Schwäbische Zeitung (Biberach)

Freiburg feiert den Zufallshel­den

Woo-Yeong Jeong entscheide­t Prestigede­rby – Stuttgarts Sorgen wachsen trotz eines 106-Sekunden-Doppelpack­s

- Von Felix Alex Von Martin Deck

STUTTGART - Auch eine halbe Stunde nach Abpfiff harrten etwa 30 unermüdlic­he Anhänger des SC Freiburg in ihrem Auswärtsbl­ock aus, sangen ihre Freude in den Stuttgarte­r Himmel und feierten nicht nur das Ende der anderthalb Jahre, in denen sie nicht auf Auswärtsfa­hrt gehen durften, sondern vor allem den 3:2 (3:2)Auswärtssi­eg ihrer Breisgauer beim VfB Stuttgart. Die meisten der Anhänger der Brustringt­ruppe waren da schon missmutig auf dem Weg nach Hause, und auch der Trainer des VfB war entspreche­nd bedient.

„Vielleicht wäre ein Punkt verdient gewesen, aber wir haben keinen“, sagte Trainer Pellegrino Matarazzo: „Wir haben keinen guten Start ins Spiel gehabt, haben nicht gut verteidigt und sind relativ schnell 0:3 in Rückstand geraten.“Auch der frühere SC-Torhüter Florian Müller, der in der Sommerpaus­e nach Stuttgart gewechselt war, befand: „Wir haben den Anfang komplett verschlafe­n.“

Dabei war das, was alle Stuttgarte­r Akteure unisono nervte, genau

Wie viele Verträge er in seinem Leben ausgehande­lt hat, weiß vermutlich selbst nicht. Wie viele Transfers er in seinen mehr als 40 Jahren in der Führungseb­ene des FC Bayern eingefädel­t hat ebensoweni­g. Klar ist: Es waren viele – sehr viele. Hoeneß kennt sich im Geschäftsf­eld Profifußba­ll aus wie kaum ein anderer. Oder besser gesagt: kannte. Denn auch der 69-Jährige kommt mit dem Tempo auf dem Transferma­rkt nicht mehr mit. „Ich dachte, dass die großen Transfers dieses Jahr ausbleiben“, staunte Hoeneß, als die ersten großen Wechsel in diesem Sommer bekannt wurden. Wenn er sehe, was etwa PSG so ausgebe, „wird mir Angst und Bange. Wir müssen uns warm anziehen.“

Das war bereits im Juli. Seitdem hat ● die Wechselbör­se noch mal extrem an Fahrt aufgenomme­n. PSG, ManCity, der FC Chelsea und plötzlich auch wieder Real Madrid: Summen jenseits der 100 Millionen Euro für einen

(für 118 Millionen Euro von Aston Villa zu ManCity) oder

(für 115 Millionen von Inter Mailand zu Chelsea) oder der nun offenbar kurz bevorstehe­nde Wechsel von Weltmeiste­r von PSG zu Real sind offensicht­lich kein Problem. Hinzu kommen die Spektakelt­ransfers von zu PSG und zu Manchester United – bei denen zwar aufgrund des Alters der beiden Weltstars keine allzu großen Ablösesumm­en, dafür Handgelder und Beraterprä­mien in Millionenh­öhe flossen. Von der während der Corona-Krise von den Clubs gerne propagiert­en neuen Demut keine Spur mehr.

Grealish

Lukaku

Uli Hoeneß

Kylian Mbappé

Lionel Messi Cristiano Ronaldo

Jack

Romelu

Dabei ist es gerade einmal vier Monate ● her, dass Real-Präsident

Florentino

das, was die Freiburger verzückte. Denn die Truppe machte im Landesduel­l direkt dort weiter, wo sie eine Woche zuvor beim sensatione­llen 2:1 gegen Borussia Dortmund aufgehört hatte. Woo-Yeong Jeong sorgte mit seinen Treffern in Minute 3 und 9 schnell für klare Verhältnis­se, ehe Lucas Höler (28.) erhöhte. Stuttgarts 106-Sekunden-Kraftakt mit dem Doppelschl­ag von Konstantin­os Mavropanos (45.) und Hamadi Al Ghaddioui (45.+2) sorgte zwar noch für Spannung, doch verpuffte jene nach dem Seitenwech­sel und blieb weitestgeh­end abwesend.

Die badischen Blitzstart­er waren hinterher also obenauf, feierten ihren Punktereko­rd (nie zuvor hatten sie zu diesem Zeitpunkt in der Bundesliga so viele Punkte wie jetzt) und vor allem ihren Matchwinne­r, der anschließe­nd in gutem Deutsch verriet: „Das Spiel war super für mich und ich freue mich sehr über meine beiden Tore.“Dabei hätte es das Freiburger Jeong-Märchen beinahe nicht gegeben. Erst nach langem Hin und Her hatte sich Streich am Vorabend für das Baden-Württember­g-Duell

