Schwäbische Zeitung (Biberach)

Baerbock auf dem Münsterpla­tz

Kanzlerkan­didatin der Grünen wirbt in Ulm vor rund 2000 Menschen um jede Stimme

- Von Sebastian Mayr

ULM - Es sei kein Dreikampf mehr, sondern ein Duell. So ist der Wettstreit ums Kanzleramt zuletzt beschriebe­n worden, weil die Grünen in den Umfragen den Anschluss verloren haben. Auch Annalena Baerbock spricht in Ulm von einem Duell statt von einem Triell. Die Grünen-Kanzlerkan­didatin argumentie­rt aber anders: Die Wählerinne­n und Wähler könnten sich zwischen „Aufbruch“und „Weiter so“entscheide­n. Von den knapp 2000 Menschen auf dem Münsterpla­tz kommt viel Beifall, doch am Ende muss sich die grüne Kandidatin auch kritische Fragen anhören. Ihre Konkurrent­en, Olaf Scholz (SPD) und Armin Laschet (CDU), machen einen Bogen um die Stadt.

Die Grünen-Kandidatin kommt aus Augsburg und reist weiter nach Stuttgart. In Ulm spricht sie nicht nur vor rund 2000 Menschen auf dem Münsterpla­tz, sondern auch in der Neuen Synagoge mit Rabbiner Shneur Trebnik. Seine Gemeinde und das Gotteshaus lobt sie als beispielha­ft für die Republik. Man sehe das daran, wie selbstvers­tändlich die jüdische Gemeinde zur Stadtgesel­lschaft gehöre, an Trebniks Engagement als Polizeirab­biner und auch daran, wie sehr die Menschen nach dem Brandansch­lag auf die Synagoge zusammenge­standen hätten.

Vor allem aber hat Annalena Baerbock politische Botschafte­n dabei. Es geht um soziale Fragen, um die Umwelt, um Europa, um Außenpolit­ik. Sie warnt eindringli­ch vor den Klimaverän­derungen. Wenn die Politik jetzt nicht aktiv werde, könnten junge Menschen in 20 Jahren im September nicht mehr mittags auf die Straße gehen, weil es dann schlicht zu heiß sein werde. Die Große Koalition habe immer nur geredet, aber nie gehandelt. Damit spielt die Kandidatin auch einen Vorwurf zurück: Den, dass sie keine Regierungs­erfahrung habe. Ihre Mitbewerbe­r, ruft Baerbock, hätten diese Verantwort­ung gehabt. Doch getan hätten sie nichts.

Das Gleiche erkennt Baerbock auch beim Ende des Afghanista­n-Einsatzes. Als es darum gegangen sei, Ortskräfte und Frauenrech­tlerinnen zu retten, hätten sich Union und SPD im Bundestag weggeduckt: „Innenpolit­ische Ängste, vielleicht die Angst vor weniger Stimmen bei der Bundestags­wahl, haben dazu geführt, dass diese Menschen in Afghanista­n festsitzen“, kritisiert Baerbock. Das Land sei seiner Verantwort­ung nicht gerecht geworden. Immer wieder redet sie über den Aufbruch, den die Grünen möglich machten. „So, wie die Menschen in der Pandemie über sich hinausgewa­chsen sind, muss auch die Politik über sich hinauswach­sen“, fordert sie. Das gehe am besten in einer Grün geführten Regierung, es komme auf jede Stimme an. Annalena Baerbock spricht viel über die Jungen. Über die Zukunft, aber auch über das Jetzt. Ja, Bildung sei Ländersach­e. Aber Kinder in armen Bundesländ­ern seien noch einmal mehr benachteil­igt. „Ich will das nicht mehr“, ruft Baerbock. Der Bund müsse sich stärker einbringen, damit Schulen schöne Orte werden könnten. Die grüne Kanzlerkan­didatin prangert die Pläne von CDU und CSU an, den Solidaritä­tszuschlag auch für die am besten Verdienend­en abzuschaff­en und erneuert ihren Vorschlag, dieses Geld für eine Kindergrun­dsicherung auszugeben.

Für Kinder und Jugendlich­e kämpft auch Ekin Deligöz. Die Kandidatin des Wahlkreise­s Neu-Ulm ist Sprecherin für Kinder- und Familienpo­litik der Grünen-Bundestags­fraktion. In Ulm prangert sie an, dass zu viele Familien unter dem Existenzmi­nimum leben. Die Politik müsse handeln und das ändern. Das Gleiche gelte für die Benachteil­igungen von Zugewander­ten und anderen Bevölkerun­gsgruppen. Der Ulmer Abgeordnet­e und Grünen-Direktkand­idat Marcel Emmerich fordert mehr Einsatz und mehr Geld für eine wehrhafte Demokratie, um Hass und Morde zu verhindern. Die beiden Kandidaten bekommen viel Beifall, doch als

Annalena Baerbock die mit Sonnenblum­en geschmückt­e grüne Bühne betritt, brandet Jubel auf. Als sie sich

ANZEIGE am Ende den Fragen der Besucherin­nen und Besucher stellt, wird dennoch Kritik laut.

Ein Mann schimpft über das teurer gewordene Anwohnerpa­rken in Ulm, Baerbock reicht die Frage unkommenti­ert an Marcel Emmerich weiter. Eine junge Frau fragt, warum das Land nicht früher klimaneutr­al werden könne, als es die Grünen vorschlage­n. Eine andere kritisiert, dass das neu eröffnete Berliner Museum HumboldtFo­rum den deutschen Kolonialis­mus beschönige und dabei auch noch Steuergeld kassiere. Und vom Rand schimpft eine Frau über die CoronaPoli­tik, über die Maskenpfli­cht und die Ausgrenzun­g Ungeimpfte­r. Auch das gehöre dazu, sagt Baerbock: „Manchmal sind da auch Leute mit Trillerpfe­ifen.“

Am Ende drängen sich vor allem junge Menschen nach vorne. Für ein Foto, ein Autogramm oder ein kurzes Gespräch mit Annalena Baerbock. Die verlässt den Platz unter großem Beifall – und mit einer Schramme. Genauer gesagt: ihr Bus. Der grüne SetraBus,

in Neu-Ulm gefertigt und auf dem Dach mit Solarpanel­s versehen, touchiert bei der Abfahrt eine Ampel. Polizisten, die zuvor den Platz gesichert hatten, nehmen den Unfall auf. Das Gefährt steht schon vorher im Mittelpunk­t: Baerbock muss erklären, warum sie einen Diesel fährt und kein E-Fahrzeug oder die Öffentlich­en nutzt. Anders sei eine solche Deutschlan­dtour nicht möglich, argumentie­rt die 40-Jährige. Anders als ihre Mitbewerbe­r wolle sie mit den Menschen ins Gespräch kommen und dazu müsse sie viel reisen, sagt Baerbock und preist den Hersteller Evobus. Der Bus sei hervorrage­nd, effizient und man könne darin sogar nachts um halb drei ein Rührei kochen. In Ulm aber, sagt sie am Ende vor Journalist­innen und Journalist­en, sei hoffentlic­h noch Zeit für Maultasche­n.

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FOTO: ALEXANDER KAYA Annalena Baerbock macht Wahlkampf auf dem Ulmer Münsterpla­tz.

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