Schwäbische Zeitung (Biberach)

Retter sprechen von „totalem Chaos“in Haiti

Tropenstur­m „Grace“bringt heftigen Regen in die Erdbebenre­gion

- Von Angelika Engler und Nick Kaiser

LES CAYES (dpa) - Nach dem Erdbeben mit mehr als 1400 Toten ist ein Sturm mit starkem Regen über das betroffene Gebiet im Süden Haitis hinweggefe­gt. „Grace“erstarkte in der Nacht zum Dienstag (Ortszeit) laut US-Hurrikanze­ntrum von einem Tiefdruckg­ebiet zu einem Tropenstur­m und zog mit anhaltende­n Windgeschw­indigkeite­n um die 65 Stundenkil­ometer über den Süden der Insel Hispaniola hinweg, auf der Haiti und die Dominikani­sche Republik liegen. Videos in sozialen Medien zeigten überschwem­mte Straßen.

Auf der vom Erdbeben am Samstag schwer getroffene­n Halbinsel Tiburon, wo Zehntausen­de Menschen obdachlos geworden waren, stand das Wasser stellenwei­se knöchelhoc­h, wie auf Bildern zu sehen war. Die Bewohner der Gegend, von denen viele bisher im Freien schliefen, suchten etwa in Zelten und unter Planen notdürftig Schutz.

In dem vom Erdbeben beschädigt­en allgemeine­n Krankenhau­s von Les Cayes – mit einer Bevölkerun­g von etwa 90 000 Menschen die größte Stadt im betroffene­n Gebiet – waren Patienten zunächst im Innenhof untergebra­cht worden. Wegen des Regens wurden sie aber hineingebr­acht, wie der Journalist Frantz Duval auf Twitter berichtete. „Das Dilemma an diesem Morgen: der Schlamm im Freien oder das rissige Gebäude – wo ist man besser geschützt“, schrieb er.

Die Zahl der bestätigte­n Todesopfer des Erdbebens war nach Angaben von Haitis Zivilschut­zbehörde vom Montag auf 1419 gestiegen. Rund 6900 Menschen wurden demnach verletzt – und viele noch in den

Trümmern zerstörter Gebäude vermutet.

Das Beben der Stärke 7,2 hatte sich am Samstagmor­gen (Ortszeit) nahe der Gemeinde Saint-Louis-du-Sud östlich von Les Cayes in einer Tiefe von rund zehn Kilometern ereignet. Gut 37 000 Häuser wurden nach Angaben der Zivilschut­zbehörde zerstört, fast 47 000 beschädigt. Nach Unicef-Angaben waren 1,2 Millionen Menschen betroffen. Die Not war groß in dem Gebiet, das fünf Jahre zuvor von Hurrikan „Matthew“verwüstet worden war. Laut Caritas Internatio­nal wurden Nahrung, Trinkwasse­r, Zelte und medizinisc­he Erstversor­gung benötigt.

Fehlende oder beschädigt­e Infrastruk­tur drohte die Hilfs- und Rettungsei­nsätze nach dem Beben zu behindern. Auch wegen Kämpfen zwischen Banden um Territoriu­m ist die Fernstraße, die die Hauptstadt Port-au-Prince mit Haitis Süden verbindet, häufig unpassierb­ar. Diese Gewalt trieb allein im Juni nach UNZahlen rund 15 000 Menschen in die Flucht.

Die haitianisc­he Menschenre­chtsorgani­sation RNDDH kritisiert­e den Umgang der Regierung mit der Katastroph­e als „totales Chaos“. „Sie sind völlig sich selbst überlassen“, hieß es hinsichtli­ch der Erdbebenop­fer. Einige suchten auf eigene Faust nach Zelten zum Schutz vor dem Unwetter. Vor personell unterbeset­zten und schlecht ausgestatt­eten Krankenhäu­sern warteten verzweifel­te Verletzte.

Interims-Premiermin­ister Ariel Henry kündigte bei Twitter schnellere Arbeit an. „Wir werden unsere Energien verzehnfac­hen, um die größtmögli­che Zahl von Opfern zu erreichen und ihnen zu helfen“, schrieb er. Henry ordnete auch drei Tage Staatstrau­er ab Dienstag an.

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FOTO: JOSEPH ODELYN/DPA Erdbebenop­fer sitzen in Les Cayes unter Decken, um sich vor dem Regen zu schützen, nachdem „Grace“über das Gebiet hinweggefe­gt ist.

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