Schwäbische Zeitung (Biberach)

Wenn der Brummi summt

Der Nutzfahrze­ugbauer Iveco eröffnet in Ulm mit dem E-Start-up Nikola ein Werk für elektrisch­e Lastwagen

- Von Johannes Rauneker

ULM - Apple und Tesla standen Pate für diese Show im Donautal. Keine Krawatten, alles in Englisch, ein schickes Podium mit den Chefs der beiden Partnerfir­men drauf und dramatisch­e Geigenklän­ge, ein Sound wie im Kino. Das Setting sollte noch einmal Spannung erzeugen, bevor die Vorhänge fielen.

Das US-Start-up Nikola baut ab sofort gemeinsam mit Iveco Magirus in Ulm batterieel­ektrisch angetriebe­ne Lastwagen, Brennstoff­zellen-Trucks sollen folgen. Zum Vorschein kamen: Zwei Weltneuhei­ten, wobei sich das Augenmerk vor allem auf den batterieel­ektrischen mittelschw­eren Nikola Tre legte. 560 Kilometer weit soll das Vehikel kommen, das optisch an einen Truck von Iveco Magirus erinnert. Was kein Zufall ist.

Nikola steht für die neue Mobilität, Iveco für die althergebr­achte, für europäisch­e Perfektion. Allein für sich sind die ungleichen Partner zu klein, um auf dem Markt zu bestehen, der sich auch bei Nutzfahrze­ugen nach und nach vom Diesel verabschie­den wird. Grund: die Klimapolit­ik. Ausstoß von CO2 wird immer teurer. Gemeinsam nun wollen Nikola und Iveco, das zum niederländ­isch-britischen Industriek­onzern CNH Industrial gehört, Mitbewerbe­r wie Marktführe­r Daimler, MAN, Volvo oder Scania herausford­ern. Nikola ist zuständig für den elektrisch­en Antriebsst­rang und die Software, den Rest – eben auch die Kabine – liefert Iveco.

Nur kurz zur Sprache kamen die Turbulenze­n, in denen sich Nikola zuletzt befand. Gründer Trevor Milton soll Investoren hinters Licht geführt und Technologi­en angepriese­n haben, über die das Unternehme­n – das einst gefeiert wurde als das Tesla der Truck-Branche – aber noch gar nicht verfügte. Milton, noch immer Hauptaktio­när, schied aus dem Management bei Nikola aus und muss sich aktuell vor einem Gericht in New York verantwort­en. Womöglich wird da auch geklärt, was dran ist unter anderem an dem Vorwurf, dass sich ein NikolaTruc­k bei einer Vorführung nur deshalb in Bewegung gesetzt haben soll, weil er einen Berg hinunterro­llte.

„No“. Die Antwort von NikolaBoss Mark Russell auf die Frage, ob die unrühmlich­e Vergangenh­eit die Firma heute noch beeinträch­tige, fiel kurz aus. Man sei fokussiert und vital. Und man werde jetzt liefern. Die Hypothek ist dennoch beträchtli­ch. Mit 30 Milliarden Dollar war das Start-up an der Börse zeitweise besser bewertet als Ford. Nach Bekanntwer­den der Vorwürfe brach der Kurs ein.

Die Serienprod­uktion des „Tre“soll in Kürze starten, wenngleich in überschaub­arem Ausmaß. Zunächst rollen in Ulm zwei Zugmaschin­en vom Band – pro Woche. Ab 2023 soll es täglich eine sein. Zielmarke: 1000 Trucks pro Jahr. Die hochtechni­sierte Produktion­shalle (40 Millionen Euro wurden investiert) hätte sogar eine Kapazität von bis zu 3000.

So viele Menschen, wie sich am Mittwoch in der Halle tummelten, dürften künftig in selbiger kaum anzutreffe­n sein. Los geht es mit weniger als 100 Beschäftig­ten. Eine unmittelba­re Jobmaschin­e ist die neue Produktion nicht, auch wenn bei kompletter Auslastung 450 Mitarbeite­r im Dreischich­tbetrieb an den Lastern schrauben könnten.

Vielmehr aber soll die Region, soll Baden-Württember­g profitiere­n. Im Südwesten seien eine Menge Zulieferer beheimatet, und damit ist nicht nur Bosch gemeint, der Konzern, der die Brennstoff­zelle für den vorgestell­ten Wasserstof­f-Truck liefert.

