Schwäbische Zeitung (Biberach)
Wenn der Brummi summt
Der Nutzfahrzeugbauer Iveco eröffnet in Ulm mit dem E-Start-up Nikola ein Werk für elektrische Lastwagen
ULM - Apple und Tesla standen Pate für diese Show im Donautal. Keine Krawatten, alles in Englisch, ein schickes Podium mit den Chefs der beiden Partnerfirmen drauf und dramatische Geigenklänge, ein Sound wie im Kino. Das Setting sollte noch einmal Spannung erzeugen, bevor die Vorhänge fielen.
Das US-Start-up Nikola baut ab sofort gemeinsam mit Iveco Magirus in Ulm batterieelektrisch angetriebene Lastwagen, Brennstoffzellen-Trucks sollen folgen. Zum Vorschein kamen: Zwei Weltneuheiten, wobei sich das Augenmerk vor allem auf den batterieelektrischen mittelschweren Nikola Tre legte. 560 Kilometer weit soll das Vehikel kommen, das optisch an einen Truck von Iveco Magirus erinnert. Was kein Zufall ist.
Nikola steht für die neue Mobilität, Iveco für die althergebrachte, für europäische Perfektion. Allein für sich sind die ungleichen Partner zu klein, um auf dem Markt zu bestehen, der sich auch bei Nutzfahrzeugen nach und nach vom Diesel verabschieden wird. Grund: die Klimapolitik. Ausstoß von CO2 wird immer teurer. Gemeinsam nun wollen Nikola und Iveco, das zum niederländisch-britischen Industriekonzern CNH Industrial gehört, Mitbewerber wie Marktführer Daimler, MAN, Volvo oder Scania herausfordern. Nikola ist zuständig für den elektrischen Antriebsstrang und die Software, den Rest – eben auch die Kabine – liefert Iveco.
Nur kurz zur Sprache kamen die Turbulenzen, in denen sich Nikola zuletzt befand. Gründer Trevor Milton soll Investoren hinters Licht geführt und Technologien angepriesen haben, über die das Unternehmen – das einst gefeiert wurde als das Tesla der Truck-Branche – aber noch gar nicht verfügte. Milton, noch immer Hauptaktionär, schied aus dem Management bei Nikola aus und muss sich aktuell vor einem Gericht in New York verantworten. Womöglich wird da auch geklärt, was dran ist unter anderem an dem Vorwurf, dass sich ein NikolaTruck bei einer Vorführung nur deshalb in Bewegung gesetzt haben soll, weil er einen Berg hinunterrollte.
„No“. Die Antwort von NikolaBoss Mark Russell auf die Frage, ob die unrühmliche Vergangenheit die Firma heute noch beeinträchtige, fiel kurz aus. Man sei fokussiert und vital. Und man werde jetzt liefern. Die Hypothek ist dennoch beträchtlich. Mit 30 Milliarden Dollar war das Start-up an der Börse zeitweise besser bewertet als Ford. Nach Bekanntwerden der Vorwürfe brach der Kurs ein.
Die Serienproduktion des „Tre“soll in Kürze starten, wenngleich in überschaubarem Ausmaß. Zunächst rollen in Ulm zwei Zugmaschinen vom Band – pro Woche. Ab 2023 soll es täglich eine sein. Zielmarke: 1000 Trucks pro Jahr. Die hochtechnisierte Produktionshalle (40 Millionen Euro wurden investiert) hätte sogar eine Kapazität von bis zu 3000.
So viele Menschen, wie sich am Mittwoch in der Halle tummelten, dürften künftig in selbiger kaum anzutreffen sein. Los geht es mit weniger als 100 Beschäftigten. Eine unmittelbare Jobmaschine ist die neue Produktion nicht, auch wenn bei kompletter Auslastung 450 Mitarbeiter im Dreischichtbetrieb an den Lastern schrauben könnten.
Vielmehr aber soll die Region, soll Baden-Württemberg profitieren. Im Südwesten seien eine Menge Zulieferer beheimatet, und damit ist nicht nur Bosch gemeint, der Konzern, der die Brennstoffzelle für den vorgestellten Wasserstoff-Truck liefert.
Die Batteriezellen des Tre, Herzstück und zugleich teuerste Komponente, kommen aus Südkorea. Montiert werden die Batterien in Ulm, wo der Laster seine endgültige Gestalt annimmt – und in Arizona/USA. Im Oktober will Nikola dort eine Schwesterfabrik eröffnen, in der die Fahrzeuge für die USA gefertigt werden.
Doch auch die ersten in Ulm vom Band laufenden Laster sind für den amerikanischen Markt bestimmt. Was Baden-Württembergs Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) zu einem Tadel veranlasste. Er bat darum, dafür zu sorgen, dass die Ulmer Trucks so schnell wie möglich auf deutschen Straßen rollen. Die ersten kommen wohl im Hamburger Hafen zum Einsatz. In Ulm unterzeichnete Hafen-Chef Jens Meier eine Absichtserklärung, 25 Trucks abzunehmen.
Dass die Laster unter dem NikolaLabel verkauft werden, sei kein Nachteil, findet Iveco-Geschäftsführer Gerrit Marx. Zum einen profitiere man vom Erlös genauso, zum anderen zahlten die E-Trucks auf das „Klimakonto“
von Iveco ein, das weiterhin auch Diesel- und Gaslaster im Portfolio hat.
Hermann versah das Joint Venture mit Vorschusslorbeeren. Die Kooperation sei „eine großartige Sache, ein großes Zukunftsprojekt“. Er lobte die Partner für ihre Geschwindigkeit, denn aufgebaut worden sei die Produktion in rekordverdächtiger Zeit, innerhalb von nur 24 Monaten.
Das soll sich nun auszahlen. So sei der Markt der batterieelektrischen und der Brennstoffzellen-Mobilität allein in Baden-Württemberg („die Innovationsregion Europas“) mehrere Milliarden schwer. Außerdem ist die Konkurrenz noch nicht weggezogen. So schickt Daimler seinen E-Actros aus der Serienproduktion erst demnächst auf die Straße, und andere Mitbewerber wie Renault, Scania und Volvo sind auch erst seit Kurzem mit E-Lastern im Markt vertreten.
Bis zu 800 Kilometer soll der erste Brennstoffzellen-Truck von Nikola und Iveco abspulen können. Der Prototyp war ebenfalls ein Hingucker, soll jedoch erst ab Ende 2023 vom
Werksgelände rollen. Optisch ist er an den Tre angelehnt, sie teilen sich dieselbe Plattform. Vorteile der Technologie: Die Zugmaschine muss keine Batterie schleppen und ist genauso schnell betankt wie ein Diesel. Problem: fehlende Tank-Infrastruktur. In Baden-Württemberg existieren erst zwölf Wasserstoff-Tankstellen.
In einem Grußwort kündigte Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) digital zugeschaltet an, dass die Bundesregierung 80 Prozent der Mehrkosten, die im Vergleich zu einem Diesel entstehen, übernehmen, werde, um Kunden zum Kauf neuer ELkw zu bewegen. Da könnte was zusammenkommen. Denn der batterieelektrische Nikola soll dreimal so teuer sein, der Brennstoffzellen-Truck viermal so teuer wie ein herkömmlicher Laster. Hört sich nach viel an, allerdings kämen Spediteure wegen der Rahmenbedingungen bald gar nicht mehr umhin, so Gerrit Marx, sich alternativ angetriebene Trucks zu kaufen. Einfach, weil Diesel, auch wegen des steigenden CO2-Preises irgendwann unbezahlbar sein werde.