Schwäbische Zeitung (Biberach)

Hamburger Erzbischof Heße bleibt im Amt

Papst sieht Fehler, aber keine Vertuschun­g – Harsche Kritik an der Entscheidu­ng

- Von Ludger Möllers und Agenturen

RAVENSBURG - Papst Franziskus lehnt das Rücktritts­gesuch des Hamburger Erzbischof­s Stefan Heße ab und bittet den 55-Jährigen, im Amt zu bleiben: Diese Entscheidu­ng aus dem Vatikan, die am Mittwoch bekannt wurde, hat Zustimmung wie auch Kritik ausgelöst. Heße, ehemaliger Personalch­ef und Generalvik­ar im Erzbistum Köln, hatte seinen Rücktritt nach der Vorstellun­g des Kölner Missbrauch­sgutachten­s am 18. März und den darin enthaltene­n Vorwürfen gegen ihn angeboten. Seither hatte er seine Amtsgeschä­fte ruhen lassen. Während die Bischofsko­nferenz den Beschluss des Papstes begrüßte und sich einen Neuanfang wünschte, kritisiert­en Theologen und Laienvertr­eter den Schritt. „Für die Opfer sexualisie­rter Gewalt ist dies ein Schlag ins Gesicht, weil sie wieder den Eindruck gewinnen müssen, dass niemand für seine Verfehlung­en zur Rechenscha­ft gezogen wird“, sagte der Münsterane­r Kirchenrec­htler Thomas Schüller.

Mit der Mitteilung der Apostolisc­hen Nuntiatur, also der Botschaft des Papstes in Deutschlan­d in Berlin vom Mittwoch, dass Heße im Amt bleibt, geht eine monatelang­e Zeit des Wartens zu Ende. Der Strafrecht­ler Björn Gercke hatte untersucht, ob Verantwort­liche des Erzbistums Köln, unter ihnen Heße, in der Vergangenh­eit den sexuellen Missbrauch von Kindern durch Priester vertuscht hatten. Seit 2006 wirkte der Geistliche zunächst als Personalch­ef und dann als Generalvik­ar (Verwaltung­schef) am Rhein, seit 2015 ist er Erzbischof in Hamburg. Das im März vorgestell­te Ergebnis: Gercke beschuldig­te Heße der elffachen Pflichtver­letzung. Daraufhin bot Heße seinen Rücktritt an.

Franziskus widerspric­ht Gercke nicht und sieht „Mängel in der Organisati­on und Arbeitswei­se des Erzbischöf­lichen Generalvik­ariates sowie persönlich­e Verfahrens­fehler Heßes“. Doch habe die Untersuchu­ng in Köln durch zwei päpstliche Bevollmäch­tigte, die Bischöfe von Rotterdam und Stockholm, im Sommer ergeben, dass diese Fehler nicht „mit der Absicht begangen wurden, Fälle sexuellen Missbrauch­s zu vertuschen“. Im Klartext sagt der Papst: Heße hat Fehler gemacht – aber ohne jede böse Absicht. Das Grundprobl­em

sei „Mangel an Aufmerksam­keit und Sensibilit­ät gegenüber den von Missbrauch Betroffene­n“gewesen.

Das Zentralkom­itee der deutschen Katholiken (ZdK) zeigte sich am Mittwoch „schockiert“. Im Vatikan werde verleugnet, „dass sichtbare und spürbare Veränderun­gen in der Kirche nötig sind, um das verloren gegangene Vertrauen wiederzuer­langen“, erklärte Vizepräsid­entin Claudia Lücking-Michel. Auch die Initiative „Wir sind Kirche“wertet das Votum für Heße als „höchst problemati­sch“. Es sei zu fragen, wofür kirchliche Führungskr­äfte überhaupt noch zur Verantwort­ung gezogen werden: „Das heutige Ergebnis und noch mehr die völlige Intranspar­enz des gesamten Verfahrens sind nicht geeignet, die immense Glaubwürdi­gkeitskris­e zu überwinden, in der sich die Kirchenlei­tung befindet.“Der Sprecher der Betroffene­ninitiativ­e Eckiger Tisch, Matthias Katsch, sprach von „organisier­ter Verantwort­ungslosigk­eit“.

Offen ist weiter die Zukunft des umstritten­en Kölner Oberhirten, Kardinal Woelki. Der Vatikan habe im Bericht der beiden päpstliche­n Bevollmäch­tigten registrier­t, dass Woelki von einem großen Teil des Klerus und der einfachen Gläubigen abgelehnt werde, meint Kirchenrec­htler Schüller. „Das heißt, dass er ein König ohne Reich ist. Das könnte durchaus negative Konsequenz­en für ihn haben.“

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FOTO: KNA Bleibt im Amt: der Hamburger Erzbischof Stefan Heße.

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