Schwäbische Zeitung (Biberach)
Wie Engagement aus Biberach in Burundi hilft
Aktive und ehemalige Mitarbeiter von Boehringer Ingelheim fördern unter anderem die Ausbildung junger Menschen
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BIBERACH/INGELHEIM/KÖLN/BUJUMBURA - „Wenn es die Heime für Kinder nicht gäbe, hätten Straßenkinder wie ich keine Chance!“Aboubacar ist einer von 24 Auszubildenden in einer Lehrwerkstatt in Bujumbura, Burundi, mitten im Herzen Afrikas. Der junge Mann lächelt sichtlich angestrengt für ein Foto in die Kamera. Ganz geheuer scheint ihm die Aufmerksamkeit nicht, die Augen seiner Mitauszubildenden sind auf ihn gerichtet. Die Sonne am Äquator brennt stark, es ist heiß und staubig zwischen den Maschinen. Trockenzeit in Burundi, dem offiziellen Partnerland Baden-Württembergs. Der blaue Overall, den Aboubacar und die anderen Azubis mit Stolz tragen, kommt aus den Werken des Pharmaunternehmens Boehringer Ingelheim in Biberach und Ingelheim – so wie ein großer Teil der Maschinen, an denen Aboubacar steht.
Das Centre de Perfectionnement en Electromécanique Industriel, (CPEI), ist eine noch recht junge Lehrwerkstatt zur Fortbildung in Industriemechanik. Aboubacar gehört zur ersten Generation, die die 18-monatige Fortbildung durchläuft, die mit einem staatlich anerkannten Diplom abgeschlossen werden kann. Die Inspektion des Bildungsministeriums verlief bestens, erzählt Justin Ndikumana stolz, Direktor des CPEI. 2017 war der Elektroingenieur zusammen mit einer Kollegin nach Deutschland gekommen, um an einer mehrmonatigen Fortbildung teilzunehmen. Bereits damals war das Ziel: die beiden sollten mit deutscher Unterstützung eine Lehrwerkstatt aufbauen – und zwar im ärmsten Land der Welt.
Geboren wurde die Idee der Werkstatt von einer Arbeitsgruppe aktiver und ehemaliger Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Boehringer Ingelheim (BI), zusammen mit den Verantwortlichen der Fondation Stamm – einer burundischen Hilfsund Entwicklungsorganisation – und von Burundikids, einem Verein mit Sitz in Köln, der sich auf Burundi spezialisiert hat.
Die Fondation Stamm wurde während des Bürgerkriegs gegründet und betreibt heute unter anderem mehrere Schulen, Werkstätten und
Kinderheime – Orte, wo Kinder und Jugendliche wie Aboubacar Schutz finden und Perspektiven entwickeln. Der deutsche Verein unterstützt den Partner in Burundi in seinen Vorhaben. Ehrenamtliche Gruppen wie die von BI liefern die notwendige Expertise – seit genau 15 Jahren.
Die Gründerin von Burundikids, Martina Wziontek, arbeitet als Architektin in Köln. Seit der Gründung 2003 bis heute leitet sie den Verein ehrenamtlich. Vor wenigen Wochen wurde sie vom Bundespräsidenten für ihr Engagement mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet. Verena Stamm, Gründerin und ehrenamtliche Leiterin der Fondation Stamm in Burundi, zählte schon seit 2017 zu den Ordensträgerinnen. Die gelernte Krankenschwester war bereits 1972 von Wiesbaden nach Burundi ausgewandert. Im Konflikt zwischen Hutu und Tutsi in den 1990er-Jahren gründete sie die Hilfsorganisation in Burundi, die später mit Wzionteks Burundikids einen permanenten Partner bekam.
Das Engagement der zehnköpfigen BI-Arbeitsgruppe, darunter viele Ehemalige des Standorts Biberach, ist in diesem Verbund vielfältig: Sie organisiert Containertransporte und Schulungen für burundische Kollegen in Deutschland, entwickelt und gibt Kurse bei Einsätzen in Burundi und steht den Projekten mit Fachwissen zur Seite. „Wir beraten zum Beispiel den Leiter der Lehrwerkstatt bei der Durchführung seiner Kurse,“sagt Hans-Peter Häufel, ehemaliger Herstellungsleiter bei Boehringer Ingelheim. Ziel des Engagements ist ein nachhaltiger Beitrag zum Gesundheitswesen in Burundi. Dazu gehört zum Beispiel auch die Förderung der Ausbildung von pharmazeutisch-technischen Assistenten (PTA) und Industriemechanikern. So entstand bereits 2008 Burundis bis dato einzige PTA-Schule.
