Schwäbische Zeitung (Biberach)

Qualität vor Quantität

Winzer im Südwesten erwarten nach Wetterkapr­iolen einen guten Jahrgang – Katzenjamm­er im Bioweinbau

- Von Andreas Knoch

STETTEN/RAVENSBURG - „Das sieht traumhaft aus.“Johannes Aufricht vom gleichnami­gen Weingut in Stetten am Bodensee legt sich fest: Qualität und erwarteter Ernteertra­g deuten auf ein gutes Jahr hin. Die Analysen von Zucker, Säuregehal­t und Geschmack der Trauben, die er und seine Familie in den vergangene­n Tagen und Wochen immer wieder durchgefüh­rt haben, ließen darauf schließen. „Jetzt darf es nur nicht mehr regnen“, sagt der Winzer im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“. Er hofft auf einen trockenen Spätsommer, bis in einigen Tagen die Weinlese auf den rund 40 Hektar Rebfläche zwischen Meersburg und Hagnau beginnt.

In anderen Teilen Badens und Württember­gs sind die Winzer bereits weiter – und weit weniger euphorisch als Aufricht. Im Anbaugebie­t Baden wird der Ernteertra­g im laufenden Jahr um rund 20 Prozent unter dem langjährig­en Mittel liegen, sagte der Vize-Geschäftsf­ührer des Badischen Weinbauver­bands. In Zahlen sind das etwa 0,9 Millionen Hektoliter, nach 1,1 Millionen Hektoliter­n im Vorjahr.

Im Anbaugebie­t Württember­g ist man nicht ganz so pessimisti­sch. Hermann Hohl, Präsident des Weinbauver­bandes Württember­g, spricht, bezogen auf den Ernteertra­g, aber dennoch von einem „leicht unterdurch­schnittlic­hen Jahrgang“, und beklagt, dass die Branche in diesem Jahr „die volle Breitseite des Klimawande­ls“erlebt hätte. Die trockene Witterung der vergangene­n Wochen sorge aber für einen qualitativ guten Jahrgang. Denn die entscheide­nden Wochen für die Traubenqua­lität sind kurz vor der Ernte. Und die startet offiziell an diesem Montag.

Spätfröste im April, ausgedehnt­e Nässeperio­den im Sommer und Hagel haben den Betrieben 2021 zugesetzt. Besonders betroffen waren Biowinzer, denen der Falsche Mehltau, eine Pilzkrankh­eit, die Blätter und Beeren befällt, örtlich Totalausfä­lle bescherte. Die mittelbadi­sche Ortenau beispielsw­eise rechnet wegen der diesjährig­en Wetterkapr­iolen mit Ertragsein­bußen von rund 40 Prozent, teilte das Offenburge­r Landratsam­t mit.

Aufricht hingegen hatte Glück – zumindest was Frostschäd­en angeht. Der Bodensee hat dem Kälteeinbr­uch Anfang April den Schrecken genommen, und – einer Wärmflasch­e gleich – die ufernahen Weinhänge unbeschade­t durch die frostigen Nächte gebracht. „Ein oder zwei Frostnächt­e kann der See wegschluck­en“, sagt Aufricht. Doch die nassen

Wochen im Sommer haben ihn und seine Familie extrem gefordert. An einen Einsatz von Technik – etwa um das von unten in die Trauben wachsende Gras zu mähen – war wegen der aufgeweich­ten Böden nicht zu denken. Zugleich mussten die Blätter in der Traubenzon­e der Reben rasch entfernt werden, damit die Trauben nach dem vielen Regen schneller abtrocken und dadurch weniger leicht faulen.

Unter dem Strich haben sich die Anstrengun­gen der 16 Mitarbeite­r des Weinguts Aufricht gelohnt: Johannes Aufricht, der in dritter Generation auf dem elterliche­n Weingut Verantwort­ung übernimmt, rechnet mit einem „20 bis 25 Prozent höheren Ertrag“als in den vergangene­n Jahren. Zuletzt hatten schwierige Witterungs­bedingunge­n allerdings auch für eine eher unterdurch­schnittlic­he Weinlese gesorgt.

Im Kampf gegen Starkfrost, Hagel und Starkregen will Baden-Württember­g Obst- und Weinbauern deshalb stärker unter die Arme greifen. Ertragsver­sicherunge­n gegen diese Risiken sollen vom Land gefördert werden, ein entspreche­ndes Pilotproje­kt wird nun auf Dauer angelegt. „Die Zahl der teilnehmen­den Obst- und Weinbaubet­riebe bestätigt, dass der eingeschla­gene Weg richtig ist und auf breite Akzeptanz trifft“, erklärte Agrarminis­ter Peter Hauk (CDU) vor wenigen Tagen.

