Schwäbische Zeitung (Biberach)
„Wir wollen Familien gezielt entlasten“
Die CDU-Politikerin Annette Widmann-Mauz kündigt einen „Nationalen Aktionsplan“an
BERLIN - Die CDU will mit einem „Nationalen Aktionsplan“die Familien in Deutschland besser unterstützen. Das kündigte Annette WidmannMauz, Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, im Interview mit der „Schwäbischen Zeitung“an. Auch auf den Partner übertragbare Zeitwertkonten seien geplant, um „Flexibilität in unterschiedlichen Lebensund Familienphasen“zu ermöglichen, sagte die CDU-Abgeordnete für den Wahlkreis Tübingen.
Sie sind gerade mit 88,2 Prozent als Bundesvorsitzende der Frauenunion wiedergewählt worden. Bei Wahlen zu anderen Parteiämtern kommen Sie meist auf viel schlechtere Ergebnisse. Gibt es da einen Zusammenhang?
Nur wer kein Profil hat, der eckt nicht an. Ich kämpfe für die Anliegen der Frauen, von Müttern und Familien sowie für starken Zusammenhalt und gelingende Integration in unserem Land. Das sind relevante Zukunftsthemen. Das beschäftigt viele Menschen und wird auch leidenschaftlich diskutiert.
Was bedeutet der Rückzug von Angela Merkel für Sie persönlich? Es wird ein Einschnitt sein. Seit 23 Jahren arbeiten Angela Merkel und ich in der Fraktion, in der Bundesregierung, in der Partei eng zusammen. Ich bin dankbar für die Zeit, habe viel von ihr gelernt, das nehme ich mit. Angela Merkel verkörpert, dass Frauen in unserem Land jede Position erreichen können. Dieses Bewusstsein müssen wir wachhalten.
Wünschen Sie sich eine Frau als Bundespräsidentin?
Auf jeden Fall halte ich es für absolut selbstverständlich und notwendig, dass die höchsten Staatsämter nicht in der Hand nur eines Geschlechts liegen.
In der Corona-Krise haben sich die Bildungschancen von Kindern mit Migrationshintergrund, aus ärmeren oder bildungsfernen Haushalten verschlechtert. Warum wird darüber nicht mehr im Wahlkampf gesprochen?
Wir müssen insgesamt mehr über Inhalte reden. Neben Klimaschutz, technologischer Entwicklung und wirtschaftlichem Wachstum müssen auch andere Themen mehr Relevanz haben. Den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu bewahren und für gerechte Startchancen zu sorgen, sind zentrale Themen. Wir müssen die Situation der Familien, deren finanzielle und zeitlichen Belastungen in den Mittelpunkt rücken. Das mache ich als Vorsitzende der Frauenunion und als Staatsministerin für Integration.
Mit welchen Vorhaben wollen Sie Familien konkret unterstützen? Wir wollen einen „Nationalen Aktionsplan Familie“umsetzen. Alle Vorhaben und Programme, die Familien stärken und fördern, sollen mit ihnen gemeinsam lebensnah weiterentwickelt und nicht über ihren Kopf hinweg entschieden werden. Wir haben in der Bundesregierung gute Erfahrungen mit dem Nationalen Aktionsplan Integration gemacht, wo Bund, Länder, Kommunen, Migrantenorganisationen und Wohlfahrtsverbände gemeinsam Konzepte ausgearbeitet haben, um die Integration voranzubringen. So muss das auch in der Familienpolitik funktionieren.
Wo liegen die Unterschiede zu anderen Parteien?
SPD und Grüne wollen die finanzielle Leistungsfähigkeit von Familien beschneiden, indem sie das Ehegattensplitting abschaffen oder begrenzen. Wir wollen das Ehegattensplitting beibehalten und die Familie auch in Zukunft stärken und gezielt entlasten. Der Einstieg in ein Kindersplitting und eine Erhöhung der Grundfreibeträge für Kinder ist dafür der richtige Ansatz. Alleinerziehende können mit einem noch mal deutlich erhöhten Entlastungsfreibetrag rechnen. Wir wollen ihn perspektivisch von 4008 auf 5000 Euro erhöhen.
Bei der Vorstellung des Zukunftsteams der Union war von einem Familienzeitkonto die Rede. Was ist darunter zu verstehen?
Es gibt ja bereits Konzepte von Zeitwertkonten in Unternehmen, die vorsehen, dass man durch Mehrarbeit Zeit aufbauen kann, die dann später zur Verfügung steht. Wir wollen, dass diese Zeitkonten auch auf den Partner übertragen werden können. Dieses Modell bringt Flexibilität in unterschiedlichen Lebens- und Familienphasen, die Digitalisierung macht vieles möglich. Das ist ein umfangreiches Projekt, aber eines, das sich lohnt. Dadurch entstehen Planungssicherheit und Flexibilität, die Familien brauchen.
Wie wollen Sie verhindern, dass aus den Kindern, die in der Corona-Krise abgehängt wurden, dauerhafte Schulversager werden?
Das Wichtigste ist, dafür zu sorgen, dass der Schulunterricht in diesem Herbst und Winter stattfindet. Mit dem Aufholpaket unterstützen wir Kinder und Jugendliche mit zwei Milliarden Euro unter anderem beim Abbau von Lernrückständen, stärken die frühkindliche Bildung und Schulsozialarbeit. Mit der Hilfe von Pädagogen, Ehrenamtlichen und Eltern müssen wir versuchen, die Rückstände und Defizite der Schüler auszugleichen. Ich denke als Integrationsbeauftragte auch an Bildungspaten, die junge Menschen in ihrem schulischen und beruflichen Alltag begleiten. Die Programme und Förderprogramme sind da. Jetzt gilt es, sie bei den Betroffenen bekannt zu machen und den Zugang unbürokratisch zu gestalten.
Sie waren in den vergangenen dreieinhalb Jahren für Integration in Deutschland zuständig. Ist das, was in dieser Zeit passiert ist, eine Erfolgsgeschichte?
Es ist uns – damit meine ich Kommunalpolitiker, Ehrenamtliche, Unternehmen, Handwerksmeister, Lehrer und Erzieherinnen – gelungen, einen Großteil der Menschen, die 2015 zu uns gekommen sind, in unseren schulischen und betrieblichen Alltag zu integrieren. Wir haben erfolgreiche Zahlen auf dem Arbeitsmarkt, viele haben einen Schulabschluss gemacht und sind in Ausbildung. Das sind ermutigende Zeichen. Natürlich gibt es noch einiges zu tun, aber Integration ist ja auch kein Selbstläufer, sondern harte Arbeit, da dürfen wir nicht nachlassen. Deshalb setze ich auf Integration von Anfang an mit früher Sprach- und Wertevermittlung, mit digitalen Angeboten und passgenauer Unterstützung sowie konsequentem Fordern und Fördern.
Fürchten Sie eigentlich um Ihren Wiedereinzug in den Bundestag? Die guten Rückmeldungen, die ich erhalte, geben mir Rückenwind und spornen mich an. Mit meinem starken Team kämpfe ich bis zum Wahltag, um erneut als Direktkandidatin für den Wahlkreis Tübingen in den Bundestag einzuziehen.