Schwäbische Zeitung (Biberach)
Wie geht das mit der Briefwahl?
Die Entscheidung, per Brief wählen zu wollen, muss nicht begründet werden. Wer dies wünscht, beantragt bei der Gemeinde die Unterlagen und erhält einen Wahlschein und einen Stimmzettel. Absolut letzter Termin für den Antrag ist der 24. September um 18 Uhr. Wer sich so spät entscheidet, muss die Unterlagen aber selbst abholen. Gewählt wird laut Bundeswahlleiter „persönlich und unbeobachtet“. Dann ab mit dem Stimmzettel in den blauen Stimmzettelumschlag, zukleben, die eidesstattliche Erklärung auf dem beigefügten Wahlschein unterschreiben, alles zusammen in den roten Wahlbriefumschlag, auch den zukleben und das Gesamtpaket in die Post geben oder bei der auf dem Umschlag angegebenen Stelle abliefern. In jedem Fall muss der Brief spätestens am 26. September um 18 Uhr zum Auszählen vorliegen. Wer aus Deutschland schreibt, muss keine Briefmarke aufkleben. Aus dem Ausland gelten die üblichen Portotarife.
Gibt es Bedenken?
Allerdings. Sogar verfassungsrechtliche. Das Grundgesetz schreibt in Artikel 38 eine allgemeine, unmittelbare, freie, gleiche und geheime Wahl vor. Umstritten ist, ob diese Grundsätze in den eigenen vier Wänden eingehalten werden können, wenn zum Beispiel für die bettlägerige Großmutter ohne deren Wissen das Kreuz durch die pflegenden Angehörigen gesetzt wird.
Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages verweist in einem Gutachten aus dem vergangenen Jahr auf das Bundesverfassungsgericht: Es habe in mehreren Entscheidungen festgestellt, „dass die Briefwahl die Wahlrechtsgrundsätze der Freiheit, Geheimheit und Öffentlichkeit einschränkt“. Trotzdem hätten die höchsten Richter immer wieder Ja zur Briefwahl gesagt, weil sie dem Ziel diene, „eine umfassende Wahlnur beteiligung zu erreichen und damit dem Grundsatz der Allgemeinheit Rechnung tragen“. Mit anderen Worten: Dass so viele wie möglich wählen, ist Karlsruhe wichtiger als die mögliche Verletzung der anderen Wahlgrundsätze. Die Sache hat aber einen Haken. Verfassungsrechtler gehen davon aus, dass diese Toleranz gegenüber der Briefwahl
gilt, solange sie der Ausnahmefall ist. Sollte die Ausnahme die Regel werden, könnte es eine rechtliche Neubewertung geben.
Es wird mit einem neuen Briefwahlrekord gerechnet. Warum? Umfragen zufolge wollen diesmal rund 40 Prozent der Wählerinnen und Wähler von der Briefwahl Gebrauch
machen. Ein wichtiger Grund dafür ist die Pandemie. Tatsächlich lag bei Landtags- und Kommunalwahlen in den letzten eineinhalb Corona-Jahren der Briefwahl-Anteil bei teilweise sogar über 50 Prozent. Ein anderer Grund für Briefwahl ist, dass die Menschen am Wahltag flexibel bleiben wollen. Wer „ausschlafen, brunchen, Serien schauen“wolle, möge doch bitte Briefwahl beantragen, twitterte einst die Grüne Katrin Göring-Eckardt.
Wenn so viele per Brief wählen, ist die Wahl dann nicht schon gelaufen? Das nicht, aber begonnen hat die Bundestagswahl natürlich längst. Ganz Eilige haben schon vor Wochen abgestimmt. Der Politikwissenschaftler
Fließen abgegebene Briefwahlstimmen in Wahlumfragen ein?
Ob das erlaubt ist, bildet den Kern des juristischen Streits zwischen dem Bundeswahlleiter und dem Umfrageinstitut Forsa. Dem Institut wurde eine Geldbuße angedroht, wenn es weiter Briefwähler mitzählt, die ihre Stimme schon abgegeben haben. Der Bundeswahlleiter verweist auf das Wahlgesetz. Dort heißt es: „Die Veröffentlichung von Ergebnissen von Wählerbefragungen nach der Stimmabgabe über den Inhalt der Wahlentscheidung ist vor Ablauf der Wahlzeit unzulässig.“ForsaChef Manfred Güllner hält dagegen, die Angaben der Briefwähler würden nicht gesondert ausgewiesen. „Würden wir die Entscheidungen der Briefwähler rauslassen, wäre das Umfrageergebnis schief, weil beispielsweise die Wähler der AfD häufiger an der Urne wählen.“
Sorgen die zahlreichen Briefwähler für Verzögerungen beim Auszählen am Wahlabend?
Laut Bundeswahlleiter Georg Thiel nicht. Im Interview mit der „Schwäbsichen Zeitung“versicherte er schon im Januar, es werde auch diesmal ein vorläufiges amtliches Endergebnis „in den frühen Morgenstunden“geben. Allerdings ist die Auszählung der Briefwahlstimmen „arbeitsintensiver“, weil erst die Umschläge geöffnet werden müssen.
Sind Briefwahlen sicher?
Der Bundeswahlleiter sagt Ja. Dennoch hat insbesondere das Auszählungschaos bei der US-Präsidentschaftswahl Misstrauen geweckt. Professor Jun betont, dass die Auszählung von Briefwahlstimmen in Deutschland anders organisiert ist: „Sie werden im jeweiligen Wahllokal zusammen mit den übrigen Stimmen und übrigens ebenfalls erst ab 18 Uhr am Wahlsonntag ausgezählt.“Um Wahlbriefe auf dem Weg dorthin abzufangen und zu verändern, wäre „viel kriminelle Energie und ein deutliches Versagen der Post“nötig. Wahrscheinlich sei das nicht.