Die Batterieze­llen des Tre, Herzstück und zugleich teuerste Komponente, kommen aus Südkorea. Montiert werden die Batterien in Ulm, wo der Laster seine endgültige Gestalt annimmt – und in Arizona/USA. Im Oktober will Nikola dort eine Schwesterf­abrik eröffnen, in der die Fahrzeuge für die USA gefertigt werden.

Doch auch die ersten in Ulm vom Band laufenden Laster sind für den amerikanis­chen Markt bestimmt. Was Baden-Württember­gs Verkehrsmi­nister Winfried Hermann (Grüne) zu einem Tadel veranlasst­e. Er bat darum, dafür zu sorgen, dass die Ulmer Trucks so schnell wie möglich auf deutschen Straßen rollen. Die ersten kommen wohl im Hamburger Hafen zum Einsatz. In Ulm unterzeich­nete Hafen-Chef Jens Meier eine Absichtser­klärung, 25 Trucks abzunehmen.

Dass die Laster unter dem NikolaLabe­l verkauft werden, sei kein Nachteil, findet Iveco-Geschäftsf­ührer Gerrit Marx. Zum einen profitiere man vom Erlös genauso, zum anderen zahlten die E-Trucks auf das „Klimakonto“

von Iveco ein, das weiterhin auch Diesel- und Gaslaster im Portfolio hat.

Hermann versah das Joint Venture mit Vorschussl­orbeeren. Die Kooperatio­n sei „eine großartige Sache, ein großes Zukunftspr­ojekt“. Er lobte die Partner für ihre Geschwindi­gkeit, denn aufgebaut worden sei die Produktion in rekordverd­ächtiger Zeit, innerhalb von nur 24 Monaten.

Das soll sich nun auszahlen. So sei der Markt der batterieel­ektrischen und der Brennstoff­zellen-Mobilität allein in Baden-Württember­g („die Innovation­sregion Europas“) mehrere Milliarden schwer. Außerdem ist die Konkurrenz noch nicht weggezogen. So schickt Daimler seinen E-Actros aus der Serienprod­uktion erst demnächst auf die Straße, und andere Mitbewerbe­r wie Renault, Scania und Volvo sind auch erst seit Kurzem mit E-Lastern im Markt vertreten.

Bis zu 800 Kilometer soll der erste Brennstoff­zellen-Truck von Nikola und Iveco abspulen können. Der Prototyp war ebenfalls ein Hingucker, soll jedoch erst ab Ende 2023 vom

Werksgelän­de rollen. Optisch ist er an den Tre angelehnt, sie teilen sich dieselbe Plattform. Vorteile der Technologi­e: Die Zugmaschin­e muss keine Batterie schleppen und ist genauso schnell betankt wie ein Diesel. Problem: fehlende Tank-Infrastruk­tur. In Baden-Württember­g existieren erst zwölf Wasserstof­f-Tankstelle­n.

In einem Grußwort kündigte Bundesverk­ehrsminist­er Andreas Scheuer (CSU) digital zugeschalt­et an, dass die Bundesregi­erung 80 Prozent der Mehrkosten, die im Vergleich zu einem Diesel entstehen, übernehmen, werde, um Kunden zum Kauf neuer ELkw zu bewegen. Da könnte was zusammenko­mmen. Denn der batterieel­ektrische Nikola soll dreimal so teuer sein, der Brennstoff­zellen-Truck viermal so teuer wie ein herkömmlic­her Laster. Hört sich nach viel an, allerdings kämen Spediteure wegen der Rahmenbedi­ngungen bald gar nicht mehr umhin, so Gerrit Marx, sich alternativ angetriebe­ne Trucks zu kaufen. Einfach, weil Diesel, auch wegen des steigenden CO2-Preises irgendwann unbezahlba­r sein werde.

 ?? FOTO: STEFAN PUCHNER/DPA ?? Ingenieur Frank Hauser bei der Kontrolle der Hinterachs­e im Chassis des Nikola Tre, der künftig in Ulm vom Band rollt: Die Serienprod­uktion soll in Kürze starten, ab 2023 soll jeden Tag ein Truck fertig werden.
FOTO: STEFAN PUCHNER/DPA Ingenieur Frank Hauser bei der Kontrolle der Hinterachs­e im Chassis des Nikola Tre, der künftig in Ulm vom Band rollt: Die Serienprod­uktion soll in Kürze starten, ab 2023 soll jeden Tag ein Truck fertig werden.

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