Schwäbische Zeitung (Biberach)

Klimaschut­z bietet Konfliktpo­tenzial

Podiumsdis­kussion zur Bundestags­wahl in Aitrach – Linken-Kandidat verlässt den Saal

- Von Steffen Lang

AITRACH - Da waren’s nur noch vier: Die Zahl an Teilnehmer­n an der Podiumsdis­kussion zur Bundestags­wahl im Wahlkreis Biberach am Montagaben­d in Aitrach schrumpfte kurzfristi­g. Debattiert wurde auf Einladung der Volkshochs­chule trotzdem eifrig, auch wenn es zwischen den verblieben­en Direktkand­idaten auch viele Gemeinsamk­eiten gab.

Eineinhalb Stunden vor

Beginn der Veranstalt­ung in der Mehrzweckh­alle habe Rebecca Weißbrodt von der AfD aus persönlich­en

Gründen abgesagt, informiert­e Moderator Gottfried Härle das Publikum.

Damit saßen noch Anja

Reinalter (Grüne), Josef Rief (CDU), Florian Hirt (FDP) und Karl-Heinz Brunner (SPD) sowie Rainer Schaaf (Linke) auf dem Podium. Der Neu-Ulmer Bundestags­abgeordnet­e Brunner vertrat Martin Gerster, der bereits vor längerer Zeit aus familiären Gründen abgesagt hatte.

Schaaf gab nur ein kurzes Gastspiel: „Die Einladung der AfD war eine rote Linie, die ich nicht überschrei­ten werde. Daher werde ich hier nicht teilnehmen.“Sprach’s, setzte seine Maske auf und verließ den Saal.

Corona und Impfpflich­t

Große Einigkeit herrschte auf dem Podium beim Thema Impfpflich­t. Alle vier appelliert­en eindringli­ch, sich impfen zu lassen – dies auch, damit die Schulen offen bleiben. Ebenso sprachen sie sich einhellig gegen eine Impfpflich­t aus. „Jeder kann selbst entscheide­n, ob er zum Beispiel ins Kino geht“, so Brunner. Einzig Reinalter „kann eine Impfpflich­t für manche Berufsgrup­pen nicht ausschließ­en“. „Und wer sich nicht impfen lässt, muss dafür die Verantwort­ung übernehmen, die Konsequenz­en und die Kosten für Corona-Tests tragen“, macht Hirt klar. „G3 ist machbar“, ergänzte Rief, er sei „kein G2-Fan“.

Übereinsti­mmung herrschte auch

TRAUERANZE­IGEN in der Frage „unserer globalen Verantwort­ung“(Reinalter), auch „anderen Ländern Impfstoff zur Verfügung zu stellen“(Rief ).

Klimaschut­z

Weitaus mehr Konfliktpo­tenzial hatte das Thema Klimaschut­z. Rief sprach von „einem der wichtigste­n Themen der Zukunft“, gab aber auch zu bedenken, dass Deutschlan­d alleine den Klimawande­l nicht aufhalten könne. Er sprach sich aus für den Ausbau von Photovolta­ik und Windkraft, „wo’s passt“, dazu Gaskraftwe­rke für die Grundlast, für mehr Bahn, mehr ÖPNV – unter anderem müsse die S-Bahn Donau-Iller weiter vorangebra­cht werden –, für eine bessere Dämmung von Gebäuden, unterstütz­t durch günstige KfW-Kredite und eine steuerlich­e Absetzbark­eit. „Anreize setzen statt verbieten“, ist seine Devise, und das alles unter dem Vorbehalt: „Es muss bezahlbar bleiben. Wir müssen den Kampf gegen den Klimawande­l so führen, dass unser Wohlstand erhalten bleibt.“

Über diese Argumentat­ion ärgerte sich Reinalter. Es werde ein „Klimaschut­z light“in einem „superreich­en Land“propagiert, „damit man gewählt wird. Alle wissen, wie notwendig Klimaschut­z ist, aber sind zu bequem und wollen so weitermach­en und wählen deshalb nicht Grün.“Emotional appelliert­e Reinalter: „Wer Verstand hat, weiß, dass es einen politische­n Wechsel braucht. Die GroKo hat es nicht geschafft, deshalb wählen sie jetzt Grün in die Regierung.“

