Schwäbische Zeitung (Biberach)
Die ersten Verträge sind unterschrieben
Wie bei Liebherr Schussenried die Stammbelegschaft reduziert wird
BAD SCHUSSENRIED - Ein Jahr ist es her, dass Liebherr mitteilte, dass in der Sparte Betontechnik am Standort Bad Schussenried 100 Stellen bei der Stammbelegschaft wegfallen sollen. Seitdem ist viel passiert. Einige Mitarbeiter haben inzwischen Auflösungsverträge, andere Verträge für eine Versetzung oder eine Frühverrentung unterschrieben. Der Betriebsratsvorsitzende Jürgen Müller und der zweite Bevollmächtigte der IG Metall Ulm, Michael Braun, fassen zusammen, wie der aktuelle Stand aus Arbeitnehmersicht ist.
Hintergrund für den Stellenabbau war eine strategische Neuausrichtung der Sparte Betontechnik mit ihren vier Produktbereichen Fahrmischer, Mischanlagen, Betonpumpen und Messtechnik. „Der wirtschaftliche Druck in diesem Sektor ist groß und die wirtschaftliche Performance war zuletzt nicht mehr ausreichend“, fasst Braun die Ausgangslage im Interview zusammen. Allen Beteiligten sei damals klar gewesen, ein „Weiter so“könne es am Standort Schussenried nicht geben. Daher wurden sowohl die Produkte als auch die Produktionsverfahren unter die Lupe genommen. Das Ergebnis: Es sind eine Vielzahl an Maßnahmen erforderlich, um bei Liebherr die Sparte Betontechnik zukunftsfähig zu machen. „Wir haben uns auf diesen konstruktiven Prozess eingelassen, weil wir gesehen haben, dass wir diesen Weg gehen müssen“, sagen Braun und Müller unisono.
Ein Ergebnis der gemeinsamen Überlegungen sei gewesen, einfache, aber kostenintensive Tätigkeiten auszulagern. Konkret findet der Trommel- und Rahmenbau seit wenigen Wochen nun im LiebherrWerk in Bulgarien statt. In Schussenried solle hingegen der Fokus darauf gelegt werden, die Produkte und die Produktionsverfahren zeitgemäß weiterzuentwickeln.
Bisher gab es am Standort Bad Schussenried knapp 40 Leiharbeiter. Diese werden nun nicht mehr beschäftigt. Ihre Stellen wiederum wurden mit Mitarbeitern besetzt, deren bisheriges Tätigkeitsfeld nun im Zuge der Umstrukturierung wegfällt. Die Leiharbeiter waren bei der Zahl 100 jedoch nicht mit einberechnet. „Wir konnten uns dennoch darauf einigen, dass es, wenn irgendwie möglich, keine betriebsbedingten Kündigungen geben wird“, so Braun. Diese kann es zudem vor Juni 2022 sowieso nicht geben, weil bis dahin noch ein Ergänzungstarifvertrag gilt. Um dieses Ziel zu erreichen, brauche es differenzierte Lösungsansätze. „Wir haben in den Verhandlungen erreicht, dass die Geschäftsführung uns zugesagt hat, dass unsere vier Produkte weiterhin exklusiv am Standort Schussenried gefertigt werden“, so Müller. Im Gegenzug werde die Fertigungstiefe reduziert. Und Teil des Deals sei es auch, pro Jahr künftig 15 Auszubildende einzustellen, um die dringend benötigten Fachkräfte von morgen bereits vor Ort zu haben.
Den Mitarbeitenden seien in den vergangenen Wochen und Monaten verschiedene Angebote gemacht worden. Manchen sei ein Aufhebungsvertrag inklusive einer Abfindung angeboten worden, anderen ein Vertrag für eine Frühverrentung oder die Altersteilzeit. Manche erhielten Angebote für einen Positionswechsel am Standort Bad Schussenried, andere für eine neue Position in einem anderen Liebherr-Werk. Die Angebote hätten Mitarbeitende in allen Bereichen erhalten, nicht nur im gewerblichen Bereich.
„Aus unserer Sicht ist uns ein erfolgreicher Interessenausgleich gelungen und es konnte die Zukunft des Standorts gesichert werden“, sagt Müller. Er selbst führe im Moment regelmäßig Beratungsgespräche mit den Betroffenen und solchen, die Interesse hätten, sich beruflich zu verändern. „Trotz allem tut es schon weh, wenn man Kollegen den Betrieb verlassen sieht“, fügte der Betriebsratsvorsitzende noch als persönliches Statement hinzu.
Eine spannende Herausforderung für die nächsten Monate und Jahre sei es nun, das Fachpersonal entsprechend der neuen Anforderungen weiterzubilden und die Produkte so weiterzuentwickeln, dass sie für die Kundschaft attraktiver werden. Die Digitalisierung spiele auch in der Betontechnik und auf den Baustellen eine immer größere Rolle. Die Anforderungen an die Hersteller und die Maschinen würden sich rasant ändern.
Die Geschäftsführung teilte mit, dass bei Liebherr die strategische Neuausrichtung des Produktsegments Betontechnik in vollem Gange sei. Erste Erfolge des Programms bestätigten den eingeschlagenen Kurs. So konzentriere sich die Liebherr-Mischtechnik GmbH in Bad Schussenried jetzt unter anderem auf die Entwicklung neuer Produktlinien mit hohem Innovationsgrad. Zuletzt habe das Unternehmen mehrere elektrische Fahrmischer auf den Markt gebracht und nehme damit weltweit eine Vorreiterrolle ein. Die jüngste Entwicklung sei der kompakte Fahrmischer ETM 705 mit komplett elektrischem Fahr- und Trommelantrieb. Auch in der Produktion in Bad Schussenried habe sich im vergangenen Jahr viel getan. So entstehe aktuell eine hochmoderne neue Montagelinie für Fahrmischer, auf der unter anderem die EFahrmischer effizient und taktgenau produziert würden.
Im Rahmen der im September 2020 angekündigten strategischen Neuausrichtung der Betontechnik entwickele Liebherr die Stärken seiner Betontechnik-Standorte systematisch weiter. Zielgerichtete Investitionen steigerten die Leistungsfähigkeit der Betontechnik-Standorte im Bereich ihrer Kernkompetenzen und sicherten künftiges Wachstum im internationalen Wettbewerb.
Die in Bad Schussenried für die strategische Neuausrichtung nötigen Anpassungen im Bereich Personal seien zu großen Teilen abgeschlossen. Viele der betroffenen Mitarbeitenden konnten innerbetrieblich durch Qualifizierung versetzt werden. Ebenfalls ein großer Anteil arbeite bereits bei anderen Liebherr-Werken in der Region. Betriebsbedingte Kündigungen wurden vermieden.