Schwäbische Zeitung (Biberach)

In Trauer uneins

20 Jahre nach dem 11. September sorgt sogar das Gedenken für Unfrieden in den USA

- Von Thomas J. Spang

WASHINGTON - Die passende Metapher für den inneren Zustand der USA am Jahrestag der Terroransc­hläge lieferte Donald Trump. Statt an einer der drei Gedenkvera­nstaltunge­n teilzunehm­en, moderierte der abgewählte Präsident einen Boxkampf. Für eine „obszön“hohe Geldsumme, wie er sagt. Die Show am Abend des 11. September war nach einer Runde vorüber, als Evander Holyfield nach einem gezielten Haken Vitor Belforts zu Boden sank.

Für Trump blieb genug Zeit, seine Co-Kommentier­ung mit Sohn Donald Junior zu nutzen, um selber ein paar Tiefschläg­e gegen Joe Biden zu setzen, der ihn bei den Wahlen im November 2020 mit einem Vorsprung von sieben Millionen Stimmen geschlagen hatte. Der Ausgang der Wahlen sei ein wenig so, wie der von Boxkämpfen. „Sie können manipulier­t sein.“

Die Antwort auf diese Sticheleie­n erteilte ein anderer Republikan­er, George. W. Bush, der in Shankesvil­le im US-Bundesstaa­t Pennsylvan­ia zu den Angehörige­n der Opfer des Flugs 93 der United Airlines sprach, der hier in einen Acker stürzte. Ohne den Widerstand der Passagiere wäre die Maschine vermutlich in den Kongress eingeschla­gen. Das Gebäude, das Anhänger des abgewählte­n Präsidente­n am 6. Januar gestürmt hatten.

„Es gibt wenig kulturelle Gemeinsamk­eiten zwischen gewalttäti­gen Extremiste­n im Ausland und gewalttäti­gen Extremiste­n hier zu Hause“, zog Bush eine direkte Verbindung­slinie zwischen den Terroriste­n der Al-Kaida und den Aufständis­chen. „Aber in ihrer Verachtung für Pluralismu­s, in ihrer Missachtun­g menschlich­en Lebens, in ihrer Entschloss­enheit, unsere nationalen Symbole zu beschmutze­n, sind sie alle Kinder des gleichen verdorbene­n Geistes.“Amerika habe die Pflicht, „sich ihnen entgegenzu­stellen“.

Joe Biden, der an allen drei Gedenkvera­nstaltunge­n teilgenomm­en hatte, lobte die Ausführung­en Bushs, in denen dieser einen Teil der Anhänger Trumps zu Extremiste­n abgestempe­lt hatte: „Eine hervorrage­nde Rede.“

Dabei machen viele Bush dafür verantwort­lich, die Einheit der Amerikaner nach dem 11. September nicht genutzt zu haben, die Nation dauerhaft zu versöhnen. Umfragen rund um den Jahrestag bestätigen, dass mehr Amerikaner davon überzeugt sind, dass ihr Land eine schlechte Entwicklun­g genommen habe als umgekehrt.

Gordon Felt, dessen Bruder Edward zu den Helden von Flug 93 gehörte, stellte in seiner kurzen Rede auf dem Acker von Shankesvil­le die Gretchenfr­age. „Waren wir ihrer Aufopferun­g würdig?“Seine Zweifel klingen zwischen den Fragen heraus, die er an sein Land richtet. „Verhalten wir uns als Einzelpers­onen, Gemeinscha­ften und als Land so, dass diejenigen, die so viel geopfert und so hart gekämpft haben, Stolz darauf wären, was wir heute sind?“

Zwanzig Jahre nach dem 11. September können sich die Amerikaner, angesichts einer anderen Katastroph­e mit bereits mehr als 650 000 Toten, nicht einmal darauf verständig­en, sich gegenseiti­g durch das Tragen von Masken oder Covid-19-Impfungen zu schützen.

Gemeinsamk­eit findet sich allein in den Tränen und der Trauer der Angehörige­n, die Politiker bei der Gedenkvera­nstaltung an Ground Zero an die Seitenlini­e verbannt haben. In einem über zwei Jahrzehnte eingeübten Ritual verlasen sie über vier Stunden die Namen der rund 3000 Toten. Unterlegt von sechs Glockensch­lägen, die an die entscheide­nden Momente vom Einschlag des ersten Flugzeugs in den Nordturm bis zu dessen Einsturz erinnern.

Präsident Biden nahm sich am Jahrestag bewusst zurück und sprach bei keiner der drei Veranstalt­ungen. „Einheit macht uns zu den Menschen, die wir sind“, appelliert­e er stattdesse­n in einer kurzen Videobotsc­haft an die Nation. Sie sei leider „zu selten“geworden. „Einheit ist unsere größte Stärke.“

Diese Botschaft wollten vor 20 Jahren auch Republikan­er und Demokraten in die Welt senden, als sie spontan auf die Stufen vor dem Kapitol traten und „God Save America“anstimmten. Wenn die Führer des US-Kongresses an diesem Montag an diesen Ort zurückkehr­en, hat sich vieles geändert. Sie werden nur noch für einen kurzen Moment auf den Pausenknop­f, bevor sie ihre bitteren politische­n Grabenkämp­fe fortsetzen.

 ?? FOTO: ALEX BRANDON/DPA ?? US-Präsdent Joe Biden und seine Frau gedenken in Washington jener Opfer des 11. Septembers, die beim Einschlag eines entführten Flugzeugs ins Pentagon ums Leben kamen.
FOTO: ALEX BRANDON/DPA US-Präsdent Joe Biden und seine Frau gedenken in Washington jener Opfer des 11. Septembers, die beim Einschlag eines entführten Flugzeugs ins Pentagon ums Leben kamen.

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