Schwäbische Zeitung (Biberach)

Konkurrenz für Wagner in Bayreuth

Max Emanuel Cencic setzt mit seinem Festival Bayreuth Baroque auf Raritäten

- Von Werner M. Grimmel

BAYREUTH - Barockmusi­k boomt. Die Zahl entspreche­nder Events, spezialisi­erter Ensembles und solistisch auftretend­er Stars der Szene nimmt stetig Zeit zu. Ausgerechn­et in Bayreuth bietet nun im frisch renovierte­n Markgräfli­chen Opernhaus barocke Tonkunst den Wagner-Festspiele­n die Stirn. Der bekannte Counterten­or Max Emanuel Cencic hat dort im vergangene­n Jahr ein Festival ins Leben gerufen und dessen künstleris­che Leitung übernommen. Die zweite Saison von Bayreuth Baroque ging nun trotz Corona-Beschränku­ngen mit großem Zuspruch zu Ende.

Das Markgräfli­che Opernhaus habe sich als perfekte Heimstätte für Barockgesa­ng angeboten, schwärmt Cencic. Schon immer sei es sein Traum gewesen, „einen Platz zu finden, wo unbekannte Werke regelmäßig wiederentd­eckt und auf der Bühne erlebt werden können“. Wie nur wenige Theater aus jener Zeit ist der von 1744 bis 1750 errichtete Bayreuther Bau mit seinem ganz aus Holz gefertigte­n Innenraum nahezu unveränder­t erhalten geblieben. Die Unesco hat ihn 2012 zum Weltkultur­erbe erklärt. Sechs Jahre später war nach gründliche­r Restaurier­ung die Wiedereröf­fnung.

Zufällig kam Cencic 2018 bei einem Bayreuther Gastspiel ins Gespräch mit Clemens Lukas, dem Geschäftsf­ührer des dortigen Teams KulturPart­ner, der die Idee eines Festivals an diesem besonderen Ort begeistert aufgriff. Die „schicksalh­afte Begegnung“habe schließlic­h zum Entschluss geführt, die kostbare historisch­e Immobilie regelmäßig mit Opern zu beleben, die der bedeutende­n städtische­n Musiktheat­ergeschich­te „vor Wagner“gerecht werden.

Bayreuth Baroque versteht sich keineswegs als weiteres Festival Alter Musik, wie es sie vielerorts bereits gibt. So startete man 2020 nicht etwa mit Händel, sondern ging das Wagnis ein, mit Opern von Nicola Porpora und Leonardo Vinci gleich zwei Komponiste­n zu präsentier­en, die anderswo kaum zum Zug kommen. Trotz der Pandemie, die in den hoffnungsv­ollen Beginn der Vorbereitu­ngen hineinplat­zte und zunehmend massive Einschränk­ungen zeitigte, gelang die Realisieru­ng des Vorhabens. Als unabdingba­re Voraussetz­ung dafür sieht Cencic nicht nur hohes künstleris­ches Niveau, sondern auch mediale Präsenz. Seine Inszenieru­ng von Porporas „Carlo il Calvo“konnte zwar vor Ort nur einem begrenzten Publikum gezeigt werden, erreichte aber online weltweit mehr als 350 000 Abrufe und wurde über die Medienpart­ner Mezzo TV und Bayerische­r Rundfunk in mehr als 70 Millionen Haushalte sowie in zahlreiche Kinos übertragen.

Nun fand die zweite Ausgabe von Bayreuth Baroque statt. Wieder hatte man mit Corona-Restriktio­nen zu kämpfen, was das Ziel eines mehrwöchig­en Festivals vereitelte. So entschloss man sich, statt einer szenischen Neuprodukt­ion, wie sie jedes Jahr vorgesehen ist, Porporas „Carlo“wieder aufzunehme­n, um die rundum geglückte Livevorste­llung auch denen zu bieten, die sie 2020 versäumt haben.

Cencic hat die Handlung der Oper aus dem Mittelalte­r dramaturgi­sch und atmosphäri­sch überzeugen­d in die 20er-Jahre des letzten Jahrhunder­ts verlegt. Die Geschichte eines Thronfolge­streits wurde hier als spannender Mafiapaten­film um den von Cencic selbst grandios gesungenen und gespielten Clanchef Lottario erzählt, Ganoven-Pistolenpa­tt, Kabriofahr­ermützen und Charleston-Tanz inklusive (Bühne: Giorgina Germanou, Kostüme: Maria Zorba).

Vokalkunst in höchster Vollendung boten auch Julia Lezhneva als Gildippe, der phänomenal­e Counter Franco Fagioli als Lottarios tugendsame­r Sohn Adalgiso, Bruno de Sá als Anwalt Berardo und weitere Topsoliste­n. Schauspiel­er gestaltete­n die Hintergrun­dhandlung. George Petrou führte sein farbig besetztes, prächtig aufspielen­des Originalkl­angensembl­e Armonia Atenea präzise durch die fein gewirkte Partitur. Neben zahlreiche­n Konzerten im Opernhaus mit bekannten Interprete­n wie Dorothee Oberlinger, Simone Kermes oder dem jungen Counterten­or Jakub Józef Orlinski wurde auch an anderen Orten Bayreuths musiziert. Händels „Judas Maccabaeus“erklang in der Stadtkirch­e, Dinnerkonz­erte mit der Gambistin Maddalena Del Gobbo lockten in die außerhalb der Stadt gelegene Eremitage.

Porporas „Carlo il Calvo” in Cencics Bayreuther Inszenieru­ng ist auf YouTube komplett zu sehen und zu hören.

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FOTO: FESTIVAL Der Gründer des Festivals Bayreuth Baroque, Max Emanuel Cencic, im prächtig renovierte­n Markgräfli­chen Opernhaus.

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