Perez den Untergang des Profifußba­lls prophezeit­e. „Mit den derzeitige­n Einnahmen aus der Champions League sterben wir“, wehklagte er voll Weltschmer­z, dass leider nur die Allerwenig­sten die Idee von der Super League ähnlich gut fanden wie er auf dieselbe Grundordnu­ng wie gegen Dortmund festgelegt. „Das passt eigentlich nicht ganz, so wie der VfB spielt mit Dreierkett­e und den zwei Zehnern“, erklärte Streich. Doch Yeong sei Dank ging der Griff auf. „Zum Glück haben wir das gemacht, sonst wäre vielleicht der Woo-Yeong draußen gewesen, wenn man ehrlich ist“, selbst. „Wir alle sterben, die großen Clubs, die mittleren, die kleinen.“Nicht einmal ein halbes Jahr später ist von diesem Untergangs­szenario nichts mehr zu spüren. Plötzlich sind kolportier­te 170 bis 180 Millionen Euro Ablöse für Mbappé, der im nächsten sagte der 56-Jährige, der den 21-Jährigen Südkoreane­r auch charakterl­ich lobte: „Er ist ein ganz toller Mensch“, aber ganz Streich-like trotz nun sieben Punkten seine Himmelsstü­rmer und alle SC-Fans warnte: „Ich kann rechnen und ich weiß, wie viele Punkte wir brauchen, um ein weiteres Jahr in der Bundesliga spielen zu dürfen.“

Bei Nico Schlotterb­eck dürften diese Worte vorerst auf taube Ohren gestoßen sein, zu breit grinste der 21Jährige nach Abpfiff. „Nach dem Debüt mit meinem Bruder zusammen ist das die beste Woche meiner Karriere“, sagte der Innenverte­idiger bei Sky. Denn neben den beiden Siegen fiel in diese kurze Zeitspanne auch noch seine erstmalige Nominierun­g für die deutsche Nationalma­nnschaft. „Ich spiele in meiner Heimat in Stuttgart und der Lehrgang ist in Stuttgart – was Besseres gibt es kaum“, sagte der Waiblinger, der nach der Partie erst gar nicht mit seinen Mannschaft­skamerade zurück in den Schwarzwal­d reiste.

Ein bisschen Freude blieb also in Stuttgart – wenn auch von außen hereingetr­agen. Sommer ablösefrei zu haben wäre und ohnehin nach Madrid möchte, selbst für einen Dahinsiech­enden wohl doch noch drin – und das trotz Schulden der Königliche­n in Höhe von rund 900 Millionen Euro.

Es sind Dimensione­n, bei denen die ● deutschen Clubs, die aufgrund der 50+1-Regel ohne großzügige Geldgeber auskommen müssen, schon längst passen – es sei denn, sie sind der abgebende Verein. Die Bundesliga droht beim Monopoly der von Scheichs und Milliardär­en alimentier­ten europäisch­en Spitzenclu­bs abgehängt zu werden. Selbst der deutsche Branchenpr­imus Bayern München investiert nur zurückhalt­end. 42,5 Millionen Euro für und nun wohl noch 16 Millionen Euro für

sind im internatio­nalen Vergleich Peanuts. In Zeiten der Pandemie soll nicht mehr ausgegeben werden als reinkommt – das gilt für alle Bundesligi­sten. Immerhin rund 350 Millionen Euro haben die 18 Clubs in neues Personal investiert, aber immer mit den Pandemie-Schäden im Hinterkopf. Mehr ist nicht: „Gegen manche finanziell­e Kräfte“, sagte Bayerns Sportvorst­and

„ist im Moment nichts zu machen.“

Dayot Upamecano

Sabitzer

Marcel

Hasan Salihamidz­ic,

Natürlich hätte auch er gerne mal ● mit Cristiano Ronaldo zusammenge­spielt, sagte der jüngst seine Vertragsve­rlängerung bei den Bayern ohne Berater ausgehande­lt hatte, am Samstagabe­nd im „Sportstudi­o“. Aber es sei „sehr vernünftig, dass wir die ganz extremen Dinge nicht mitgehen“. Recht hat er. Finanziell­e Harakiri-Aktionen müssen nicht imitiert werden. Sie verspreche­n vielleicht auf kurze Sicht Erfolg. Auf lange Sicht ist aber der Weg der Vernunft auf jeden Fall der bessere.

Joshua Kimmich,

Innerhalb der personell gebeutelte­n Brustringt­ruppe war die Stimmung entspreche­nd getrübt. Dass Torschütze Mavropanos in der 61. Minute wegen einer Hüftprellu­ng auch noch ausgewechs­elt werden musste, ließ die Stirnfalte­n bei Matarazzo noch tiefer werden. Zwar lobte der 43-Jährige die „Kämpfermen­talität“nach dem Rückstand, meinte aber: „In der zweiten Halbzeit haben wir trotz Dominanz und Ballbesitz zu wenige Chancen kreiert. In Zukunft müssen wir es von Anfang an souveräner und konsequent­er machen.“Zu der dünnen Kaderdecke, vor allem im Offensivbe­reich, wollte der Trainer nicht mehr viele Worte verschwend­en: „Wir sind aktiv, analysiere­n die Situation, wir wissen, was wir suchen, aber werden sehen, ob es klappt.“Das Stürmertor von Al Ghaddioui war unter den Umständen ein Lichtblick, aber auch so lässt die Situation den Trainer vorerst nicht schwarz sehen: „Wir haben drei Punkte aus den ersten drei Spielen, was kein Weltunterg­ang ist. Aber es geht darum, den nächsten Schritt zu machen.“

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FOTOS: HANSJÜRGEN BRITSCHI/IMAGO IMAGES Dem SC Freiburg ist der beste Bundesliga­start der Clubgeschi­chte gelungen – auch dank Einfachtor­schütze Lucas Höler (re.) und Doppelpack­er Woo-Yeong Jeong.
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FOTO: FRANCK FIFE/AFP Für Spieler wie Lionel Messi (li.) und Kylian Mbappé fließen trotz Corona-Krise weiter hohe Summen.
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Der VfB um Enzo Millot (Mi.) gerät immer mehr in die Zwickmühle, Janik Haberer (li.) und der SC sind obenauf.

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