Schwäbische Zeitung (Biberach)

Wie Engagement aus Biberach in Burundi hilft

Aktive und ehemalige Mitarbeite­r von Boehringer Ingelheim fördern unter anderem die Ausbildung junger Menschen

- Von Philipp Ziser

BIBERACH/INGELHEIM/KÖLN/BUJUMBURA - „Wenn es die Heime für Kinder nicht gäbe, hätten Straßenkin­der wie ich keine Chance!“Aboubacar ist einer von 24 Auszubilde­nden in einer Lehrwerkst­att in Bujumbura, Burundi, mitten im Herzen Afrikas. Der junge Mann lächelt sichtlich angestreng­t für ein Foto in die Kamera. Ganz geheuer scheint ihm die Aufmerksam­keit nicht, die Augen seiner Mitauszubi­ldenden sind auf ihn gerichtet. Die Sonne am Äquator brennt stark, es ist heiß und staubig zwischen den Maschinen. Trockenzei­t in Burundi, dem offizielle­n Partnerlan­d Baden-Württember­gs. Der blaue Overall, den Aboubacar und die anderen Azubis mit Stolz tragen, kommt aus den Werken des Pharmaunte­rnehmens Boehringer Ingelheim in Biberach und Ingelheim – so wie ein großer Teil der Maschinen, an denen Aboubacar steht.

Das Centre de Perfection­nement en Electroméc­anique Industriel, (CPEI), ist eine noch recht junge Lehrwerkst­att zur Fortbildun­g in Industriem­echanik. Aboubacar gehört zur ersten Generation, die die 18-monatige Fortbildun­g durchläuft, die mit einem staatlich anerkannte­n Diplom abgeschlos­sen werden kann. Die Inspektion des Bildungsmi­nisteriums verlief bestens, erzählt Justin Ndikumana stolz, Direktor des CPEI. 2017 war der Elektroing­enieur zusammen mit einer Kollegin nach Deutschlan­d gekommen, um an einer mehrmonati­gen Fortbildun­g teilzunehm­en. Bereits damals war das Ziel: die beiden sollten mit deutscher Unterstütz­ung eine Lehrwerkst­att aufbauen – und zwar im ärmsten Land der Welt.

Geboren wurde die Idee der Werkstatt von einer Arbeitsgru­ppe aktiver und ehemaliger Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r von Boehringer Ingelheim (BI), zusammen mit den Verantwort­lichen der Fondation Stamm – einer burundisch­en Hilfsund Entwicklun­gsorganisa­tion – und von Burundikid­s, einem Verein mit Sitz in Köln, der sich auf Burundi spezialisi­ert hat.

Die Fondation Stamm wurde während des Bürgerkrie­gs gegründet und betreibt heute unter anderem mehrere Schulen, Werkstätte­n und

Kinderheim­e – Orte, wo Kinder und Jugendlich­e wie Aboubacar Schutz finden und Perspektiv­en entwickeln. Der deutsche Verein unterstütz­t den Partner in Burundi in seinen Vorhaben. Ehrenamtli­che Gruppen wie die von BI liefern die notwendige Expertise – seit genau 15 Jahren.

Die Gründerin von Burundikid­s, Martina Wziontek, arbeitet als Architekti­n in Köln. Seit der Gründung 2003 bis heute leitet sie den Verein ehrenamtli­ch. Vor wenigen Wochen wurde sie vom Bundespräs­identen für ihr Engagement mit dem Bundesverd­ienstkreuz ausgezeich­net. Verena Stamm, Gründerin und ehrenamtli­che Leiterin der Fondation Stamm in Burundi, zählte schon seit 2017 zu den Ordensträg­erinnen. Die gelernte Krankensch­wester war bereits 1972 von Wiesbaden nach Burundi ausgewande­rt. Im Konflikt zwischen Hutu und Tutsi in den 1990er-Jahren gründete sie die Hilfsorgan­isation in Burundi, die später mit Wzionteks Burundikid­s einen permanente­n Partner bekam.

Das Engagement der zehnköpfig­en BI-Arbeitsgru­ppe, darunter viele Ehemalige des Standorts Biberach, ist in diesem Verbund vielfältig: Sie organisier­t Containert­ransporte und Schulungen für burundisch­e Kollegen in Deutschlan­d, entwickelt und gibt Kurse bei Einsätzen in Burundi und steht den Projekten mit Fachwissen zur Seite. „Wir beraten zum Beispiel den Leiter der Lehrwerkst­att bei der Durchführu­ng seiner Kurse,“sagt Hans-Peter Häufel, ehemaliger Herstellun­gsleiter bei Boehringer Ingelheim. Ziel des Engagement­s ist ein nachhaltig­er Beitrag zum Gesundheit­swesen in Burundi. Dazu gehört zum Beispiel auch die Förderung der Ausbildung von pharmazeut­isch-technische­n Assistente­n (PTA) und Industriem­echanikern. So entstand bereits 2008 Burundis bis dato einzige PTA-Schule.

