahren soll mehrere Wochen dauern. Bei einer Verurteilu­ng könnte dem Sänger eine jahrzehnte­lange Haftstrafe drohen – und auch damit wäre es für Kelly immer noch nicht vorbei. In Chicago und Minnesota liegen ebenfalls Anklagesch­riften gegen den Musiker vor.

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