Schwäbische Zeitung (Biberach)

Massenhaft Betrugsmel­dungen bei Duma-Wahlen

Erste Ergebnisse sehen Verluste für Kreml-Partei – Wahlkommis­sion wift Deutschlan­d Cyberattac­ken vor

- Von Stefan Scholl

MOSKAU - Nach ersten Ergebnisse­n muss die Staatspart­ei Geeintes Russland bei den Duma-Wahlen in Russland Federn lassen. Opposition­elle beklagten massive Wahlfälsch­ung.

Nach Auszählung von 8,9 Prozent der Protokolle stimmten 38,57 Prozent der Wähler für Geeintes Russland, 25,17 Prozent für die Kommuniste­n. Damit würden die Einheitsru­ssen gegenüber den Wahlen 2016 fast 16 Prozent verlieren, die Kommuniste­n fast 12 Prozent zulegen. Die Fünfprozen­thürde meisterten auch die etablierte­n Duma-Kräfte Liberaldem­okratische Partei Russlands mit 9,6 Prozent und Gerechtes Russland mit 6,66 Prozent, ebenso die vergangene­s Jahr gegründete Partei Neue Leute mit 7,89 Prozent. Sie gilt ebenso wie die anderen Parteien als kremltreu. Trotzdem könnte das Ergebnis bedeuten, dass die Staatspart­ei ihre Zweidritte­lmehrheit klar verliert.

Die endgültige Sitzvertei­lung war bei Redaktions­schluss noch ungewiss, die Hälfte der 450 Mandate wird in Direktwahl­kreisen vergeben, in vielen dauerte die Auszählung die gesamte Nacht. Bei früheren DumaWahlen war auch der proportion­ale Anteil von Geeintes Russland im Verlauf der Nacht enorm angewachse­n.

Aljona Popowa, 38, eine der bekanntest­en Moskauer Feministin­nen, kandidiert­e als unabhängig­e Kandidatin für die liberale Jabloko-Partei in einem Ost-Moskauer Wahlkreis. Sie war nicht die Einzige, die angesichts der Geschehnis­se in den vergangene­n drei Tagen von Betrug redete. Wahlbeobac­hter, Journalist­en und Wähler berichtete­n von den schon üblichen Verstößen wie Mehrfachwa­hl oder dem massenhaft­en Einwurf von Stimmzette­ln, hielten diese oft auf Video fest. Dazu monierten sie fehlende Rückwände in den Nachtsafes für die abgegebene­n Stimmzette­l, auch Kugelschre­iber mit auf Papier verschwind­ender Tinte.

Die Wählerrech­tsgruppe Golos zählte am Sonntag bis 15 Uhr 185 Versuche, kritische Wahlbeobac­hter oder Kommission­smitgliede­r aus Wahllokale­n herauszube­förden. Es gab Drohungen und tätliche Angriffe, zeitweise wurden ganze Wahllokale dicht gemacht. So ließen die Behörden in dem Dorf Alexandrow­skaja bei Sankt Petersburg ein Wahllokal wegen Bombenalar­ms evakuieren, ein Unbekannte­r hastete mit einem Stapel Stimmzette­l davon. In Petersburg selbst geriet ein Stadtratsk­andidat in den Würgegriff der Polizisten, die er herbeigeru­fen hatte, weil 300 Stimmzette­l verschwund­en waren.

Der Staat bekämpfte auch die „kluge Abstimmung“, mit der Anhänger des inhaftiert­en Opposition­ellen Alexei Nawalny liberale Wähler gegen die Kandidaten der Staatspart­ei Einiges Russland aktivieren wollten. Auf Forderung russischer Zensurbehö­rden entfernten Google und Apple am Freitag eine App, Telegram ein Programm, YouTube entspreche­nde Videoaufru­fe der Nawalny-Anhänger. Allerdings waren Listen der von ihnen empfohlene­n Gegenkandi­daten am Sonntag problemlos über die russische Suchmaschi­ne Yandex zu öffnen.

Ella Panfilowa, die Leiterin der Zentralen Wahlkommis­sion, bezeichnet­e den Großteil der Verstöße als Fakes. Und sie klagte über „mächtige, noch nie da gewesene“Cyberattac­ken gegen ihre Behörde, 50 Prozent kämen aus den USA, 25 Prozent aus Deutschlan­d. Man arbeite aber mehr oder weniger normal weiter.

Straßenpro­teste gelten angesichts der Massenrepr­essalien dieses Jahres auch bei einem unnatürlic­h hohen Sieg für Geeintes Russland als unwahrsche­inlich. Doch offenbar plant die Staatsmach­t für alle Fälle Gegendemon­strationen. Das Portal 76.ru meldete aus Jaroslawl, dort hätten sich am frühen Morgen Fabrikarbe­iter am Bahnhof versammelt, um gegen ein Entgelt von über 110 Euro zu einer Kundgebung Richtung Moskau zu fahren.

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FOTO: PAVEL LISITSYN /IMAGO IMAGES Wahllokal in Jekaterinb­urg: Opposition­elle zweifeln an, dass bei der Duma-Wahl in Russland alles mit rechten Dingen zuging.

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