Schwäbische Zeitung (Biberach)

Die Pläne für Hartz IV

Das Arbeitslos­engeld II beschäftig­t Parteien – So wie heute soll es nicht bleiben

- Von Dieter Keller

BERLIN - Die Reform der Sozialleis­tung senkte die Zahl der Arbeitslos­en deutlich. Doch die SPD leidet bis heute unter dem Vorwurf der sozialen Kälte. Alle Parteien denken über Änderungen nach.

Eigentlich heißt die Sozialleis­tung Arbeitslos­engeld II. Doch im Alltag hat sich der Name Hartz IV durchgeset­zt – weil es der ehemalige VW-Vorstand Peter Hartz im Auftrag der SPD-Bundeskanz­lers Gerhard Schröder erdachte. Die Grundidee war, die Arbeitslos­en- und die Sozialhilf­e für Erwerbsfäh­ige zu einer einheitlic­hen Leistung zusammenzu­legen. Für die SPD wurde Hartz IV zum Unwort, ja zu einem Trauma, einem Synonym für das Abrutschen von Langzeitar­beitslosen und ihren Familien samt Kindern auf das Existenzmi­nimum. Seit Langem gilt es als wesentlich­er Grund dafür, dass die Sozialdemo­kraten in der Wählerguns­t abgestürzt sind.

Fördern und Fordern

Nach dem Prinzip „Fördern und Fordern“sollte die Zahl der Langzeitar­beitslosen deutlich reduziert werden, was auch gelang. Doch nach dem Start 2005 verfestigt­e sich bei vielen nur der zweite Teil: Arbeitslos­e sollten jede Arbeit unabhängig von ihrer Qualifikat­ion annehmen. Dass der monatliche Regelsatz sehr niedrig ausfiel, führte zu Existenzän­gsten und Protesten. Auch bei vielen, die gar nicht betroffen sind, wuchs die Angst, auf Hartz-IV-Niveau abzurutsch­en.

Der Chef der Bundesagen­tur für Arbeit, Detlef Scheele, bezweifelt allerdings, „dass jemand mit 600 Euro deutlich zufriedene­r wäre“. Als ehemaliger Sozialsena­tor in Hamburg kennt er das Thema zu genau. Das SPD-Mitglied hat die Steuerzahl­er im Blick, die das Geld aufbringen müssen. „Dazu gehört ja auch die Kassiereri­n bei Aldi, die möglicherw­eise netto nicht viel mehr hat als der Empfänger von Grundsiche­rung“, sagte Scheele der „Zeit“.

Im Lauf der Jahre kam es immer wieder zu größeren und kleineren Reformen. Eigentlich gibt es aktuell noch Handlungsb­edarf, weil das Bundesverf­assungsger­icht 2019 die Sanktionen gegen Hartz-IV-Empfänger, die Auflagen nicht erfüllen, als zu drastisch beurteilte. Bisher wurde das Gesetz aber nicht korrigiert. Dafür halten die Grundsatzd­iskussione­n über das Konzept an. Die SPD hätte den Begriff „Hartz IV“am liebsten ausgemerzt. In ihrem Wahlprogra­mm ist nur verschämt von der Grundsiche­rung die Rede, die sie „grundlegen­d überarbeit­en und zu einem Bürgergeld entwickeln“will. Die Regelsätze müssten „zu einem Leben in Würde ausreichen und zur gesellscha­ftlichen Teilhabe befähigen“. Was das heißt, bleibt unklar.

Erhöhen oder überwinden?

Die Grünen sprechen Hartz IV dagegen in ihrem Wahlprogra­mm offen an. Sie wollen es „überwinden“und durch eine Garantiesi­cherung ersetzen. Diese „schützt vor Armut und garantiert ohne Sanktionen das soziokultu­relle Existenzmi­nimum.“In einem ersten Schritt wollen sie den Regelsatz um mindestens

50 Euro anheben. Die Anrechnung von eigenem Einkommen soll „deutlich attraktive­r“werden.

Die Linke geht noch weiter: Sie verspricht eine Mindestsic­herung ohne Sanktionen von 1200

Euro im Monat. Als „Zwischensc­hritt“will sie die Grundsiche­rung sofort auf 658 Euro anheben plus

Wohn- und Stromkoste­n in tatsächlic­her Höhe. Vorsichtig ist die Linke dagegen bei der Idee eines bedingungs­losen Grundeinko­mmens von 1200 Euro für alle. Erst im kommenden Jahr will sie sich dazu in einem Mitglieder­entscheid festlegen.

Dieses Grundeinko­mmen wird von vielen gesellscha­ftlichen Gruppen propagiert. Auch die Grünen haben gewisse Sympathien: Sie wollen Modellproj­ekte unterstütz­en, um die Wirkung zu erforschen. Bei der SPD taucht es im Wahlprogra­mm nicht auf. Im Prinzip ist sie sich in ihrer Ablehnung mit den Gewerkscha­ften einig: Es entwerte die Arbeit.

„Ein bedingungs­loses Grundeinko­mmen wird es mit uns nicht geben“, legt sich die Union fest. Dafür will sie am Prinzip des Förderns und Forderns festhalten. Bei Hartz IV sieht sie keinen grundsätzl­ichen Reformbeda­rf. Nur die Anrechnung von eigenem Einkommen möchte sie neu ausgestalt­en.

Die FPD propagiert ihr „liberales Bürgergeld“, in dem sie steuerfina­nzierte Sozialleis­tungen zusammenfa­ssen will, neben dem Arbeitslos­engeld II auch die Grundsiche­rung im Alter oder das Wohngeld. „Die Grundsiche­rung muss unbürokrat­ischer, würdewahre­nder, leistungsg­erechter, digitaler und vor allem chancenori­entierter werden“, heißt es ohne Festlegung auf genaue Beträge.

Am knappsten fällt dieses Thema im Wahlprogra­mm der AfD aus: Auf ganzen zehn Zeilen fordert sie eine „aktivieren­de Grundsiche­rung“, auf die eigenes Einkommen nicht mehr vollständi­g angerechne­t wird.

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FOTO: BOCKWOLDT Wer Hartz IV erhält, muss zum Jobcenter. Was sich ändern soll.

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