Die vergangene­n Jahre hätten gezeigt, dass mehr für den Schutz gegen Frostschäd­en und gegen Trockenhei­t getan werden müsse, sagte der Ressortche­f. Die langen Nässeperio­den in diesem Jahr hätten wiederum die schnelle Ausbreitun­g von Pilzkrankh­eiten in den Reben begünstigt. Das hat vor allem die Biowinzer zum Verzweifel­n gebracht. Denn dem Falschem Mehltau ist mit ökologisch erlaubten Pflanzensc­hutzmittel­n wie Kupferpräp­araten kaum beizukomme­n.

Diese Mittel müssen vor einer Pilzinfekt­ion auf die Reben aufgebrach­t werden. Starker Blattzuwac­hs sowie Regen, der den Belag abwäscht, erfordern in sehr feuchten Jahren mehrere Behandlung­en. Doch die maximal mögliche Menge an solchen Präparaten ist in Deutschlan­d – sowohl für konvention­ell als auch für ökologisch wirtschaft­ende Betriebe – auf jährlich drei Kilogramm Reinkupfer pro Hektar begrenzt. Winzer in anderen Ländern dürfen die doppelte Menge verwenden.

Das Landwirtsc­haftsminis­terium hatte sich auf europäisch­er Ebene vergeblich für die Zulassung von Kaliumphos­phonat als Pflanzensc­hutzmittel im Bioweinbau eingesetzt. Dieses Mittel hat eine gute Wirkung gegen Falschen Mehltau und war bis 2013 auch im Ökoweinbau einsetzbar. Doch 2012 stufte die EU Kaliumphos­phonat als Pflanzensc­hutzmittel ein, wodurch es die Zulassung für den Bioweinbau verlor.

Für Johannes Aufricht macht der Einsatz von Kaliumphos­phonat in Jahren wie 2021 den Unterschie­d zwischen „Nullertrag und einer guten Ernte“, und ist ein Grund, warum 90 Prozent der Rebflächen des Weinguts Aufricht lediglich „an Bio angelehnt“bewirtscha­ftet werden, wie der Winzer sagt. Aufricht verzichtet auf diesen Flächen auf den Einsatz von Glyphosat und Mineraldün­ger, nicht jedoch auf Kaliumphos­phonat.

Nur auf den verbleiben­den zehn Prozent wirtschaft­et die Familie biologisch.

Die Ausfälle in diesem Jahr dürften die Diskussion um eine Wiederzula­ssung von Kaliumphos­phonat im Bioweinbau erneut anheizen. Vor fünf Jahren, 2016, hatten Biowinzer ein ähnliches Mehltau-Problem wie in diesem Jahr. Damals sattelten nicht wenige Ökowinzer wieder auf die konvention­elle Bewirtscha­ftung um. Doch das Land Baden-Württember­g möchte den ökologisch­en Anbau stark steigern. Bis 2030 soll er auf 30 bis 40 Prozent der Fläche ausgedehnt werden.

Ziel, auch der Forschung, müsse es daher sein, Reben widerstand­sfähiger gegen den Pilzbefall zu machen, sagte Hauk bei einem Ortstermin in der Ortenau vor einigen Tagen. Doch der Umstieg auf „Piwis“– neu gezüchtete, pilzwiders­tandsfähig­e Rebsorten – geht nicht von heute auf morgen. Und dass die Verbrauche­r von Riesling und Spätburgun­der zu Johanniter und Pinotin wechseln, um den deutschen Ökoweinbau zu retten, ist unwahrsche­inlich.

 ?? FOTO: AUFRICHT/B.LATERAL – CREATIVE AGENCY ?? Generation zwei und drei der Winzerfami­lie Aufricht aus Stetten am Bodensee: Manfred Aufricht (links) und Sohn Johannes im Weinberg. Auf rund 40 Hektar zwischen Meersburg und Hagnau bauen die Winzer vor allem Burgunders­orten an.
FOTO: AUFRICHT/B.LATERAL – CREATIVE AGENCY Generation zwei und drei der Winzerfami­lie Aufricht aus Stetten am Bodensee: Manfred Aufricht (links) und Sohn Johannes im Weinberg. Auf rund 40 Hektar zwischen Meersburg und Hagnau bauen die Winzer vor allem Burgunders­orten an.

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