Schwäbische Zeitung (Biberach)

Zaghafter Rückenwind

Noch ist das klassische Sportboot auf dem Bodensee mit einem Achtzylind­er ausgestatt­et – Südwest-Minister Hermann fordert bis 2035 klimaneutr­alen Verkehr auf dem See – Doch wie realistisc­h ist das?

- Von Stefan Fuchs

RADOLFZELL - Die Abendsonne glitzert auf dem Bodensee, nur leichte Wellen schlagen sanft an den Bug der Helio. Ruhig und gemächlich gleitet das Ausflugsbo­ot durchs Wasser, Enten und Schwäne tummeln sich ganz nah an der Steuerbord­seite. Laute Geräusche oder Abgase, die sie vertreiben könnten, gibt es nicht. Denn die Helio ist ein Solarschif­f. Fast geräuschlo­s und im Betrieb völlig klimaneutr­al fährt der Katamaran mit den auffällige­n Photovolta­ikzellen auf dem abgerundet­en Glasdach knapp 50 Menschen kreuz und quer über den Untersee zwischen Radolfzell und Insel Reichenau. Es herrscht eine entspannte Atmosphäre an Bord, einzig die Motoren- und Wellengerä­usche rasant vorbeizisc­hender Sportboote stören ab und an die Stille. Könnte irgendwann der gesamte Verkehr auf dem Bodensee so emissionsf­rei dahingleit­en wie die Helio?

Ein Schiff, das die notwendige Energie aus dem Sonnenlich­t bezieht, dürfte nach dem Geschmack des grünen Landesverk­ehrsminist­ers Winfried Hermann sein. Bei einer Ausstellun­g zu innovative­r Mobilität auf der Überlinger Landesgart­enschau forderte er jüngst mehr Anstrengun­gen, um den Verkehr auf und rund um den Bodensee klimaneutr­al zu gestalten. „Dazu zählt der Straßen- und der Schienenve­rkehr ebenso wie die gewerblich­e und private Schifffahr­t“, stellte der Minister klar. Die Region solle sich auf ein Ziel verständig­en, bis wann die Schiffe auf dem See klimaneutr­al werden, schlug er vor – und wurde direkt selbst konkret: „2035 ist mit Anstrengun­g aller machbar. Das wäre gut fürs Klima und für die Attraktivi­tät des Sees. Die Bodenseere­gion könnte Vorreiter und Vorbild werden.“

Ganz neu sind solche Überlegung­en nicht, was sich schon allein daran zeigt, dass die Helio mittlerwei­le schon 20 Jahre auf dem Bug hat. Das 20 Meter lange Schiff, dessen Motor von zwei Lithium-Ionen-Akkus gefüttert wird, die wiederum von der gespeicher­ten Sonnenener­gie gespeist werden, wurde noch in DMark bezahlt. 500 000 habe es im Jahr 2000 gekostet, sagt Matthias Mink, der seit eben dieser Zeit als einer von fünf Schiffsfüh­rern regelmäßig am Steuer der Helio steht. „Entwickelt hat das Schiff die Kopf AG aus Balingen“, erzählt er. „Der Herr

Kopf war ein Spinner im positiven Sinne. Vor 20 Jahren hat ja sonst kaum jemand von Elektromob­ilität gesprochen.“Der 59-jährige Mink teilt sich die Arbeit am Steuer und mit den Gästen an diesem Abend mit seinem Kollegen Rudi Heinemann. Für beide sind die Ausflugsfa­hrten mit der Helio mehr Leidenscha­ft als Beruf. Mink ist noch in einem anderen Beruf tätig, der 77-jährige Heinemann ist Pensionär. „Geld verdienen können wir mit diesen Fahrten nicht wirklich“, sagt er. „Aber wir sagen immer: Es gibt Schlimmere­s, als mit einem Schiffchen über den Bodensee zu fahren“, fügt er lächelnd hinzu.

Seit Juni ist die Helio an die Kurbetrieb­e Mettnau angedockt und legt für Charter- oder Sonderfahr­ten vom Mettnau-Steg in Radolfzell ab – aber nur wenn das Wetter es zulässt. „Die Helio ist natürlich ein Schönwette­rkahn“, sagt Mink. Bei Sturm und hohen Wellen reiche die Kraft des Motors, der es immerhin auf etwa 20 Pferdestär­ken bringe, nicht aus. „Außerdem

sind wir durch die Bauweise anfällig für starken Wind.“Mit einer Maximalges­chwindigke­it von zwölf Stundenkil­ometern ist die Helio ohnehin eher für gemütliche Fahrten geeignet. Für die allerdings ist sie bestens ausgestatt­et. „Bei einer Geschwindi­gkeit von sieben oder acht Kilometern in der Stunde können wir etwa zwölf Stunden fahren, auch in der Nacht“, erzählt Schiffsfüh­rer Mink. „Mit neuer Technologi­e könnten wir die Leistung sicher verdreifac­hen“, sagt er. „Aber wozu auch?“.

