Schwäbische Zeitung (Biberach)
Freiburg feiert den Zufallshelden
Woo-Yeong Jeong entscheidet Prestigederby – Stuttgarts Sorgen wachsen trotz eines 106-Sekunden-Doppelpacks
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STUTTGART - Auch eine halbe Stunde nach Abpfiff harrten etwa 30 unermüdliche Anhänger des SC Freiburg in ihrem Auswärtsblock aus, sangen ihre Freude in den Stuttgarter Himmel und feierten nicht nur das Ende der anderthalb Jahre, in denen sie nicht auf Auswärtsfahrt gehen durften, sondern vor allem den 3:2 (3:2)Auswärtssieg ihrer Breisgauer beim VfB Stuttgart. Die meisten der Anhänger der Brustringtruppe waren da schon missmutig auf dem Weg nach Hause, und auch der Trainer des VfB war entsprechend bedient.
„Vielleicht wäre ein Punkt verdient gewesen, aber wir haben keinen“, sagte Trainer Pellegrino Matarazzo: „Wir haben keinen guten Start ins Spiel gehabt, haben nicht gut verteidigt und sind relativ schnell 0:3 in Rückstand geraten.“Auch der frühere SC-Torhüter Florian Müller, der in der Sommerpause nach Stuttgart gewechselt war, befand: „Wir haben den Anfang komplett verschlafen.“
Dabei war das, was alle Stuttgarter Akteure unisono nervte, genau
Wie viele Verträge er in seinem Leben ausgehandelt hat, weiß vermutlich selbst nicht. Wie viele Transfers er in seinen mehr als 40 Jahren in der Führungsebene des FC Bayern eingefädelt hat ebensowenig. Klar ist: Es waren viele – sehr viele. Hoeneß kennt sich im Geschäftsfeld Profifußball aus wie kaum ein anderer. Oder besser gesagt: kannte. Denn auch der 69-Jährige kommt mit dem Tempo auf dem Transfermarkt nicht mehr mit. „Ich dachte, dass die großen Transfers dieses Jahr ausbleiben“, staunte Hoeneß, als die ersten großen Wechsel in diesem Sommer bekannt wurden. Wenn er sehe, was etwa PSG so ausgebe, „wird mir Angst und Bange. Wir müssen uns warm anziehen.“
Das war bereits im Juli. Seitdem hat ● die Wechselbörse noch mal extrem an Fahrt aufgenommen. PSG, ManCity, der FC Chelsea und plötzlich auch wieder Real Madrid: Summen jenseits der 100 Millionen Euro für einen
(für 118 Millionen Euro von Aston Villa zu ManCity) oder
(für 115 Millionen von Inter Mailand zu Chelsea) oder der nun offenbar kurz bevorstehende Wechsel von Weltmeister von PSG zu Real sind offensichtlich kein Problem. Hinzu kommen die Spektakeltransfers von zu PSG und zu Manchester United – bei denen zwar aufgrund des Alters der beiden Weltstars keine allzu großen Ablösesummen, dafür Handgelder und Beraterprämien in Millionenhöhe flossen. Von der während der Corona-Krise von den Clubs gerne propagierten neuen Demut keine Spur mehr.
Grealish
Lukaku
Uli Hoeneß
Kylian Mbappé
Lionel Messi Cristiano Ronaldo
Jack
Romelu
Dabei ist es gerade einmal vier Monate ● her, dass Real-Präsident
Florentino
das, was die Freiburger verzückte. Denn die Truppe machte im Landesduell direkt dort weiter, wo sie eine Woche zuvor beim sensationellen 2:1 gegen Borussia Dortmund aufgehört hatte. Woo-Yeong Jeong sorgte mit seinen Treffern in Minute 3 und 9 schnell für klare Verhältnisse, ehe Lucas Höler (28.) erhöhte. Stuttgarts 106-Sekunden-Kraftakt mit dem Doppelschlag von Konstantinos Mavropanos (45.) und Hamadi Al Ghaddioui (45.+2) sorgte zwar noch für Spannung, doch verpuffte jene nach dem Seitenwechsel und blieb weitestgehend abwesend.
