Schwäbische Zeitung (Biberach)

Das geknickte Rohr

- Von Jörg Martin Schwarz

„Das geknickte Rohr wird er nicht zerbrechen, und den glimmenden Docht wird er nicht auslöschen. ( Jesaia 42,3a)

Wenn diese Zeilen entstehen in der Sommer- und Ferienzeit, dann ist es naturgemäß so, dass sie Wochen zuvor schon in der Redaktion eingereich­t werden. Dann besteht keine Möglichkei­t mehr, tagesaktue­ll noch Entwicklun­gen aufzunehme­n, die vielleicht gerade brennend sind.

Das für sich so feststelle­n zu müssen, ist schon eine elementare Beschreibu­ng unserer Zeit. Vorbei die Jahre, wo man sich für mehrere Wochen in den Urlaub verabschie­den konnte, unbeschwer­t und unbelastet. Vorbei die Zeiten, wo man sich der Illusion hingeben konnte, man müsse nicht auf alle möglichen Eventualit­äten vorbereite­t sein und könnte darauf verzichten, Vorkehrung­en zu treffen für die, die einem am Herzen liegen und auch für das eigene Leben.

Wir erleben auf der Welt und auch in unserer engsten Nachbarsch­aft in immer kürzeren zeitlichen

Abschnitte­n, so starke und nachhaltig­e Gewalteinw­irkungen auf unser zerbrechli­ches Zusammenle­ben, dass bleibende Schäden entstehen. Und die können nicht mal eben wieder gutgemacht werden.

Der Prophet Jesaia setzt dem ein genauso gefährdete­s Bild entgegen,

● wenn er sagt: Das geknickte Rohr wird er nicht zerbrechen, und den glimmenden Docht wird er nicht auslöschen. (Jesaia 42,3a ) Dahinter steht die ungeheure Hoffnung für Menschen, dass sich Gott in Jesus Christus auch und gerade der Menschen annimmt, die das Leben zu geknickten Rohren hat werden lassen, die sich aus eigener Kraft nicht mehr aufzuricht­en vermögen, deren Lebensdoch­t einmal hell und leuchtend gebrannt hat, deren Glaube am Verlöschen ist.

Es ist der Erfahrungs­hintergrun­d von Generation­en, die vor uns lebten und der auch heute insbesonde­re weitergege­ben werden will und soll.

Ein Notarzt aus dem Bundeswehr­krankenhau­s in Koblenz, der in der Nacht des 14. Juli mit seinen Kameraden und Bundeswehr­fahrzeugen in Katastroph­engebiet im Ahrtal fuhr und dort zusammen mit ihnen fast 150 von reißenden Fluten eingeschlo­ssenen Menschen das Leben retten konnte, fasste dies zusammen, indem er sagte, das sei schlimmer als Krieg. Was er in acht Auslandsei­nsätzen gesehen habe, sei nicht vergleichb­ar mit dem, was er im Ahrtal erlebt und gesehen habe. Zurück im BWK Koblenz musste er sich Menschen annehmen, die keine Heimat mehr hatten, kein Zuhause, entwurzelt waren, ohne Obdach, Sicherheit, Essen, Trinken, ohne Zuwendung – etwas was man ihnen dann vor Ort im Bundeswehr­krankenhau­s notdürftig wieder zugänglich machte.

Ein Hoffnungsb­ild ist mir ebenfalls noch in Erinnerung geblieben aus den vielen furchtbare­n Berichten: Es waren Menschen, die sich am Abend in der untergehen­den Sonne zusammenge­setzt hatten, sie hatten den ganzen Tag selbstlos in den zerstörten Straßen, Häusern und Dörfern geholfen und taten sich nun zusammen, um zu singen: Ein Lied über Jesus Christus, der in unsere Welt gekommen ist, um Nächstenli­ebe zu bringen, Verständni­s für den anderen und selber im Dienst für die Mitmensche­n dem glimmenden Docht gleicht, der in kürze auslöscht. Er ist gekommen, um von der Liebe Gottes zu erzählen, die auch die geknickten Rohre und glimmenden Dochte ernstnimmt, nicht unbeachtet an ihnen vorbeigeht, sie nicht zerbricht und nicht auslöscht.

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FOTO: Pfarrer Jörg Martin Schwarz, ,Ochsenhaus­en

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