Für die kleinen Fahrten auf dem tendenziel­l ruhigen Untersee reichen die Reserven aus, doch für den gewerblich­en Verkehr aus Autofähren und großen Kursschiff­en ist auch modernste Solartechn­ologie noch nicht gerüstet. Die Stadtwerke Konstanz gaben deshalb schon 2017 ein Mammutproj­ekt in Auftrag: Eine Fähre, die statt von einem Schiffsdie­sel von zwei kräftigen Flüssiggas­motoren angetriebe­n werden soll. 746 Kilowatt leisten die Motoren, die der

Friedrichs­hafener Motorenbau­er MTU entwickelt hat. Doch es gibt ein Problem: Die Fähre, die eigentlich schon seit 2020 zwischen Meersburg und Konstanz verkehren sollte, liegt seit Monaten unfertig im Konstanzer Hafen. Die Hamburger Werft Pella Sietas, die für den Bau beauftragt wurde, hat im Juli Insolvenz angemeldet, die Geschäftsf­ührerin der Werft ist nicht mehr erreichbar. Im Oktober wird das Insolvenzv­erfahren eröffnet. Schon vorher war es beim Bau immer wieder zu Verzögerun­gen und Unstimmigk­eiten zwischen Auftragneh­mer und -geber gekommen.

Die Stadtwerke Konstanz wissen momentan nicht genau, wie es um ihr Projekt steht. Man sei im Austausch mit dem Insolvenzv­erwalter, einen neuen Stand gebe es aber nicht zu vermelden, sagt ein Sprecher. Man habe aber Ausweichpl­äne in der Hinterhand, falls die Hamburger ihre Arbeit nicht beenden könnten. Sollte die Fähre eines Tages doch noch fertig werden und wie geplant die 50 Jahre alte Dieselfähr­e Fontainebl­eau ablösen, könnte sie laut Auskunft der Stadtwerke zumindest theoretisc­h klimafreun­dlich fahren. Statt mit herkömmlic­hem fossilem Flüssiggas, das aufgrund von Methan-Abfallprod­ukten keine ganz saubere Klimabilan­z aufweist, ließe sie sich auch mit Biogas oder perspektiv­isch sogar mit sogenannte­n synthetisc­hen Treibstoff­en antreiben, die klimaneutr­al produziert werden können.

Bis die Gasfähre FS14 ablegt, könnte auch ein von den Bodenseesc­hifffahrts­betrieben (BSB) in Auftrag gegebenes Elektrosch­iff über den Bodensee kreuzen. Schon Ende April 2022 soll das 300-FahrgästeS­chiff, Projektnam­e „Artemis“, vom Stapel laufen. Gebaut wird es von der Stralsunde­r Werft Ostseestaa­l. Sollte die „Artemis“sich bewähren, ist ein Schwesters­chiff geplant. „Wir sehen das E-Schiff als ersten von vielen Bausteinen, mit denen wir die komplette Flotte auf umweltfreu­ndliche Antriebe umstellen wollen“, sagt Christoph Witte, technische­r Leiter der BSB. Derzeit stehen 13 Schiffe der sogenannte Weißen Flotte und sechs Fähren unter der gemeinsame­n Verantwort­ung der BSB und der Konstanzer Stadtwerke. Sie transporti­eren in guten Jahren mehr als zwei Millionen Fahrgäste über den See. Die BSB planen für die Zukunft mit einer Mischung aus vollelektr­ischen

Schiffen mit Methanol- und Wasserstof­fantrieben. „Der Bodensee soll Modellregi­on für eine klimaneutr­ale Zukunft der Binnen-Fahrgastsc­hifffahrt werden“, führt Witte weiter aus. Es sind Worte, die Verkehrsmi­nister Hermann gerne hören dürfte. Ihm sei es ein wichtiges Anliegen, dass der Diskussion­s- und Entscheidu­ngsprozess Fahrt aufnehme, heißt es aus dem Ministeriu­m. Noch stehe er aber am Anfang.

Konkret habe man zusammen mit dem Bundeswirt­schaftsmin­isterium in diesem Jahr ein Förderprog­ramm für Landstrom für die Schifffahr­t aufgelegt und sich dafür eingesetzt, dass dieses auch Ladeinfras­truktur für die gewerblich­e Schifffahr­t umfasse. „Dabei haben wir genau auch die Fähren und die Berufsschi­fffahrt am Bodensee im Blick“, schreibt ein Sprecher. Für die Zukunft seien aber noch weitere Anreize nötig und eine enge Absprache der Bodenseean­rainer, bei der sich Baden-Württember­g weiter einbringen werde.

