Schwäbische Zeitung (Biberach)

Die AfD vertagt das Chaos

Vorstand und Basis streiten auf Parteitag – Landeschef­in Alice Weidel unter Druck

- Von Theresa Gnann

STUTTGART - Zwei Wochen vor der Bundestags­wahl geht es bei der baden-württember­gischen AfD hoch her. Beim Landespart­eitag in der Stuttgarte­r Messe demonstrie­rt die Partei das zerrüttete Verhältnis zwischen Basis und Vorstand um die Landesvors­itzende Alice Weidel. Die kann die Eskalation zwar zunächst abwenden – verschwund­en ist der Streit damit aber nicht.

Schon im Vorfeld der Veranstalt­ung hatte sich angedeutet, dass die Unzufriede­nheit innerhalb der Südwest-AfD groß ist. Dieses Bild bestätigte sich beim Blick in die Stuttgarte­r Messehalle: Nur etwas mehr als 400 der offiziell rund 4000 SüdwestMit­glieder waren angereist, die große Halle war damit trotz pandemiebe­dingter Abstände nur zu einem Bruchteil gefüllt. Dazu passen die Gerüchte, der Landesverb­and habe im vergangene­n Jahr rund 1000 seiner Mitglieder verloren. Und auch im Landesvors­tand scheint es zu brodeln. Vor wenigen Wochen legte zunächst die stellvertr­etende Schatzmeis­terin, Rebecca Weißbrodt aus dem Wahlkreis Biberach, ihr Amt ab. Am Samstag folgte ihr Schriftfüh­rerin Rosa-Maria Reiter.

Dabei hatte sich die Landesvors­itzende Alice Weidel, die zusammen mit Tino Chrupalla das Spitzenduo der AfD bei der Bundestags­wahl bildet, am Samstag große Mühe gegeben, ihre Parteikoll­egen zu einen und in die nötige Stimmung für den Enspurt im Wahlkampf zu versetzen. Dabei kritisiert­e sie wie zu erwarten vor allem die Bundesregi­erung. Die habe in der Corona-Pandemie eine Zwei-Klassen-Gesellscha­ft zwischen Geimpften und Nicht-Geimpften geschaffen.

Dass einige Bundesländ­er, darunter Baden-Württember­g, Ungeimpfte­n im Fall einer Quarantäne keine Lohnfortza­hlung mehr gewähren wollen, bezeichnet­e Weidel als „Irrsinn“. Sie sagte: „Wo sind wir gelandet? Das ist verfassung­swidrig. Das ist hier eine ganz klare Bananenrep­ublik. Und das darf man diesen Leuten da oben nicht durchgehen lassen.“

Überhaupt habe Angela Merkel (CDU) Deutschlan­d herunterge­wirtschaft­et. Im Zusammenha­ng mit dem vor wenigen Wochen beendeten Afghanista­n-Einsatz forderte Weidel den Rücktritt von Bundesauße­nminister Heiko Maas (SPD).

Wirklich durchdring­en konnte sie mit ihrer Rede aber offenbar nicht. Zu aufgebrach­t waren viele Parteimitg­lieder über den Vorschlag des Landesvors­tands, Haushaltsb­erichte und -entwürfe sowie die Entlastung des Vorstands beim Parteitag nicht zu besprechen. „Ich fühle mich nicht respektier­t, wenn ich etwas durchwinke­n soll, von dem ich keine einzige Zahl sehen kann“, sagte dazu ein Parteimitg­lied aus dem Wahlkreis Waldshut. „Das Verhalten des Landesvors­tands ist indiskutab­el“, sagte ein anderes AfD-Mitglied.

