Schwäbische Zeitung (Biberach)
Das geknickte Rohr
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„Das geknickte Rohr wird er nicht zerbrechen, und den glimmenden Docht wird er nicht auslöschen. ( Jesaia 42,3a)
Wenn diese Zeilen entstehen in der Sommer- und Ferienzeit, dann ist es naturgemäß so, dass sie Wochen zuvor schon in der Redaktion eingereicht werden. Dann besteht keine Möglichkeit mehr, tagesaktuell noch Entwicklungen aufzunehmen, die vielleicht gerade brennend sind.
Das für sich so feststellen zu müssen, ist schon eine elementare Beschreibung unserer Zeit. Vorbei die Jahre, wo man sich für mehrere Wochen in den Urlaub verabschieden konnte, unbeschwert und unbelastet. Vorbei die Zeiten, wo man sich der Illusion hingeben konnte, man müsse nicht auf alle möglichen Eventualitäten vorbereitet sein und könnte darauf verzichten, Vorkehrungen zu treffen für die, die einem am Herzen liegen und auch für das eigene Leben.
Wir erleben auf der Welt und auch in unserer engsten Nachbarschaft in immer kürzeren zeitlichen
Abschnitten, so starke und nachhaltige Gewalteinwirkungen auf unser zerbrechliches Zusammenleben, dass bleibende Schäden entstehen. Und die können nicht mal eben wieder gutgemacht werden.
Der Prophet Jesaia setzt dem ein genauso gefährdetes Bild entgegen,
● wenn er sagt: Das geknickte Rohr wird er nicht zerbrechen, und den glimmenden Docht wird er nicht auslöschen. (Jesaia 42,3a ) Dahinter steht die ungeheure Hoffnung für Menschen, dass sich Gott in Jesus Christus auch und gerade der Menschen annimmt, die das Leben zu geknickten Rohren hat werden lassen, die sich aus eigener Kraft nicht mehr aufzurichten vermögen, deren Lebensdocht einmal hell und leuchtend gebrannt hat, deren Glaube am Verlöschen ist.
Es ist der Erfahrungshintergrund von Generationen, die vor uns lebten und der auch heute insbesondere weitergegeben werden will und soll.
Ein Notarzt aus dem Bundeswehrkrankenhaus in Koblenz, der in der Nacht des 14. Juli mit seinen Kameraden und Bundeswehrfahrzeugen in Katastrophengebiet im Ahrtal fuhr und dort zusammen mit ihnen fast 150 von reißenden Fluten eingeschlossenen Menschen das Leben retten konnte, fasste dies zusammen, indem er sagte, das sei schlimmer als Krieg. Was er in acht Auslandseinsätzen gesehen habe, sei nicht vergleichbar mit dem, was er im Ahrtal erlebt und gesehen habe. Zurück im BWK Koblenz musste er sich Menschen annehmen, die keine Heimat mehr hatten, kein Zuhause, entwurzelt waren, ohne Obdach, Sicherheit, Essen, Trinken, ohne Zuwendung – etwas was man ihnen dann vor Ort im Bundeswehrkrankenhaus notdürftig wieder zugänglich machte.
Ein Hoffnungsbild ist mir ebenfalls noch in Erinnerung geblieben aus den vielen furchtbaren Berichten: Es waren Menschen, die sich am Abend in der untergehenden Sonne zusammengesetzt hatten, sie hatten den ganzen Tag selbstlos in den zerstörten Straßen, Häusern und Dörfern geholfen und taten sich nun zusammen, um zu singen: Ein Lied über Jesus Christus, der in unsere Welt gekommen ist, um Nächstenliebe zu bringen, Verständnis für den anderen und selber im Dienst für die Mitmenschen dem glimmenden Docht gleicht, der in kürze auslöscht. Er ist gekommen, um von der Liebe Gottes zu erzählen, die auch die geknickten Rohre und glimmenden Dochte ernstnimmt, nicht unbeachtet an ihnen vorbeigeht, sie nicht zerbricht und nicht auslöscht.