Die badischen Blitzstarter waren hinterher also obenauf, feierten ihren Punkterekord (nie zuvor hatten sie zu diesem Zeitpunkt in der Bundesliga so viele Punkte wie jetzt) und vor allem ihren Matchwinner, der anschließend in gutem Deutsch verriet: „Das Spiel war super für mich und ich freue mich sehr über meine beiden Tore.“Dabei hätte es das Freiburger Jeong-Märchen beinahe nicht gegeben. Erst nach langem Hin und Her hatte sich Streich am Vorabend für das Baden-Württemberg-Duell
Perez den Untergang des Profifußballs prophezeite. „Mit den derzeitigen Einnahmen aus der Champions League sterben wir“, wehklagte er voll Weltschmerz, dass leider nur die Allerwenigsten die Idee von der Super League ähnlich gut fanden wie er auf dieselbe Grundordnung wie gegen Dortmund festgelegt. „Das passt eigentlich nicht ganz, so wie der VfB spielt mit Dreierkette und den zwei Zehnern“, erklärte Streich. Doch Yeong sei Dank ging der Griff auf. „Zum Glück haben wir das gemacht, sonst wäre vielleicht der Woo-Yeong draußen gewesen, wenn man ehrlich ist“, selbst. „Wir alle sterben, die großen Clubs, die mittleren, die kleinen.“Nicht einmal ein halbes Jahr später ist von diesem Untergangsszenario nichts mehr zu spüren. Plötzlich sind kolportierte 170 bis 180 Millionen Euro Ablöse für Mbappé, der im nächsten sagte der 56-Jährige, der den 21-Jährigen Südkoreaner auch charakterlich lobte: „Er ist ein ganz toller Mensch“, aber ganz Streich-like trotz nun sieben Punkten seine Himmelsstürmer und alle SC-Fans warnte: „Ich kann rechnen und ich weiß, wie viele Punkte wir brauchen, um ein weiteres Jahr in der Bundesliga spielen zu dürfen.“
Bei Nico Schlotterbeck dürften diese Worte vorerst auf taube Ohren gestoßen sein, zu breit grinste der 21Jährige nach Abpfiff. „Nach dem Debüt mit meinem Bruder zusammen ist das die beste Woche meiner Karriere“, sagte der Innenverteidiger bei Sky. Denn neben den beiden Siegen fiel in diese kurze Zeitspanne auch noch seine erstmalige Nominierung für die deutsche Nationalmannschaft. „Ich spiele in meiner Heimat in Stuttgart und der Lehrgang ist in Stuttgart – was Besseres gibt es kaum“, sagte der Waiblinger, der nach der Partie erst gar nicht mit seinen Mannschaftskamerade zurück in den Schwarzwald reiste.
Ein bisschen Freude blieb also in Stuttgart – wenn auch von außen hereingetragen. Sommer ablösefrei zu haben wäre und ohnehin nach Madrid möchte, selbst für einen Dahinsiechenden wohl doch noch drin – und das trotz Schulden der Königlichen in Höhe von rund 900 Millionen Euro.
Es sind Dimensionen, bei denen die ● deutschen Clubs, die aufgrund der 50+1-Regel ohne großzügige Geldgeber auskommen müssen, schon längst passen – es sei denn, sie sind der abgebende Verein. Die Bundesliga droht beim Monopoly der von Scheichs und Milliardären alimentierten europäischen Spitzenclubs abgehängt zu werden. Selbst der deutsche Branchenprimus Bayern München investiert nur zurückhaltend. 42,5 Millionen Euro für und nun wohl noch 16 Millionen Euro für
sind im internationalen Vergleich Peanuts. In Zeiten der Pandemie soll nicht mehr ausgegeben werden als reinkommt – das gilt für alle Bundesligisten. Immerhin rund 350 Millionen Euro haben die 18 Clubs in neues Personal investiert, aber immer mit den Pandemie-Schäden im Hinterkopf. Mehr ist nicht: „Gegen manche finanzielle Kräfte“, sagte Bayerns Sportvorstand
„ist im Moment nichts zu machen.“
Dayot Upamecano
Sabitzer
Marcel
Hasan Salihamidzic,
Natürlich hätte auch er gerne mal ● mit Cristiano Ronaldo zusammengespielt, sagte der jüngst seine Vertragsverlängerung bei den Bayern ohne Berater ausgehandelt hatte, am Samstagabend im „Sportstudio“. Aber es sei „sehr vernünftig, dass wir die ganz extremen Dinge nicht mitgehen“. Recht hat er. Finanzielle Harakiri-Aktionen müssen nicht imitiert werden. Sie versprechen vielleicht auf kurze Sicht Erfolg. Auf lange Sicht ist aber der Weg der Vernunft auf jeden Fall der bessere.
Joshua Kimmich,
Innerhalb der personell gebeutelten Brustringtruppe war die Stimmung entsprechend getrübt. Dass Torschütze Mavropanos in der 61. Minute wegen einer Hüftprellung auch noch ausgewechselt werden musste, ließ die Stirnfalten bei Matarazzo noch tiefer werden. Zwar lobte der 43-Jährige die „Kämpfermentalität“nach dem Rückstand, meinte aber: „In der zweiten Halbzeit haben wir trotz Dominanz und Ballbesitz zu wenige Chancen kreiert. In Zukunft müssen wir es von Anfang an souveräner und konsequenter machen.“Zu der dünnen Kaderdecke, vor allem im Offensivbereich, wollte der Trainer nicht mehr viele Worte verschwenden: „Wir sind aktiv, analysieren die Situation, wir wissen, was wir suchen, aber werden sehen, ob es klappt.“Das Stürmertor von Al Ghaddioui war unter den Umständen ein Lichtblick, aber auch so lässt die Situation den Trainer vorerst nicht schwarz sehen: „Wir haben drei Punkte aus den ersten drei Spielen, was kein Weltuntergang ist. Aber es geht darum, den nächsten Schritt zu machen.“