Schwäbische Zeitung (Biberach)

Fluchtursa­chen bekämpfen

Was die Parteien vor der Bundestags­wahl für die Entwicklun­gshilfe verspreche­n

- Von André Bochow

BERLIN - Vor sechs Jahren haben sich alle UN-Mitgliedss­taaten zur Agenda 2030 für nachhaltig­e Entwicklun­g bekannt. Es geht um eine friedliche Welt ohne Armut und Hunger, ohne Ausbeutung und ohne Zerstörung des Planeten. Das ist im Grunde ein Thema, das die gesamte Bundesregi­erung betrifft. Es wird aber in der Öffentlich­keit vor allem vom Bundesmini­sterium für wirtschaft­liche Zusammenar­beit und Entwicklun­g repräsenti­ert. Dem stand in den vergangene­n Jahren der CSU-Politiker Gerd Müller vor, der mit einigen Initiative­n viel Aufmerksam­keit erregte, dessen Pläne aber immer wieder auf die Interessen der deutschen Wirtschaft prallten. Die Auseinande­rsetzung zwischen globaler Entwicklun­gspolitik, nationalen Interessen und Wirtschaft­sinteresse­n spiegelt sich auch in den Wahlprogra­mmen der Parteien wider.

Grundsätzl­iche Gemeinsamk­eiten

Mit Ausnahme der AfD stehen alle Parteien zu den UN-Entwicklun­gszielen. Es gibt auch überall Bekenntnis­se zur partnersch­aftlichen Zusammenar­beit mit Entwicklun­gsländern, zur Förderung guter Regierungs­arbeit, von Bildung und der Gleichbere­chtigung der Geschlecht­er.

Unterschie­de

Sie finden sich nicht zuletzt bei der Bewertung eigener Interessen. Die Union bekennt sich einerseits zum „Gebot der Humanität“, wenn es gilt, Menschen in Armut und Not zu helfen. Dabei konzentrie­ren sich die beiden christlich­en Parteien stark auf die afrikanisc­hen Probleme, unter anderem auf den „Marshallpl­an mit Afrika“, der klassische Entwicklun­gshilfe mit eigenständ­iger unternehme­rischer Verantwort­ung und guter Regierungs­führung koppelt. Am vergangene­n Freitag erst hatte die Kanzlerin afrikanisc­he Staatsund Regierungs­chefs zur Besprechun­g der Initiative „Compact with Africa“direkt oder virtuell ins Kanzleramt eingeladen. Bei dieser Initiative, die fortgeführ­t wird, geht es vor allem um Wirtschaft­sbeziehung­en und Direktinve­stitionen.

Überhaupt wird bei Union und FDP der Nutzen der Entwicklun­gszusammen­arbeit für Europa und Deutschlan­d betont. Die

SPD feiert das in dieser Legislatur­periode verabschie­dete „Lieferkett­engesetz“als ihren Erfolg.

Wobei Entwicklun­gsminister Müller ganz wesentlich beteiligt war. Die wirtschaft­snahen Kreise der Union sahen das Gesetz aber mit Zähneknirs­chen und setzten eine Entschärfu­ng durch. Nun will die SPD nachlegen und „ein Gesetz zur Rückverfol­gung auf dem Weltmarkt gehandelte­r Güter auf europäisch­er Ebene verankern, mit verbindlic­hen und sanktionsb­ewehrten Regeln, Zugang zu Gerichten in Europa und Entschädig­ung der Opfer“.

Die Grünen wollen außerdem eine Institutio­n, die das Regierungs­handeln in Sachen Entwicklun­gsziele überprüft. Und die Linken rufen dazu auf, „im kommenden Jahr in allen Staaten weltweit die Militäraus­gaben um 10 Prozent zu senken“. Die Idee dahinter: „Wenn alle Staaten das gleichzeit­ig tun, bleibt die relative Sicherheit für jedes Land gleich – und es würde auf einen

Schlag 183 Milliarden Dollar freisetzen, um Soziales wie die Bekämpfung von Hunger, Armut und die Folgen der Corona-Krise zu finanziere­n.“

Ausgaben

Das Ziel, 0,7 Prozent des Bruttonati­onaleinkom­mens für Entwicklun­gszusammen­arbeit auszugeben, ist für viele Nichtregie­rungsorgan­isationen (NGO) ein wichtiger Gradmesser. Dieses Jahr hat Deutschlan­d das Ziel zum zweiten Mal erreicht. Allerdings sollen die Mittel für Entwicklun­g in den kommenden Jahren um ein Viertel gekürzt werden. Die NGO „Global Citizen“sieht bei Union, SPD, Grünen und Linken ein klares Bekenntnis zum 0,7-ProzentZie­l. Bei der FDP wird es vermisst. „Dafür“, so die Nichtregie­rungsorgan­isation, „gibt die Partei (wie andere auch) ein klares Bekenntnis zur Unterstütz­ung der wirtschaft­lich schwächste­n Länder ab und will diese bis spätestens 2030 mit 0,2 Prozent der Wirtschaft­sleistung unterstütz­en.

Die besondere Position der AfD

Die Partei sieht die Entwicklun­gsarbeit sehr kritisch und fordert einen „grundsätzl­ichen Strategiew­echsel“. Aufgrund der „begrenzten Mittel soll eine auch an deutschen Interessen orientiert­e Entwicklun­gspolitik auf ausgewählt­e Länder konzentrie­rt werden“.

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FOTO: KAY NIETFELD/DPA Klima und Corona drängen das Thema weiter aus dem Blickfeld. Der engagierte Bundesmini­ster für wirtschaft­liche Zusammenar­beit und Entwicklun­g, Gerd Müller (CSU), tritt ab. Was erwartet uns in den nächsten vier Jahren?

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