Schwäbische Zeitung (Biberach)
Verantwortung für einen Einsatz, der unter Rot-Grün beschlossen wurde?
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BERLIN - Das Gespräch mit Janine Wissler und Dietmar Bartsch, den linken Spitzenkandidaten für die Bundestagswahl, findet im vierten Stockwerk des Karl-LiebknechtHauses am Berliner Rosa-Luxemburg-Platz statt. Das ist die Parteizentrale der Linken und die war für die linke Bundestagsfraktion lange Zeit eher eine feindliche Trutzburg. Vor allem frühere Parteivorsitzende und die Ex-Fraktionschefin Sahra Wagenknecht lieferten sich legendäre offene und versteckte Gefechte. Anders die neue Bundesvorsitzende Janine Wissler und Fraktionschef Dietmar Bartsch: Das aktuelle Spitzenduo strahlt Eintracht aus.
Frau Wissler, Herr Bartsch: Die GDL legt gerade wieder das halbe Land lahm. Ist das berechtigter Arbeitskampf oder Machtmissbrauch einer Splittergewerkschaft?
Dietmar Bartsch: Das Streikrecht ist ein sehr hohes Gut und wenn ein Streik dem Arbeitgeber nicht wehtut, dann bringt er nichts. Wir unterstützen die Streikenden, sehen aber kritisch, dass dort auch Machtkämpfe zwischen Gewerkschaften ausgetragen werden. Hauptverantwortlich für die Situation ist aber die Bahn und ihr Eigentümer, der Bund. Ich frage mich, was Andreas Scheuer eigentlich beruflich macht. Unter seiner Untätigkeit leiden die Bahnkunden enorm.
Wir wundern uns, dass Sie nicht sagen, dies sei das Ergebnis von Privatisierung auf dem Gebiet der Daseinsvorsorge.
Bartsch: Der Bund ist weiterhin faktisch zu 100 Prozent Eigentümer der Bahn, deshalb kann und muss er auch eingreifen. Das ist in anderen Bereichen anders und da haben wir vielfach noch größere Probleme. Bei den Wasser- und Abwasserbetrieben, den Energieversorgern oder bei der Post. Wenn es nach der FDP geht, soll die Bahn verkauft werden. Das muss verhindert werden.
Janine Wissler: Aber es stimmt auch, dass seit der Bahnreform, also der Überführung der Bahn in einen privatwirtschaftlichen Betrieb, Zehntausende Arbeitsplätze abgebaut, 6400 Kilometer Strecken stillgelegt und die Arbeitsbedingungen verschlechtert wurden.
In Afghanistan haben die Taliban die Macht erobert – die Linken haben vor der Militärintervention gewarnt und keinem Mandat zugestimmt. Fühlen Sie sich bestätigt?
Wissler: Wir schauen mit Entsetzen und Sorge auf das, was in Afghanistan geschieht. Ich kenne selbst viele Menschen, die aus dem Land geflüchtet sind und Angst um ihre Familien haben. Ja, wir haben den Einsatz abgelehnt und davor gewarnt, dass er mit einem Desaster endet. Was gerade in Afghanistan geschieht, ist viel zu furchtbar, um sich über Bestätigung zu freuen. Nachdem aber so oft gefordert wurde, wir müssten unsere außenpolitischen Positionen überdenken: Ich würde sagen, damit sind jetzt erst einmal andere dran.
Brauchen wir eine neue Außenpolitik?
Wissler: Natürlich. Der Einsatz in Mali ist doch genauso zum Scheitern verurteilt. Selbst die Verteidigungsministerin ist zu der Erkenntnis gekommen, dass man jetzt alle Auslandseinsätze überprüfen muss. Aber im Moment kommt es darauf an, so viele Menschen wie möglich aus Afghanistan zu retten. Die Bundeswehr hat ihr Material ausgeflogen, aber die Ortskräfte und gefährdeten Personen im Stich gelassen. Gerettet wurde zu spät, zu kurz und zu bürokratisch. Das kostet jetzt vielen das Leben. Die es nicht mehr herausschaffen.
Sie, Herr Bartsch, finden, dass Außenminister und Verteidigungsministerin versagt haben – fordern aber keinen Rücktritt. Warum nicht?
Bartsch: Über das desaströse Versagen der Bundesregierung gibt es keinen Zweifel. Insbesondere Außenminister Heiko Maas hat ein verheerendes Bild abgegeben. Allerdings vier Wochen vor der Wahl RücktritWissler: te zu verlangen, hat wenig Sinn. Dass angesichts dieser Katastrophe niemand von sich aus Verantwortung übernimmt, ist ein Skandal. Es gibt in der Regierung eine Kultur der Verantwortungslosigkeit. Der Afghanistan-Einsatz ist das dunkelste Kapitel in der Ära von Angela Merkel als Kanzlerin. Aber auch sie übernimmt keine Verantwortung.
