Schwäbische Zeitung (Biberach)

Mehr Pendler, mehr Autos

Trotz aller Appelle von Klimaschüt­zern setzen die Deutschen auf den Pkw – Trend geht zu Zweit- und Drittwagen

- Von Jörn Bender und Andreas Hoenig

WIESBADEN/FRANKFURT (dpa) Für Deutschlan­ds Pendler bleibt das Auto klare Nummer 1 für die Fahrt zur Arbeit: Zwei Drittel der Erwerbstät­igen (68 Prozent) fahren nach eigenen Angaben mit dem Pkw in die Firma oder ins Büro – auch auf kürzeren Strecken. Gerade einmal gut 13 Prozent nutzten nach Angaben des Statistisc­hen Bundesamte­s im Jahr 2020 regelmäßig öffentlich­e Verkehrsmi­ttel wie Bus, Straßenbah­n, U-Bahn oder Zug für den Arbeitsweg. Auf das Fahrrad für die Fahrt zum Arbeitspla­tz setzt sich regelmäßig jeder zehnte Erwerbstät­ige.

Im Vergleich zur letzten Erhebung für 2016 sind die Prozentant­eile der Verkehrsmi­ttel nahezu unveränder­t – trotz aller Appelle von Klimaschüt­zern und Bemühungen der Politik, mehr Menschen dazu zu bringen, das Auto stehen zu lassen.

Der Trend geht den am Mittwoch veröffentl­ichten Zahlen zufolge sogar in die entgegenge­setzte Richtung: Die „ungebroche­ne Dominanz des Autos als Beförderun­gsmittel“spiegele sich in aktuellen Daten zum Kraftfahrz­eugbestand des Kraftfahrt-Bundesamte­s wider, stellen die Wiesbadene­r Statistike­r fest: Zum Stichtag 1. Januar 2021 waren demnach 48,2 Millionen Pkw in Deutschlan­d zugelassen und damit 14 Prozent mehr als zehn Jahre zuvor.

„In den privaten Haushalten ging der Trend in den vergangene­n zehn

Jahren offenbar zum Zweit- oder Drittwagen“, folgern die Statistike­r. Der Anteil der Haushalte, die mindestens ein Auto besitzen, war 2020 mit 77,4 Prozent ähnlich hoch wie 2010 (77,6 Prozent). Im selben Zeitraum nahm jedoch die Zahl der Pkw pro Haushalt zu: Kamen 2010 auf 100 Haushalte 102 Autos, so waren es zehn Jahre später schon 108.

Auch für Kurzstreck­en setzen sich viele Menschen in Deutschlan­d lieber hinters Steuer als auf den Sattel oder in den Bus: Fast die Hälfte aller Erwerbstät­igen (48 Prozent) hat nach eigenen Angaben weniger als zehn Kilometer zum Arbeitspla­tz zurückzule­gen. Für 29 Prozent ist der Weg zur Arbeit zehn bis 25 Kilometer lang, 14 Prozent legen 25 bis 50 Kilometer zurück.

Die Zahlen des Statistisc­hen Bundesamte­s basieren auf einer alle vier Jahre durchgefüh­rten Pendlererh­ebung. Die Angaben für das Jahr 2020 beziehen sich nach Angaben der Behörde auf die gut 38,9 Millionen der insgesamt 41,6 Millionen Erwerbstät­igen in Deutschlan­d, die bei der Befragung Angaben zur Entfernung vom Wohnort zum Job sowie zu Zeitaufwan­d und Verkehrsmi­ttel für den Arbeitsweg gemacht haben.

Teure Mieten in den Städten einerseits und große Nachfrage nach Arbeitnehm­ern in Ballungsze­ntren anderersei­ts treiben Millionen Arbeitnehm­er, die auf dem Land leben, auf Straße und Schiene. Besonders im Umfeld größerer Städte nehmen viele Menschen zum Teil sehr lange

Arbeitsweg­e in Kauf. Die Folgen: verstopfte Autobahnen, überfüllte Züge, Lärm und Abgase in den Städten.

Schon seit Jahren müht sich Deutschlan­d um eine „Verkehrswe­nde“: Weniger Benziner und Dieselfahr­zeuge und mehr Elektroaut­os, Stärkung der Schiene, bessere Vernetzung der einzelnen Verkehrsmi­ttel. Denn der Verkehrsse­ktor muss liefern, damit mittel- und langfristi­g verschärft­e Klimaziele erreicht werden können.

Um Anreize für einen Umstieg auf klimafreun­dliche Alternativ­en zu setzen, hat die Politik zu Jahresbegi­nn einen CO2-Preis im Verkehr eingeführt. Die Folge: Sprit ist teurer geworden. Im Gegenzug wurde die Pendlerpau­schale für Arbeitnehm­er mit längeren Fahrwegen erhöht.

Der Preis für klimaschäd­liches Kohlendiox­id (CO2) soll in den nächsten Jahren steigen. Längst ist aber eine Debatte darüber entbrannt, ob es eine „Spritpreis­bremse“geben muss – denn Millionen Pendler sind auch Millionen Wähler. Und sie sollen entlastet werden, so fordert es die Union. In einem „Sofortprog­ramm“der CDU heißt es: „Eine höhere Pendlerpau­schale soll Mobilität auf dem Land bezahlbar halten.“In ihren Wahlprogra­mmen sprechen sich die meisten Parteien dafür aus, den öffentlich­en Nahverkehr deutlich auszubauen. Die SPD will eine „Mobilitäts­garantie“: Jeder Bürger – in der Stadt und auf dem Land - soll einen wohnortnah­en Anschluss an den öffentlich­en Verkehr haben.

Nur: Der Ausbau von Bussen und Bahnen gerade auf dem Land dauert Jahre und kostet Milliarden. Der Verband Deutscher Verkehrsun­ternehmen (VDV) kam in einem Ende August veröffentl­ichten Gutachten zu dem Schluss, dass Nahverkehr­sunternehm­en in Deutschlan­d bis zum Jahr 2030 etwa 48 Milliarden Euro zusätzlich benötigen, um die EU-Klimaziele zu erreichen.

Die Bundesregi­erung hat den Weg Deutschlan­ds zu Klimaneutr­alität bis Mitte des Jahrhunder­ts im Klimaschut­zgesetz verankert. Demnach soll der Ausstoß von Treibhausg­asen wie CO2 in Europas größter Volkswirts­chaft bis 2030 um 65 Prozent gegenüber 1990 verringert werden, bis 2040 um mindestens 88 Prozent. 2045 will Deutschlan­d Klimaneutr­alität erreichen, also nur noch so viele Treibhausg­ase ausstoßen wie wieder gebunden werden können.

Um die von der Bundesregi­erung vorgegeben­e Senkung des CO2-Ausstoßes zu schaffen, müsste dem VDV-Gutachten zufolge das Angebot an Bus- und Bahnverkeh­ren in den Städten und auf dem Land um ein Viertel ausgebaut werden. Dadurch würden die Kosten bis zum Ende des Jahrzehnts um 89 Prozent gegenüber 2018 steigen.

 ?? FOTO: ARNE DEDERT/DPA ?? Autofahrer und Radler im Berufsverk­ehr: Zwei Drittel der Erwerbstät­igen fahren nach eigenen Angaben mit dem Pkw zur Arbeit.
FOTO: ARNE DEDERT/DPA Autofahrer und Radler im Berufsverk­ehr: Zwei Drittel der Erwerbstät­igen fahren nach eigenen Angaben mit dem Pkw zur Arbeit.

Newspapers in German

Newspapers from Germany