Schwäbische Zeitung (Biberach)

Verluderte Wahlkampfs­itten

- Untermstri­ch@schwaebisc­he.de

Der Wahlkampf mit all seinen Gladiatore­n (d/w/m) ist jetzt in die Zielgerade eingebogen. Wegen der Hitze der Gefechte weiß niemand mehr, welche Kandidatin von welchem Kandidaten – oder umgekehrt – abgeschrie­ben hat. Jedenfalls: So heftig und ungezügelt ist es in einem Wahlkampf selten zugegangen. Wir wollen deshalb mit Wehmut sowie sanft erhobenem Zeigefinge­r auf die freundlich-zivilisier­ten Gepflogenh­eiten vergangene­r Tage zurückblic­ken, als die Politiker (m) alle noch echte Gentlemen waren. Wir beginnen mit dem ersten badenwürtt­embergisch­en Ministerpr­äsidenten Reinhold Maier. Der gehörte dem Parteilein FDP an und beliebte Anfang der 1950er-Jahre in Richtung CDU anzumerken: „Man muss dem kohlrabens­chwarzen Gewürm auf Kopf, Bauch und Schwanz treten.“Es ist fraglich, ob Maiers grüner Amtsnachfo­lger Kretschman­n zu solcher Noblesse fähig wäre.

Ein vornehmer Zeitgenoss­e war auch der legendäre SPD-Zuchtmeist­er Herbert Wehner, sogar im normalen Bundestags­betrieb. Den CDUKollege­n Wohlrabe redete er freundlich mit Übelkrähe an.

Als ihn der CSU-Grande Franz Josef Strauß ermahnte: „Machen Sie nicht so weiter, sonst ziehen wir aus“, lautete Wehners höfliche Replik: „Wie sehen Sie denn aus, wenn Sie sich ausgezogen haben?“

Strauß selber bevorzugte ebenfalls die höflichen Töne: „Was wir in diesem Land brauchen, sind mutige Bürger, die die roten Ratten dorthin jagen, wo sie hingehören – in ihre Löcher.“

Tempi passati! Heute sind die Sitten verludert. (vp)

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FOTO: ARCHIV Blieb immer höflich: der CSU-Grande Franz Josef Strauß.

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