Bartsch: Was schlimm genug ist. Aber das Mandat wurde in den 16 Jahren Merkel-Regierungen immer wieder verlängert. Mit der Zustimmung von SPD, Grünen und FDP. Wir wurden als „Terroristenfreunde“verunglimpft. Und wer hat denn noch im letzten Jahr Waffenexporte nach Pakistan genehmigt? Die Taliban stellen nicht einmal Küchenmesser selbst her. Was glaubt die Bundesregierung, wie schwer es für die selbsternannten Gotteskrieger war, sich in Pakistan mit Waffen zu versorgen? Wissler: Wir brauchen einen Untersuchungsausschuss. Es ist so viel falsch gemacht worden in den vergangenen Jahren, nicht nur in den letzten Wochen. Bis vor Kurzem fanden noch Sammelabschiebungen nach Afghanistan statt, obwohl sich die Sicherheitslage dort immer weiter verschlechtert hat.
Wie erklären Sie es sich, dass trotz des Fiaskos in Afghanistan die Umfragewerte für die Linken stabil schlecht sind?
Bartsch: Ich glaube, dass die Wahl in den letzten zwei Wochen davor entschieden wird. Und was die Verlässlichkeit von Umfragen betrifft: Die haben in Sachsen-Anhalt bei der Landtagswahl alle einen knappen Vorsprung für die CDU vorausgesagt. Am Ende waren es 17 Prozent.
Jenseits aller Umfragen – Rot-RotGrün scheint kein Thema mehr zu sein. Jedenfalls nicht für SPD und Grüne. Oder haben Sie da andere Signale?
Bartsch: In einem Wahlkampf kämpft erst einmal jeder für sich. SPD und Grüne schließen nichts aus. Wir wiederum sagen: Wer sicher sein will, dass die CDU nicht wieder den Kanzler stellt, muss Linke wählen. Wir sind der Schutzschirm vor Laschet, Scheuer und Lindner. Die SPD hat zweimal hintereinander ausgeschlossen, mit der Union zu koalieren. Das Ergebnis kennen wir. Und so wie alle auf die FDP schielen, steht am Ende die Frage: „Linke oder Lindner“? Die SPD kann unter Umständen den Kanzler ohne uns stellen, aber ohne uns wird Olaf Scholz seine Wahlversprechen nicht ansatzweise durchsetzen.
Hilft Ihnen Armin Laschets schlechter Stand, der die Linken als zentrale Gefahr für das Land sieht?
Wenn dem Unionskandidaten die Felle derartig davonschwimmen, dass er vor Rot-Rot-Grün warnt, ist das doch eine gute Nachricht. Es zeigt: Rot-Rot-Grün ist möglich. Soziale und klimafreundliche Politik werden SPD und Grüne mit Union und FDP nicht umsetzen können.
Die Linken haben immer verlangt, dass die SPD endlich wieder sozialdemokratisch werden soll. Nun passiert das offensichtlich. Hartz IV geht über Bord, zwölf Euro Mindestlohn sollen kommen, bezahlbare Wohnungen auch. Gräbt die SPD den Linken damit das Wasser ab?
Bartsch: Praktisch alles, was die SPD jetzt anpacken will, wollte sie auch schon in der laufenden Legislaturperiode umsetzen. Und in der davor. In den letzten 23 Jahren gehörte die SPD 19 Jahre der Bundesregierung an. Nur ein Beispiel: Seit vielen Jahren hat die SPD in ihren Wahlprogrammen die Forderung nach der Wiedererhebung der Vermögensteuer. Ich garantiere Ihnen, die wird wieder nicht kommen, wenn Saskia Esken mit Christian Lindner den Koalitionsvertrag formuliert. Eine ausgesprochen kuriose Vorstellung!
Zu den Neuheiten bei dieser Wahl gehört, dass das Thema Klima bei vielen Menschen ganz oben steht. Die Linken wollen es mit der sozialen Frage verknüpfen, dringen aber nur schwer bei den Wählern durch.
Wissler: Die Linke ist ja schon lange in den ökologischen Bewegungen aktiv: in der Anti-AKW-Bewegung, bei den Protesten für Klimaschutz und gegen die Abholzung von Wäldern. Wir wollen Klimagerechtigkeit und soziale Garantien miteinander verbinden, Arbeitsplätze erhalten und zukunftssicher machen, einen sozialökologischen Umbau durchsetzen. Natürlich müssen wir uns Gedanken machen, wie die Kosten für den Klimaschutz verteilt werden und welche Folgen beispielsweise die CO2Bepreisung auf Menschen mit niedrigem Einkommen hat.
Glaubt man der von Sahra Wagenknecht zwischen Buchdeckeln festgehaltenen These, gehört Ihre Partei zu den Lifestyle-Linken, die gerade die sozial Schwachen vergessen oder verachten. Wie hinderlich ist das im Wahlkampf?
Bartsch: Die Frage danach, warum wir bei Arbeitern, Arbeitslosen und im ländlichen Raum schwächer geworden sind, ist berechtigt. Darauf gibt es unterschiedliche Antworten. Der Gegensatz zwischen Sahra Wagenknecht und unserer gemeinsamen Partei wird konstruiert. Wir sind jetzt alle im Wahlkampf und kämpfen für ein gutes Abschneiden der Linken.