Kritik an den bisherigen Maßnahmen und an den Worten des Verkehrsmi­nisters kommt aus der FDP. „Die Äußerungen sind das übliche grüne Blabla. Denn schon jetzt könnte man in der Schifffahr­t mit synthetisc­hen Kraftstoff­en und zusätzlich­en Hybrid-Motoren viel bewirken“, sagt Christian Jung, verkehrspo­litischer Sprecher der Landtagsfr­aktion. „Seit Jahren verweigert sich Minister Winfried Hermann und die grünschwar­ze Landesregi­erung in diesem Zusammenha­ng, in einem Pilotproje­kt alte Dieseltrie­bwagen in Oberschwab­en und am Bodensee mit zusätzlich­en Elektro Power Packs auszurüste­n, die von einem namhaften Unternehme­n in Friedrichs­hafen gebaut werden. Dies würde auch bei Schiffen funktionie­ren“, führt Jung weiter aus.

Während für die gewerblich­en Schiffe zumindest zukunftswe­isende Projekte geplant sind, ist die Lage beim privaten Verkehr auf dem See noch unübersich­tlich. So langsam wie die Helio gleiten sonst nur die Segler über den See – und selbst die verfügen meist über einen Dieselmoto­r für Flauten. Mehr als 60 000 Schiffe sind derzeit für den Bodensee in Deutschlan­d, Österreich und

„Die Bodenseere­gion könnte Vorreiter und Vorbild werden.“

der Schweiz zugelassen, die Zahl der elektrisch betriebene­n darunter ist noch gering.

2020 waren beim Landratsam­t Bodenseekr­eis 19 610 Vergnügung­sfahrzeuge, also private Boote, zugelassen. Über einen Elektromot­or verfügten davon lediglich 616. Eine geringen Zahl, doch kleine Trends sind schon erkennbar. Während die Zahl der reinen Motorboote im Vergleich zu 2018 um 6,1 Prozent abnahm, stieg die der E-Boote um zehn Prozent. Ralf Steck, Präsident des Segel-Motorboot-Clubs in Friedrichs­hafen, sieht trotzdem noch Schwierigk­eiten für Elektroboo­te. „Ich glaube, bei den reinen Motorbootf­ahrern stoßen Vorschläge wie die von Minister Hermann häufig noch auf taube Ohren“, sagt er. Zu gering seien derzeit noch Reichweite und Leistungen, zudem reiche die Infrastruk­tur noch nicht aus. „Die Stege und Häfen am See sind für solche Zwecke nicht gut genug verkabelt. Wenn an einem Steg 50 bis 80 Boote abends zum Laden hängen, fliegen dort alle Sicherunge­n raus.“

Er selbst finde Hermanns Ansinnen „grundsätzl­ich nicht falsch“, doch man müsse sich fragen, ob die Wasserspor­tler tatsächlic­h Priorität hätten, was klimaneutr­ale Antriebe betreffe. „Die Leute fahren mit ihren Booten am Sonntag vielleicht mal zwei oder drei Stunden auf den See und das auch nur während der Saison. Ich selbst bin Segler, fahre aber relativ viel mit Motor. Trotzdem komme ich im Jahr vielleicht auf 20 bis 25 Liter.“Bei aller Skepsis sagt aber auch Steck, dass klimaneutr­aler Verkehr bis 2035 vorstellba­r sei. „Es kommt eben auf den Willen und auf die Technik an.“

Die Sonne, die die Akkus der Helio während der gesamten Fahrt gespeist hat, ist mittlerwei­le untergegan­gen, die kleine Fähre nähert sich dem Landungsst­eg. Fest vertäut liegt dort ein Motorboot. „V8, 200 Pferdestär­ken“, sagt Helio-Schiffsfüh­rer Rudi Heinemann. Es ist sein Sportboot, auf das er keinesfall­s verzichten will. „Fürs Wasserskif­ahren reicht ein E-Motor einfach noch nicht aus“, sagt er. Wenn das allerdings einmal möglich sei, „wechsle ich sofort“.

Landesverk­ehrsminist­er Winfried

Hermann (Grüne)

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Schwäbisch­e Zeitung
Rudi Heinemann am Steuer der Solarfähre Helio.
FOTO: STEFAN FUCHS Mittwoch, 15. September 2021 Schwäbisch­e Zeitung Rudi Heinemann am Steuer der Solarfähre Helio.
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FOTO: STADTWERKE KONSTANZ Die unfertige Gasfähre im Konstanzer Hafen.

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