Lutz Henning von Storp, seit mehr als zehn Jahren Mitglied der Arbeitsgruppe Burundi, war die Hälfte seiner Arbeitszeit am Boehringer-Standort Biberach für Qualitätssicherung in der Forschung und
Entwicklung zuständig. An den Lehrplänen für die PTA-Ausbildung in Burundi hat er maßgeblich mitgewirkt – auch zusammen mit Hanfried Seyfarth, Mikrobiologe bei BI in Biberach. „Die Vorbereitung zu den Qualitätssicherungs-Seminaren in Bujumbura waren von den Kollegen in Biberach begleitet. Man hatte für Hans-Peter Häufel und mich viel Zeit gewidmet, um uns im Rahmen einer Vortragsreihe und Diskussion auf den letzten internationalen Stand zu bringen“, erinnert sich von Storp an die Vorbereitungen der Einsätze.
Boehringer Ingelheim unterstützt dabei mit ausrangiertem aber noch gut brauchbarem Gerät, das per Seefracht den Weg nach Burundi findet und dort in Labors und Werkstätten der fundierten Ausbildung und Qualifizierung der Jugend dient. Valentin Koch, Wirtschaftsleiter bei Boehringer Ingelheim, ging das noch nicht weit genug: Zusammen mit der Burundi-Gruppe und der Rösterei Heimbs entwickelte er ein eigenes Kaffee-Projekt: seitdem wird in den
Kantinen der Werke in Biberach und Ingelheim qualitativ hochwertiger Hochlandkaffee direkt aus Burundi ausgeschenkt und zum Kauf angeboten – der Erlös geht zurück in die Projekte nach Burundi.
Perspektivisch ist der Aufbau einer pharmazeutischen Herstellung „Made in Burundi“ein weiteres geplantes Vorhaben. Ein erster Schritt in diese Richtung ist die kürzlich erfolgte Gründung einer Lehrapotheke, für die die BI-Burundi-Gruppe ein Konzept samt Qualitätsmanagement-Handbuch erstellt hatte. Die Apotheke soll den Zugang zu qualitativ hochwertigen Medikamenten sichern und jungen PTA als Aus- und Fortbildungsstätte dienen. Gewinne des Betriebs fließen zurück in die PTA-Schule, um von Spenden unabhängiger zu werden. Die komplette Einrichtung der Apotheke war ebenfalls eine Unterstützung aus BadenWürttemberg: eine Apothekerin aus Konstanz, die ihre Apotheke auflöste, spendete das Equipment für das Projekt in Burundi. Die BI-Gruppe organisierte die Verladung in den Container.
Aboubacar hat bereits einen langen Parcours hinter sich. Von der Straße kam er ins Heim – Glück für ihn, wie er sagt. An einer Schule der Fondation Stamm lernte er Elektromechanik, machte 2020 seinen Abschluss und schrieb sich schließlich in der Werkstatt für Industriemechanik ein, wo er von motivierten und qualifizierten Mitarbeitern wie CPEI-Direktor Justin Ndikumana gelehrt wird. Laut Inspektion des burundischen Bildungsministeriums gilt das CPEI als Referenz – landesweit. Noch vor wenigen Jahren hätte sich Aboubacar nicht träumen lassen, dass er einmal eine Zukunft vor sich hat. Nicht irgendwo. Sondern im schönen Burundi, wo es noch viel zu tun gibt.
Kinder unter fünf Jahren gelten als unter- oder mangelernährt. Die Gründe für die vielseitigen Herausforderungen der burundischen Gesellschaft liegen im Bürgerkrieg (1993-2005) und seinen gravierenden Folgen. Burundi bekommt im internationalen Vergleich die geringste Aufmerksamkeit. Es ist seit 2014 das offizielle Partnerland von Baden-Württemberg. Freundschaftliche Beziehungen existieren seit den 1980er-Jahren. Vor dem Ersten Weltkrieg war Burundi Teil der Kolonie Deutsch-Ostafrika. (sz)