Schwäbische Zeitung (Biberach)
Wenn zwei sich streiten, freut sich Ricciardo
Der McLaren-Pilot siegt in Monza, weil Max Verstappen und Lewis Hamilton nach einer Kollision ausscheiden
MONZA (SID/dpa) - Max Verstappen kannte nur eine Antwort auf die Schuldfrage. „Lewis“, sagte der WMSpitzenreiter nach der neuerlichen Eskalation im Formel-1-Titelkampf, „hat nicht genug Platz gelassen. Das war nicht nett.“Eine heftige Kollision zwischen Red-Bull-Pilot Verstappen und Rekordweltmeister Lewis Hamilton hatte den Großen Preis von Italien für die WM-Rivalen auf spektakuläre Weise beendet. Zurück blieben gegenseitige Vorwürfe. Denn auch Hamilton wollte keineswegs die Verantwortung für das Crash-Debakel übernehmen. „Max wollte keinen Platz machen“, sagte der britische Mercedes-Star und fügte vielsagend hinzu: „Er wusste, was passieren würde, wenn es in Kurve zwei geht ...“Der Brite hatte die Regelhüter auf seiner Seite: Die Stewards belegten Verstappen mit einer Strafe von drei Startplätzen für das kommende Rennen in Russland.
Größter Nutznießer der Kollision war das McLaren-Team, das dank Daniel Ricciardo und Lando Norris (Großbritannien) einen Doppelsieg feierte. „Wir haben es geschafft! Yeeeeesss!“, brüllte Ricciardo im Boxenfunk. Der Australier feierte seinen ersten Erfolg seit 2018 (den ersten zudem für McLaren seit knapp neun Jahren) mit dem berühmt-berüchtigten Schluck Schampus aus dem Rennstiefel: „Ich weiß nicht, wie ich mich fühle. Es ist, als würde ich auf Wolke sieben schweben.“
Das Podium komplettierte der Finne Valtteri Bottas im zweiten Mercedes, der sich von Rang 19 fast nach ganz vorne kämpfte. Sebastian Vettel verpasste auf Rang zwölf die Punkte, mit seinem Aston Martin war er vom Franzosen Esteban Ocon (Alpine) fast von der Strecke gedrängt worden. Mick Schumacher wurde 15. und machte erneut unliebsame Bekanntschaft mit seinem Teamkollegen Nikita Masepin, der eine Kollision mit Schumacher verursachte und dafür eine Zeitstrafe kassierte.
Das alles dominierende Thema war aber der Vorfall eingangs der 26. Runde. Beim Kontakt wurde Verstappens Red Bull über Hamiltons Mercedes katapultiert, die beiden strandeten im Kies. Das Safety-Car rückte aus. Hamilton, der auch von seinem Cockpitschutz Halo geschützt wurde, blieb länger im Wagen sitzen, kam aber mit dem Schrecken davon. „Ein Auto ist auf meinem Kopf gelandet, das habe ich gemerkt. Es ist nicht optimal. Ich bin okay“, sagte der Brite.
Bereits beim Großen Preis von Großbritannien in Silverstone Mitte Juli waren Hamilton und Verstappen kollidiert. Während Verstappen seinerzeit ausschied und zum Check ins Krankenhaus musste, gewann Hamilton seinen Heim-Grand-Prix.
In Monza waren die Team-Verantwortlichen bemüht, die Lage zu beruhigen. „Es ist intensiv. Aber sie müssen einen Weg finden, wie sie gegeneinander Rennen fahren“, sagte Mercedes-Sportchef Toto Wolff, der allerdings auch vielsagend dazu aufrief, auf „taktische Fouls“zu verzichten. Red-Bull-Motorsportberater Helmut Marko wertete den Vorfall als
„Rennunfall“, ergänzte ein „Dass beide ausscheiden, kann man nicht planen. Max Absicht zu unterstellen, ist Blödsinn“und sah auch beim eigenen Team einen Fehler: „Es ist unsere Schuld, dass Max und Hamilton sich überhaupt nahe gekommen sind.“
Denn ein grober Schnitzer bei Verstappens Boxenstopp hatte die dramatische Wende des 14. Saisonlaufs erst eingeleitet: Die für gewöhnlich blitzschnelle Red-Bull-Crew patzte, die Standzeit von 11,1 Sekunden war desaströs und sorgte dafür, dass Verstappen und Hamilton nach dessen Reifenwechsel Seite an Seite in die erste Schikane einbogen.
Der „lockere Sieg“, den Hamilton seinem WM-Rivalen (zweck-)pessimistisch prophezeit hatte, hatte sich schon zuvor zerschlagen. Polesetter Verstappen verlor die Führung noch vor der ersten Kurve an seinen früheren Teamkollegen Ricciardo. Fast wäre auch Hamilton in Runde eins am Niederländer vorbeigezogen, es kam zur ersten Berührung des Tages, die den Briten auf Platz vier zurückwarf.
Verstappen hinter Ricciardo, Hamilton hinter Norris – beide WM-Anwärter hingen im ersten Renndrittel hinter den McLaren fest, die die Stärken ihres Mercedes-Antriebs auf den langen Geraden voll ausspielten. Verstappen hatte dabei den Vorteil, dass Ricciardo bei freier Strecke ein höheres Tempo anschlagen konnte. Die Lücke zu den Verfolgern wurde sukzessive größer. Wenig später verkeilten sich die Boliden von Verstappen und Hamilton im Kies. Nach der Wiederaufnahme des Rennens blieben die Duelle auf der Strecke teils hitzig – die McLaren ließen sich den Doppelerfolg aber nicht nehmen. Und Daniel Ricciardo gab zu Protokoll: „Der Start war der entscheidende Punkt. Wir hatten einen tollen Speed. Aber es hätte keiner von uns so erwartet. Am Freitag hatte ich allerdings etwas gespürt: Ich wusste, es passiert etwas Großes an diesem Wochenende.“