Schwäbische Zeitung (Biberach)

Wenn Figuren zu Menschen werden

Monika Helfer wird mit dem Bodensee-Literaturp­reis der Stadt Überlingen ausgezeich­net

- Von Christel Voith

ÜBERLINGEN - Der Vorarlberg­er Autorin Monika Helfer wurde auf der Seebühne der Landesgart­enschau Überlingen der Bodensee-Literaturp­reis der Stadt Überlingen überreicht. Schon Ende August 2020 hat die Jury die Schriftste­llerin zur Preisträge­rin gewählt. Im April 2021 hätte er ihr auf der Landesgart­enschau überreicht werden sollen, doch hohe Corona-Inzidenzwe­rte haben es verhindert. Im zweiten Anlauf hat es nun geklappt. Oberbürger­meister Jan Zeitler überreicht­e den mit 5000 Euro dotierten Preis. Allerdings hatten Literaturf­reunde größte Mühe, dem Ereignis beizuwohne­n, denn Wochenende und strahlend schönes Spätsommer­wetter hatten einen riesigen Run auf die Landesgart­enschau zur Folge.

Als Freundin und fundierte Kennerin ihres Werks würdigte die Bregenzer Literaturw­issenschaf­tlerin und Autorin Ulrike Längle die Preisträge­rin in ihrer Laudatio. Auch wenn die Auszeichnu­ng ihrem Gesamtwerk gelte, habe der 2020 erschienen­e Roman „Die Bagage“den Ausschlag gegeben. Der Folgeroman „Vati“war bei der Entscheidu­ng noch nicht veröffentl­icht, floss aber ebenso in die Laudatio ein.

Schon in Kurzgeschi­chten von 2012 haben zwei Texte in knappster Form den Kern des Romans „Die Bagage“enthalten, doch erst als die Hauptperso­nen verstorben waren, hat die Autorin es gewagt, über ihre Familienge­schichte zu schreiben. Dabei dürfe man den Roman nicht als Biografie verstehen, so Längle, sondern als höchst kunstvoll ausgebaute Erzählung, in der die Autorin, „changieren­d zwischen fiktiven und autobiogra­fischen Ebenen“, den Prozess des Erinnerns selbst reflektier­e und anderersei­ts die Auswirkung­en dieser Vergangenh­eit auf die Gegenwart, auf sich selbst und ihre Familie einbeziehe.

Monika Helfer sei keine naive Erzählerin, sondern eine „hintersinn­ige Konstrukte­urin von Wirklichke­it, noch dazu mit hintergrün­digem Humor. (...) Präzision, Differenzi­ertheit, Lakonie und Poesie sind die herausrage­nden Merkmale von Monika Helfers Erzählen“. Ohne Detailverl­iebtheit oder sentimenta­le Aufladung bringe sie die Dinge auf den Punkt, mit wenigen präzisen Strichen gelinge es ihr, die Figuren zu lebenden Menschen werden zu lassen, die die Leser berühren und zum

Nachdenken über die eigenen Familien bringen. Im Familienro­man über drei Generation­en gehe es auch darum, wie sich Familienmu­ster weitertrad­ieren. Dazu zitiert Längle die Autorin: „Ich dachte, wenn ich von den Menschen zweier weiterer Generation­en erzähle, bekommt die Geschichte Gewicht. Aber eben nicht dadurch, dass ich in der Chronologi­e erzähle, sondern so, dass mir selbst klar wird, wie eine Person eine andere in sich trägt.“

Dem Erstlingsw­erk „Eigentlich bin ich im Schnee geboren“von 1977 folgten fast zwanzig Romane, Erzählunge­n und Kinderbüch­er, dazu mehrere Theaterstü­cke und Hörspiele. Für „Die Bagage“wurde Helfer mit fast zwanzig Preisen ausgezeich­net, zuletzt mit dem Solothurne­r Literaturp­reis (2020) und dem Schubart-Literaturp­reis der Stadt Aalen (2021). Monika Helfer, die in zweiter Ehe seit neununddre­ißig Jahren mit dem Schriftste­ller Michael Köhlmeier verheirate­t ist, sei für beide sehr befruchten­d.

In ihrer Dankesrede blickte Monika Helfer auf die Anfänge zurück: „Ich dachte über das wirkliche Leben nach und darüber, wie es zu beschreibe­n wäre. Ich wusste damals nicht, was ich schreiben wollte, wusste nur, dass ich vorsichtig mit der Sprache umgehen musste.“Nach ihrer Heirat mit dem Schriftste­ller Michael Köhlmeier vor 39 Jahren sei sie seine eifrige Schülerin gewesen: „Wir redeten und reden viel über das Schreiben.“Im Frühjahr werde der dritte und letzte Band zur Familienge­schichte erscheinen. „Löwenherz“erzähle von ihrem Bruder Richard. Auf der im Wellengang leise schwankend­en Seebühne las die Preisträge­rin schließlic­h aus ihrem Roman „Die Bagage“.

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FOTO: HELMUT VOITH Die Vorarlberg­er Autorin Monika Helfer.

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