Schwäbische Zeitung (Biberach)
Fluchtursachen bekämpfen
Was die Parteien vor der Bundestagswahl für die Entwicklungshilfe versprechen
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BERLIN - Vor sechs Jahren haben sich alle UN-Mitgliedsstaaten zur Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung bekannt. Es geht um eine friedliche Welt ohne Armut und Hunger, ohne Ausbeutung und ohne Zerstörung des Planeten. Das ist im Grunde ein Thema, das die gesamte Bundesregierung betrifft. Es wird aber in der Öffentlichkeit vor allem vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung repräsentiert. Dem stand in den vergangenen Jahren der CSU-Politiker Gerd Müller vor, der mit einigen Initiativen viel Aufmerksamkeit erregte, dessen Pläne aber immer wieder auf die Interessen der deutschen Wirtschaft prallten. Die Auseinandersetzung zwischen globaler Entwicklungspolitik, nationalen Interessen und Wirtschaftsinteressen spiegelt sich auch in den Wahlprogrammen der Parteien wider.
Grundsätzliche Gemeinsamkeiten
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Mit Ausnahme der AfD stehen alle Parteien zu den UN-Entwicklungszielen. Es gibt auch überall Bekenntnisse zur partnerschaftlichen Zusammenarbeit mit Entwicklungsländern, zur Förderung guter Regierungsarbeit, von Bildung und der Gleichberechtigung der Geschlechter.
Unterschiede
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Sie finden sich nicht zuletzt bei der Bewertung eigener Interessen. Die Union bekennt sich einerseits zum „Gebot der Humanität“, wenn es gilt, Menschen in Armut und Not zu helfen. Dabei konzentrieren sich die beiden christlichen Parteien stark auf die afrikanischen Probleme, unter anderem auf den „Marshallplan mit Afrika“, der klassische Entwicklungshilfe mit eigenständiger unternehmerischer Verantwortung und guter Regierungsführung koppelt. Am vergangenen Freitag erst hatte die Kanzlerin afrikanische Staatsund Regierungschefs zur Besprechung der Initiative „Compact with Africa“direkt oder virtuell ins Kanzleramt eingeladen. Bei dieser Initiative, die fortgeführt wird, geht es vor allem um Wirtschaftsbeziehungen und Direktinvestitionen.
Überhaupt wird bei Union und FDP der Nutzen der Entwicklungszusammenarbeit für Europa und Deutschland betont. Die
SPD feiert das in dieser Legislaturperiode verabschiedete „Lieferkettengesetz“als ihren Erfolg.
Wobei Entwicklungsminister Müller ganz wesentlich beteiligt war. Die wirtschaftsnahen Kreise der Union sahen das Gesetz aber mit Zähneknirschen und setzten eine Entschärfung durch. Nun will die SPD nachlegen und „ein Gesetz zur Rückverfolgung auf dem Weltmarkt gehandelter Güter auf europäischer Ebene verankern, mit verbindlichen und sanktionsbewehrten Regeln, Zugang zu Gerichten in Europa und Entschädigung der Opfer“.
Die Grünen wollen außerdem eine Institution, die das Regierungshandeln in Sachen Entwicklungsziele überprüft. Und die Linken rufen dazu auf, „im kommenden Jahr in allen Staaten weltweit die Militärausgaben um 10 Prozent zu senken“. Die Idee dahinter: „Wenn alle Staaten das gleichzeitig tun, bleibt die relative Sicherheit für jedes Land gleich – und es würde auf einen
Schlag 183 Milliarden Dollar freisetzen, um Soziales wie die Bekämpfung von Hunger, Armut und die Folgen der Corona-Krise zu finanzieren.“
Ausgaben
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Das Ziel, 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens für Entwicklungszusammenarbeit auszugeben, ist für viele Nichtregierungsorganisationen (NGO) ein wichtiger Gradmesser. Dieses Jahr hat Deutschland das Ziel zum zweiten Mal erreicht. Allerdings sollen die Mittel für Entwicklung in den kommenden Jahren um ein Viertel gekürzt werden. Die NGO „Global Citizen“sieht bei Union, SPD, Grünen und Linken ein klares Bekenntnis zum 0,7-ProzentZiel. Bei der FDP wird es vermisst. „Dafür“, so die Nichtregierungsorganisation, „gibt die Partei (wie andere auch) ein klares Bekenntnis zur Unterstützung der wirtschaftlich schwächsten Länder ab und will diese bis spätestens 2030 mit 0,2 Prozent der Wirtschaftsleistung unterstützen.
Die besondere Position der AfD
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Die Partei sieht die Entwicklungsarbeit sehr kritisch und fordert einen „grundsätzlichen Strategiewechsel“. Aufgrund der „begrenzten Mittel soll eine auch an deutschen Interessen orientierte Entwicklungspolitik auf ausgewählte Länder konzentriert werden“.