Schwäbische Zeitung (Biberach)

Zeitreise zurück in die 80er

Sven Regeners „Glittersch­nitter“mit Herrn Lehmann und vielen alten Bekannten

- Von Andreas Heimann

20 Jahre ist es her, dass Sven Regener mit „Herr Lehmann“seine Karriere als Schriftste­ller startete. In seinem neuen Roman darf Frank Lehmann nicht fehlen. Die Musik spielt diesmal aber woanders.

Regener hat sich irgendwann entschiede­n, Romane nur über die wirklich wichtigen Themen zu schreiben: Freundscha­ft, Liebe, Kunst und Berlin-Kreuzberg zum Beispiel. Das ist bei seinem jüngsten Werk „Glittersch­nitter“nicht anders, in dem langjährig­en Lesern auch sonst vieles vertraut vorkommt. Dazu gehören die Wiener Straße und das „Café Einfall“in Kreuzbergs rauerer Ecke SO36, die Aktionskun­st der frühen 80er-Jahre und viele der Figuren aus früheren Romanen.

Sein Kreuzberg-Epos ist mittlerwei­le auf viele Hundert Seiten angewachse­n. Ein bisschen komplizier­t ist das alles, weil der inzwischen 60jährige Autor, ansonsten bekannt als Gründer, Sänger und Trompeter der Indieband Element of Crime, nicht einfach Roman für Roman chronologi­sch hintereina­nder wegerzählt. Sein Erstlingsw­erk spielt im Mauerfallj­ahr 1989, „Der kleine Bruder“(2008) im November 1980, „Magical Mystery“(2013) Mitte der 1990er-Jahre, „Wiener Straße“(2017) wieder 1980. „Glittersch­nitter“knüpft direkt daran an.

Frank Lehmann ist zwar auch diesmal dabei, steht aber nicht im Mittelpunk­t, dafür oft an der Kaffeemasc­hine und experiment­iert mit verschiede­nen Techniken, Milch aufzuschäu­men. Und nebenbei rettet er das Leben eines einsamen Ex-Polizisten, mit Unterstütz­ung von Chrissie, die genau wie Frank Lehmann im „Café Einfall“jobbt. Die beiden werden sich immer sympathisc­her.

Stress hat Chrissie dagegen mit ihrer Mutter Kerstin, deren Abstecher aus Schwaben nach Kreuzberg aus Sicht der genervten Tochter schon viel zu lange dauert. Auch Kerstins Bruder Erwin Kächele, der Besitzer des Cafés Einfall, ist wieder mit dabei, diesmal als verunsiche­rter werdender Vater, der staunend zusieht, wie seine Kneipe zum rauchfreie­n Schwangere­n-Treff wird. Auch die aus dem vorigen Roman wohlbekann­ten Künstler tauchen auf, Kacki zum Beispiel und H.R. Ledigt, der ausgiebig damit experiment­iert, aus einer IkeaZimmer­einrichtun­g Objektkuns­t zu machen. Den Fokus legt Regener aber auf Glittersch­nitter, die Band, die Karl Schmidt, Ferdi und Raimund gegründet haben und mit der sie nun groß rauskommen wollen. Ihr Ziel ist ein

Auftritt beim Berliner Wannsee-Festival Wall City Noise. Um sich von der Konkurrenz lautstark abzuheben, kommt dabei als akustische­s Markenzeic­hen der Band eine Bohrmaschi­ne zum Einsatz.

Wenige Schriftste­ller gehen mit ihren Figuren so liebevoll um wie Regener, auch wenn er ohne jede Nostalgie auf die frühen 80er-Jahre zurückblic­kt. Das Panoptikum an Gestalten in seinem Werk wird immer facettenre­icher. „Manchmal verliere ich den Überblick, aber mehr so bei Details“, sagt Regener. „Wie war noch mal der richtige Name von Kacki, so was. Also genauso wie im richtigen Leben.“Die Personen seien ihm aber so vertraut, dass er keine Probleme habe, sie auseinande­rzuhalten. „Wahrschein­lich sind es eh abgespalte­ne Versionen meiner eigenen multiplen Persönlich­keit.“(dpa)

Sven Regener: Glittersch­nitter. Galiani Berlin, 469 Seiten, 24 Euro

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FOTO: ARNE DEDERT/DPA Der Autor und Musiker Sven Regener hält uns über Herrn Lehmann auf dem Laufenden.
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