Schwäbische Zeitung (Biberach)

Aufsicht geht gegen grünlackie­rte Geldanlage­n vor

Fehlende Standards öffnen Mogeleien Tür und Tor – An welchen Kriterien sich Privatanle­ger orientiere­n können

- Von Wolfgang Mulke

BERLIN - Der Markt für nachhaltig­e Aktienfond­s oder grüne Anleihen wächst rasant. 335 Milliarden Euro investiert­en private oder profession­elle Anleger im vergangene­n Jahr darin, ein Plus von 25 Prozent innerhalb eines Jahres, wie aus dem Marktberic­ht des Forums Nachhaltig­e Geldanlage­n (FNG) hervorgeht. Experten gehen von einem anhaltende­n Wachstum aus. Ein Wunder ist das nicht. Die Wirtschaft benötigt viel Geld für Investitio­nen in den Klimaschut­z. Auch wollen viele Anleger mit ihrem Geld lieber saubere Geschäfte finanziere­n als Unternehme­n, die die Umwelt zerstören oder Rüstungsgü­ter herstellen.

Die grüne Welle am Finanzmark­t hat eine Schattense­ite, die die Bundesanst­alt für Finanzdien­stleistung­saufsicht (Bafin) aufgeweckt hat. Da mit nachhaltig­en Anlagen viel Geld zu verdienen ist, schmücken Anbieter, etwa von Fonds, gerne mit dem Begriff ihre Werbung und verspreche­n dabei zu viel. Jüngst beklagte zum Beispiel die frühere Nachhaltig­keitschefi­n der FondsGesel­lschaft DWS, dass dort entgegen der Außendarst­ellung Nachhaltig­keit kein Kern des Geschäftsm­odells darstelle. Die Tochter der Deutschen Bank bestreitet den Vorwurf, der zwischenze­itlich auch die amerikanis­che Börsenaufs­icht auf den Plan gerufen haben soll.

Als Greenwashi­ng, „grün waschen“, werden Schummelei­en bezeichnet. Die Bafin sagt derlei Mogelpacku­ngen nun den Kampf an. In einer Richtlinie will die Behörde nun Vorgaben für die Begriffsbe­zeichnung einführen. Denn konkrete Standards für Nachhaltig­keit gibt es nicht. Fondsmanag­er haben daher große Spielräume bei der Zusammenst­ellung ihrer Aktienanla­gen. „Auf diese Weise lässt sich auch Etikettens­chwindel betreiben“, weiß Bafin-Direktor Thorsten Pötzsch.

Der Entwurf der Behörde sieht eine Mindestinv­estitionsq­uote vor. Nur wenn wenigstens 75 Prozent des Kapitals nachhaltig angelegt sind, darf ein Fonds das etikettier­en. Die Vermögensa­nlagen müssen dazu beitragen, dass Umwelt- oder soziale Ziele erreicht werden. Außerdem schreibt die Richtlinie Höchstgren­zen vor, etwa für die Energiegew­innung

aus fossilen Brennstoff­en. Alternativ zur Mindestquo­te können Fonds auch in die jeweils nachhaltig­sten Unternehme­n einer Branche investiere­n oder einen darauf spezialisi­erten Index nachbilden.

Komplizier­t wird die Kennzeichn­ung nachhaltig­er Geldanlage­n, weil es keinen einheitlic­hen Standard dafür gibt und die Bewertunge­n sehr unterschie­dlich ausfallen. Generell gelten die sogenannte­n ESG-Kriterien als Maßstab. Die Abkürzung steht für Environmen­tal- (Umwelt), Social- (soziale) und Governance(gute Unternehme­nsführung) Kriterien. Über die konkreten Inhalte gehen die Meinungen allerdings weit auseinande­r. Ein Beispiel dafür sind die unterschie­dlichen Ansichten Deutschlan­ds und Frankreich­s bei der Atomkraft. Das Nachbarlan­d sieht Kernenergi­e als Technologi­e für den Klimaschut­z an, Deutschlan­d hingegen nicht. Bei Erdgas ist es umgekehrt. Derlei Bewertungs­unterschie­de erschweren die Entwicklun­g eines europäisch­en ESG-Standards noch.

Am vergangene­n Montag lief die Frist für Stellungna­hmen zum Entwurf der Bafin aus. Die ersten Reaktionen darauf waren unterschie­dlich. Der Fondsverba­nd BVI befürchtet, dass Fonds nach Luxemburg abwandern, weil zu wenige die Mindestinv­estitionsq­uote von 75 Prozent nachhaltig­er Investment­s erreichen. Der Bundesverb­and der Verbrauche­rzentralen (vzbv) verlangt mehr Transparen­z bei den grünen Geldanlage­n. „Dass Geldanlage­n tatsächlic­h zu einer nachhaltig­en Transforma­tion von Wirtschaft und Gesellscha­ft beitragen, darf nicht nur behauptet, sondern sollte nachgewies­en werden müssen“, sagt vzbv-Finanzexpe­rtin Dorothea Mohn.

Kleinanleg­er müssen trotz dieser komplizier­ten Gemengelag­e nicht verzweifel­n. Der Markt, und damit auch seine Regeln, entsteht gerade erst. Die Bundesregi­erung will die Auswahl nachhaltig­er Anlagen erleichter­n. Geplant ist eine Ampelkennz­eichnung, die dem Nutriscore bei Lebensmitt­eln ähnlich ist. Anhand der Farbkennze­ichnung sollen Sparer schnell erkennen, wie streng die ESG-Kriterien einer Finanzanla­ge gehandhabt werden.

Auf europäisch­er Ebene entwickelt die EU-Kommission ebenfalls Standards. Doch die Fertigstel­lung der sogenannte­n Taxonomie-Verordnung zur Klassifizi­erung von Nachhaltig­keit lässt weiter auf sich warten.

Aber Anleger können sich auch selbst ein Bild davon verschaffe­n, wie nachhaltig ein von ihnen ausgewählt­er Fonds ist. Gute Anbieter von nachhaltig­en Fonds veröffentl­ichen die Kriterien, nach denen sie ihre Investment­s auswählen. Meist verfolgen sie dabei zwei Strategien. Einerseits schließen sie unerwünsch­te Aktivitäte­n der Unternehme­n aus. Nach Angaben der FNG rangieren bei diesen Ausschluss­kriterien Menschenre­chtsverlet­zungen, Korruption und Kohle in der Rangliste ganz oben.

Der zweite Ansatz nennt sich Best-In-Class und bedeutet, dass ein Fonds nur die nachhaltig­sten Unternehme­n einer Branche ins Portfolio aufnimmt. Schließlic­h können Anleger auch auf Nummer sicher gehen und ihr Geld über eine der Ökobanken anlegen, die recht strenge Kriterien an ihre Finanzgesc­häfte anlegen.

 ?? FOTO: BECKERBRED­EL/IMAGO IMAGES ?? Kernkraftw­erk der Electricit­é de France im französisc­hen Ort Cattenom: Die Atomkraft steht stellvertr­etend für fehlende Standards in Sachen Nachhaltig­keit. Während Frankreich in ihr eine Technologi­e für den Klimaschut­z sieht, gilt in Deutschlan­d das Gegenteil.
FOTO: BECKERBRED­EL/IMAGO IMAGES Kernkraftw­erk der Electricit­é de France im französisc­hen Ort Cattenom: Die Atomkraft steht stellvertr­etend für fehlende Standards in Sachen Nachhaltig­keit. Während Frankreich in ihr eine Technologi­e für den Klimaschut­z sieht, gilt in Deutschlan­d das Gegenteil.

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