Schwäbische Zeitung (Biberach)
Überraschungsauftritt ohne Überraschung
Verwunderung über Unionskanzlerkandidat Laschet und Finanzexperte Merz in Stuttgart
STUTTGART - Ein bisschen ratlos stehen einige Journalisten am Mittwochvormittag in der großzügigen Empfangshalle der Südwestmetall in Stuttgart. Wenige Minuten zuvor hatten Unions-Kanzlerkandidat Armin Laschet und Zukunftsteam-Mitglied Friedrich Merz bei einer Pressekonferenz in den Räumen des Arbeitgeberverbands ihre Vision einer besseren Wirtschaft vorgestellt. Neues war dabei jedoch nicht zu erfahren. Das Acht-Punkte-Programm ist eine Zusammenfassung des Wahlprogramms der Union in Finanz- und Wirtschaftsfragen. Ratlosigkeit deshalb auch bei der Wirtschaft selbst. „Ich freue mich natürlich, dass die Wirtschaft jetzt im Wahlkampfendspurt eine größere Rolle spielt“, sagt ein Vertreter der Arbeitgeber. „Aber die Veranstaltung selbst halte ich für wahlkampftaktisch nicht besonders klug.“
Ziemlich genau 25 Minuten lang hatten Laschet und Merz zuvor ihr Programm vorgestellt. Unter anderem soll mit einem Belastungsmoratorium die Wirtschaft wieder in Schwung gebracht werden. Außerdem sieht das Programm den Abbau von Bürokratie und eine Innovationsoffensive vor. „Zehn Tage vor der Wahl erfindet man nicht viel Neues“, sagte Laschet. „Das Wahlprogramm ist so umfassend und so präzise, dass man da alles nachlesen kann, was wir nach der Wahl machen werden. Die Neuigkeit ist, dass wir heute eine Analyse der Debatte der letzten Wochen ziehen können.“
In diesem Zusammenhang warnte Laschet erneut vor einer linken Regierungskoalition. SPD, Grüne und Linkspartei seien sich „sehr ähnlich in ihrer Staatsgläubigkeit“, die Union setze dagegen auf „Entfesselung, Freiräume und neue Ideen“, sagte Laschet. Merz betonte mit Blick auf den Klimaschutz, es gehe um die Frage, ob die Ziele mit „Freiheit und Marktwirtschaft oder Repression und Regulierung“erreicht würden.
Die Pressekonferenz in Stuttgart war offenbar kurzfristig vom Unionswahlkampfteam angesetzt worden. Südwestmetallchef Peer-Michael Dick und sein Team wurden erst am Vortag gefragt, ob sie ihre Räumlichkeiten zur Verfügung stellen. Auch die Einladung an die Presse ging erst am Dienstagnachmittag raus. Armin Laschet selbst flog am Mittwochvormittag dann extra aus Köln nach Stuttgart. Nach dem Termin und einem Besuch bei der baden-württembergischen CDU-Fraktionsklausur ging es für ihn weiter nach Berlin und von dort nach Lübeck. Auf der Strecke lag der Südwesten also offensichtlich nicht. Warum dann der Aufwand?
Laschet selbst versuchte es mit einer Erklärung. „Frau Baerbock sagt, Verbote sind Innovationstreiber. Wir sind nicht der Meinung, dass Verbote Innovationstreiber sind und wenn man nach Baden-Württemberg schaut – und deshalb haben wir diese Pressekonferenz auch bewusst nach Stuttgart gelegt –, haben wir hier ein Land, in dem seit Jahrzehnten bewiesen wird, dass kreative
Köpfe, weil sie Freiräume haben, etwas erfinden, neue Produkte voranbringen und so die Möglichkeit haben, auch wirtschaftlich erfolgreich zu sein.“
Zur Wahrheit gehört aber wohl auch, dass Laschet unbedingt vermeiden will, dass die CDU ausgerechnet im Südwesten eine herbe
Schlappe einfährt. In Baden-Württemberg, wo die CDU seit Jahrzehnten fast immer alle Wahlkreise direkt gewonnen hat, sind bei den Wahlkreisprognosen anderthalb Wochen vor der Wahl grüne Flecken zu sehen. Am Vortag hatte zudem Politikwissenschaftler Frank Brettschneider von der Uni Hohenheim der dpa gesagt: „Es ist durchaus denkbar, dass die Landes-CDU schlechter abschneidet als die CDU auf Bundesebene.“Das wäre ein historischer Absturz, denn traditionell liegt die Südwest-CDU beim Bundestagswahlergebnis immer ein gutes Stück über dem Bundeswert. Brettschneider sieht bei der Landes-CDU ein „gewisses Mobilisierungsdefizit“, weil die große Mehrheit gegen Armin Laschet und für Markus Söder als Unionskanzlerkandidat war. Wenn schon die eigenen Leute nicht vom Kandidaten überzeugt seien, könnten sie auch schlecht andere überzeugen, erklärte der Politikwissenschaftler.
Tatsächlich hatten in den vergangenen Wochen immer wieder CDUMitglieder aus dem Südwesten ihre Unzufriedenheit mit Laschet kundgetan. Axel Müller, Bundestagsabgeordneter aus dem Wahlkreis Ravensburg, sagte in einer Fraktionssitzung unlängst etwa: „Mit einem Wort: Es ist beschissen!“Müller griff laut „Bild“auch die Parteizentrale der CDU an und verglich sie indirekt mit dem sogenannten „Volkssturm“am Ende des Zweiten Weltkriegs. Anschließend entschuldigte er sich für den „unglücklichen Vergleich“, nicht aber für die Kritik. „Mitnichten habe ich den Rücktritt unseres Spitzenkandidaten gefordert, aber wir müssen doch ehrlich sein: Wenn die CDU in keiner relevanten Umfrage, fünf Wochen vor der Wahl, bei über 30 Prozent liegt, dann haben wir die letzten Wochen nicht alles richtig gemacht“, sagte er damals.
Inzwischen sind die Umfragewerte der Union noch weiter gesunken. Für Laschet ging es deshalb in Stuttgart auch um den Wahlkampfendspurt in den eigenen Reihen. Wenig überraschend, dass er sich dafür den wirtschaftsliberalen Friedrich Merz zur Seite nahm, den sich viele CDUMitglieder in Baden-Württemberg als Parteichef gewünscht hätten. „Uns geht es auch um stabile Staatsfinanzen, eine prosperierende Volkswirtschaft und um einen stabilen Euro“, sagte Merz an die Abgeordneten der Fraktionsklausur gewandt. „Und wenn wir das hinbekommen, haben wir den Regierungsbildungsauftrag. (...) Und dann werden wir Armin Laschet zum nächsten Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland wählen. Und deswegen bin ich mit ihm heute hier.“
Doch auch Merz ist kein eindeutiger Unterstützer von Laschet. „Ich hätte einen anderen Wahlkampf gemacht“, hatte er am Dienstagabend noch bei Markus Lanz gesagt. In Stuttgart gibt er indirekt zu, dass er insgeheim nicht mehr mit einer echten Trendwende rechnet. „Es kann sein, dass wir mit 24,3 (Prozent), der Hälfte dessen, was wir 1976 bekommen haben, wo wir in die Opposition gegangen sind, 48,6 (Prozent), diesmal mit 24,3 (Prozent) den Regierungsbildungsauftrag bekommen“, sagt er in der Pressekonferenz. Ob die 24,3 Prozent seine Erwartung für die Bundestagswahl sei, wird er daraufhin von einem Journalisten gefragt. „Nein“, sagt Merz. Er habe damit nur sagen wollen, wie verrückt diese Welt sei.