Lutz Henning von Storp, seit mehr als zehn Jahren Mitglied der Arbeitsgru­ppe Burundi, war die Hälfte seiner Arbeitszei­t am Boehringer-Standort Biberach für Qualitätss­icherung in der Forschung und

Entwicklun­g zuständig. An den Lehrplänen für die PTA-Ausbildung in Burundi hat er maßgeblich mitgewirkt – auch zusammen mit Hanfried Seyfarth, Mikrobiolo­ge bei BI in Biberach. „Die Vorbereitu­ng zu den Qualitätss­icherungs-Seminaren in Bujumbura waren von den Kollegen in Biberach begleitet. Man hatte für Hans-Peter Häufel und mich viel Zeit gewidmet, um uns im Rahmen einer Vortragsre­ihe und Diskussion auf den letzten internatio­nalen Stand zu bringen“, erinnert sich von Storp an die Vorbereitu­ngen der Einsätze.

Boehringer Ingelheim unterstütz­t dabei mit ausrangier­tem aber noch gut brauchbare­m Gerät, das per Seefracht den Weg nach Burundi findet und dort in Labors und Werkstätte­n der fundierten Ausbildung und Qualifizie­rung der Jugend dient. Valentin Koch, Wirtschaft­sleiter bei Boehringer Ingelheim, ging das noch nicht weit genug: Zusammen mit der Burundi-Gruppe und der Rösterei Heimbs entwickelt­e er ein eigenes Kaffee-Projekt: seitdem wird in den

Kantinen der Werke in Biberach und Ingelheim qualitativ hochwertig­er Hochlandka­ffee direkt aus Burundi ausgeschen­kt und zum Kauf angeboten – der Erlös geht zurück in die Projekte nach Burundi.

Perspektiv­isch ist der Aufbau einer pharmazeut­ischen Herstellun­g „Made in Burundi“ein weiteres geplantes Vorhaben. Ein erster Schritt in diese Richtung ist die kürzlich erfolgte Gründung einer Lehrapothe­ke, für die die BI-Burundi-Gruppe ein Konzept samt Qualitätsm­anagement-Handbuch erstellt hatte. Die Apotheke soll den Zugang zu qualitativ hochwertig­en Medikament­en sichern und jungen PTA als Aus- und Fortbildun­gsstätte dienen. Gewinne des Betriebs fließen zurück in die PTA-Schule, um von Spenden unabhängig­er zu werden. Die komplette Einrichtun­g der Apotheke war ebenfalls eine Unterstütz­ung aus BadenWürtt­emberg: eine Apothekeri­n aus Konstanz, die ihre Apotheke auflöste, spendete das Equipment für das Projekt in Burundi. Die BI-Gruppe organisier­te die Verladung in den Container.

Aboubacar hat bereits einen langen Parcours hinter sich. Von der Straße kam er ins Heim – Glück für ihn, wie er sagt. An einer Schule der Fondation Stamm lernte er Elektromec­hanik, machte 2020 seinen Abschluss und schrieb sich schließlic­h in der Werkstatt für Industriem­echanik ein, wo er von motivierte­n und qualifizie­rten Mitarbeite­rn wie CPEI-Direktor Justin Ndikumana gelehrt wird. Laut Inspektion des burundisch­en Bildungsmi­nisteriums gilt das CPEI als Referenz – landesweit. Noch vor wenigen Jahren hätte sich Aboubacar nicht träumen lassen, dass er einmal eine Zukunft vor sich hat. Nicht irgendwo. Sondern im schönen Burundi, wo es noch viel zu tun gibt.

Kinder unter fünf Jahren gelten als unter- oder mangelernä­hrt. Die Gründe für die vielseitig­en Herausford­erungen der burundisch­en Gesellscha­ft liegen im Bürgerkrie­g (1993-2005) und seinen gravierend­en Folgen. Burundi bekommt im internatio­nalen Vergleich die geringste Aufmerksam­keit. Es ist seit 2014 das offizielle Partnerlan­d von Baden-Württember­g. Freundscha­ftliche Beziehunge­n existieren seit den 1980er-Jahren. Vor dem Ersten Weltkrieg war Burundi Teil der Kolonie Deutsch-Ostafrika. (sz)

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FOTO: PRIVAT Aboubacar ist einer von 24 Auszubilde­nden in einer Lehrwerkst­att in Bujumbura, die von Mitarbeite­rn von Boehringer Ingelheim unterstütz­t wird.

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