Schwäbische Zeitung (Biberach)
Neu aufgleisen
Bahnkunden können erst einmal aufatmen. Bis Ende 2023 wird es wohl keinen Streik mehr geben. Zwar droht nach der GDL nun auch die größere Bahngewerkschaft EVG mit einem Arbeitskampf. Doch deren Konflikt mit den Arbeitgebern wird sich lösen lassen. GDL-Chef Claus Weselsky kann mit seinen Leuten feiern. Er hat materiell mehr herausgeholt als die EVG, zum Beispiel eine Corona-Prämie. Und er darf seine Verhandlungen auf weitere Berufsgruppen in den Unternehmen des Bahnbetriebs ausweiten. Hier haben die Arbeitgeber der Streikmacht an einer wichtigen Stelle nachgegeben.
Vom großen Ziel, die GDL in allen Berufen der Eisenbahn zu verankern, ist die Lokführergewerkschaft allerdings weit entfernt. Im Netz, der Energiesparte oder den Bahnhöfen spielt die GDL auch weiterhin keine Rolle. Und der Abschluss der GDL gilt womöglich am Ende in der Praxis nur für wenige Tausend Beschäftigte. Denn das Tarifeinheitsgesetz (TEG) schlägt hier voll durch. In jedem Betrieb gilt nur der Tarifvertrag der Gewerkschaft mit den meisten Mitgliedern. Eine Mehrheit hat die GDL nur in wenigen Betrieben. So haben viele Lokführer vielleicht für einen Abschluss gestreikt, von dem sie am Ende gar nichts haben.
Selbst wenn im Bahnkonzern nun erst einmal Ruhe einkehrt, ist das zentrale Problem konkurrierender Gewerkschaften nicht aufgelöst worden. Die Rivalität und der Kampf um eine Mehrheit in den einzelnen Betrieben geht weiter. Eine Eskalation in der nächsten Tarifrunde 2023 ist damit praktisch vorprogrammiert. Daran ändert auch nichts, dass das TEG klar festlegt, wer wo das Sagen hat. Einen vernünftigen Ausweg aus dieser konfliktträchtigen Konstellation wird mit dem aktuellen Spitzenpersonal von EVG und GDL nicht zu machen sein. Dazu wurde in den vergangenen Jahren zu viel Porzellan zerdeppert und Vertrauen zerstört. Doch beide Chef-Gewerkschafter nähern sich der Altersgrenze. Das wäre die Chance für einen Neuanfang mit dem Ziel, wieder eine Tarifgemeinschaft in beiderseitigem Interesse zu gründen.