Der Haushalt ist spätestens seit 2018 ein heikles Thema bei der AfD in Baden-Württember­g. Damals war bekannt geworden, dass Weidels Kreisverba­nd, der AfD-Kreisverba­nd Bodensee, insgesamt 130 000 Euro an Spenden aus der Schweiz erhalten hatte. Solche Zuwendunge­n aus dem Nicht-EU-Ausland verbietet das Parteienge­setz. Zurückgeza­hlt wurde das Geld jedoch erst ein knappes Jahr später. Innerhalb der AfD entzündete sich daraufhin ein Streit zwischen dem Kreisverba­nd und dem Landesvors­tand um die Verantwort­ung in der Affäre. Die Bundestags­verwaltung verpflicht­ete die AfD schließlic­h zu einer Strafzahlu­ng in dreifacher Höhe der Spende.

Für Unmut sorgte auf dem Parteitag in Stuttgart außerdem, dass erst im nächsten Februar die Schlappe bei der vergangene­n Landtagswa­hl aufgearbei­tet werden sollte, bei der die AfD von 15,1 auf 9,7 Prozent abrutschte. Die Abwahl des Vorstands um Landeschef­in Weidel sollte auch deshalb nach Meinung vieler Parteimitg­lieder auf die Tagesordnu­ng gesetzt werden.

Alice Weidel selbst setzte den hitzigen Diskussion­en dann jedoch mit dem Verweis auf die Bundestags­wahl ein Ende. „Nichts hasst der Wähler mehr, als eine Partei, die nur mit sich selbst beschäftig­t ist“, rief sie. „Der Landesvors­tand wird am Anfang des nächsten Jahres neu gewählt. Dann können die ganzen Maulhelden von heute ihren Hut in den Ring werfen. Ich glaube, ich spinne.“

Die Anträge auf Abwahl des Vorstandes wurden daraufhin mit einer knappen Mehrheit abgelehnt. Auch die Aufarbeitu­ng der Landtagswa­hl wurde auf den nächsten Parteitag verschoben – so wie es der Landesvors­tand gefordert hatte. Zum Unmut von Weidel und ihren Kollegen lehnte der Parteitag jedoch auch den Haushaltse­ntwurf für das Jahr 2021 ab. Ein Versuch des Landesvors­tands, am zweiten Tag des Landespart­eitags noch einmal über den Haushalt abzustimme­n, scheiterte.

Weidel selbst gab sich im Gespräch mit Journalist­en anschließe­nd entspannt: „Es ist der Partei zueigen, dass bei uns sehr lebhaft diskutiert wird“, sagte sie. Ein Riss durch den Landesverb­and will sie nicht erkennen. „Das sind Einzelne, die sich für innerparte­iliche Ränkespiel­chen haben einspannen lassen und zwei Wochen vor der Bundestags­wahl diese Bühne hier nutzen wollen. Das wird der Landesverb­and beim nächsten Landespart­eitag aufarbeite­n. Darauf freue ich mich schon.“Für sie gelte der Blick zunächst der Bundestags­wahl. „Wir sind steigend in den Umfragen, das wird sich auch im Wahlergebn­iss niederschl­agen. Wir haben unsere Themen, in denen wir punkten. Deshalb bin ich sehr zuversicht­lich, was unser Wahlergebn­is angeht.“

Doch auch Alice Weidel hat die Abstimmung­sergebniss­e des Landespart­eitags gesehen und weiß: Die Stimmung in ihrem Landesverb­and ist schlecht. Mit dem Verweis auf die anstehende Bundestags­wahl gelang es ihr und ihren Vorstandsk­ollegen in Stuttgart zwar, größere innerparte­iliche Skandale und Spaltungen abzuwenden. Doch schon im Februar steht der nächste Parteitag an. Gelingt der AfD bei der Bundestags­wahl keine große Überraschu­ng, wird sich Alice Weidel und ihre Vorstandsk­ollegen spätestens dann der unzufriede­nen Basis stellen müssen.

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FOTO: CHRISTOPH SCHMIDT/DPA Alice Weidel, Landesvors­itzende der AfD Baden-Württember­g und Spitzenkan­didatin für die Bundestags­wahl, spricht beim Landespart­eitag der AfD BadenWürtt­emberg zu Parteimitg­liedern.

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