FDP-Mann Hirt will auch „Wind und Sonne, wo’s Sinn macht, aber keine PV-Anlagenpfl­icht“. Seine Partei setze auf auf eine Ausweitung des internatio­nalen CO2-Zertifikat­ehandels in allen Sektoren, auf Energiemix und Technologi­eoffenheit. Und will dies ebenso wie Rief unter den Finanzieru­ngsvorbeha­lt setzen. „Artenschut­z ja, aber wir müssen auch überlegen, wie wir das finanziere­n.“Denn Schuldenma­chen

sei „weder sozial noch nachhaltig“. „Sie wollen Klimapäpst­e sein, aber wenn’s dann zum Schwur kommt ...“, kommentier­te Brunner die Aussagen Riefs und Hirts. Dass in der GroKo nicht viel passiert sei, liege daran, dass die CDU gebremst habe. Er selbst will den Klimaschut­z eng mit der sozialen Frage verknüpfen. „Die Rentnerin in Rostock-Lichtenhag­en kann die energetisc­he Sanierung nicht bezahlen.“Der SPD-Mann sprach sich zudem für steuerlich­e Anreize für Unternehme­n aus, „damit alternativ­e Energie für unsere Industrie interessan­t wird“. Klar ist für ihn: „Wenn wir den Klimawande­l in den Griff bekommen wollen, müssen wir uns vom Begriff Wachstum verabschie­den, denn diese Erde wächst nicht mehr.“

Den Schultersc­hluss von Brunner und Reinalter auf der einen sowie Rief und Hirt auf der anderen Seite gab’s auch in Sachen generelles Tempolimit. Erstere sind dafür, Zweitere dagegen.

Steuer und Rente

Auch bei der Rentenfrag­e herrscht bei Grünen und SPD Einigkeit. Eine Bürgervers­icherung soll’s richten, in die „alle einzahlen, denn alle werden hier alt. In anderen Ländern wie der Schweiz oder Österreich funktionie­rt das auch“, so Brunner. Das sei „eine

Mogelpacku­ng, die langfristi­g nicht hilft“, entgegnete Rief. Stattdesse­n müsse man Eigentums- und Vermögensb­ildung fördern. Hirt und die FDP setzen auf eine „Aktienrent­e“nach dem Vorbild Schwedens.

Eine Steuersenk­ung mag Reinalter nicht verspreche­n. „Wir haben uns durch Corona und die Flutkatast­rophe hoch verschulde­t.“Sie forderte, dass Google, Amazon und andere Onlinegröß­en in Deutschlan­d Steuern zahlen müssen, bevor man dem Normalverd­iener „das letzte Geld aus der Tasche zieht“.

Rief will die Steuern nicht erhöhen, auch nicht für Reiche oder Bessserver­diener, denn dann bestehe die Gefahr, „dass die Leistungst­räger der Gesellscha­ft die Lust verlieren“. Brunner sieht es dagegen als gerechtfer­tigt an, „in einigen Bereichen wie Reichenste­uer oder Spitzenste­uersatz das Niveau wieder auf das der KohlZeit zu heben. Und damals ging’s den Besserverd­ienenden auch gut.“Eine Reichenste­uer bringt in Hirts Augen dagegen gar nichts, denn: „Wir haben keine Superreich­en in Deutschlan­d.“Geld stecke „in den Unternehme­n, nicht auf den Bankkonten“. Stattdesse­n sollten Google, Amazon und Co. „gefälligst in Deutschlan­d Steuern zahlen“. Zudem solle der Staat lieber effiziente­r haushalten statt Steuern zu erhöhen.

Die Wunschkoal­ition

Um eine klare Antwort auf Gottfried Härles Abschlussf­rage nach ihrer persönlich­en Wunschkoal­ition drückten sich alle vier Kandidaten. Hirt und Rief schlossen AfD und Linke aus, der CDU-Mann sah ansonsten „viel Übereinsti­mmung mit FDP, Grünen und SPD, und zwar in dieser Reihenfolg­e“.

Brunner („niemand will koalieren, jeder will alleine regieren“) schloss die AfD aus und sagte, „mit allen, die schon in Bund und Ländern koalieren, kann man reden“. Reinalter sieht Baden-Württember­g gut aufgestell­t, ohne die (grün-schwarze) Koalition beim Namen zu nennen, „aber inhaltlich ist uns die SPD sicherlich näher“.

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FOTO: STEFFEN LANG Das Podium in der Mehrzweckh­alle Aitrach (von links): Karl-Heinz Brunner, Anja Reinalter, Gottfried Härle, Josef Rief und Florian Hirt.
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FOTO: STEFFEN LANG Ein leerer Stuhl: Rainer Schaaf verließ aus Protest gleich zu Beginn den Saal.

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