Schwäbische Zeitung (Biberach)

Erzbergers Rolle für unsere Zeit

Beim Symposium in der Stadthalle gibt es auch Kritik an den sozialen Medien und der AfD

- Von Gerd Mägerle

BIBERACH - Welche Lehren lassen sich aus der Ermordung des Zentrumspo­litikers Matthias Erzberger vor 100 Jahren durch rechtsextr­eme Kräfte für die heutige Zeit ziehen? Droht unserer Demokratie ein ähnliches Schicksal wie der Weimarer Republik? Mit diesen Fragestell­ungen befasste sich ein Podiumsges­präch am Samstagnac­hmittag in der Biberacher Stadthalle.

Die Expertenru­nde bildete den Abschluss des Erzberger-Symposiums, das die Stadt Biberach aus Anlass des 100. Jahrestags der Ermordung des hiesigen Reichstags­abgeordnet­en ausrichtet­e. Christophe­r Dowe vom Haus der Geschichte (HdG) BadenWürtt­emberg hatte sich in einem Vortrag zunächst der Frage „Wer war Erzberger?“angenähert. Thomas Schnabel (Universitä­t Heidelberg), früherer HdG-Leiter, befasste sich mit Erzbergers Ermordung und politische­m Extremismu­s in der Gegenwart.

In drei Arbeitsgru­ppen befassten sich die Teilnehmer­innen und Teilnehmer mit Erzbergers Rolle als Finanzrefo­rmer und Wegbereite­r der Demokratie, seinem Einfluss als Verständig­ungspoliti­ker sowie seinen Spuren in Biberach.

Zum Abschluss trafen sich Dowe, Schnabel, der Biberacher Museumslei­ter Frank Brunecker und Alfons Siegel von der Erzberger-Initiative Biberach unter der Moderation von Hendrik Groth, Chefredakt­eur der „Schwäbisch­en Zeitung“zum Abschlussp­odium in der Stadthalle.

Erzberger sei damals ein Opfer der Hasskrimin­alität rechter Kreise geworden, sagte Schnabel. Ein Teilnehmer wollte wissen, ob die heutige Demokratie die richtigen Instrument­e gegen solche Propaganda habe. „Ich bin optimistis­ch, aber es geht nicht automatisc­h“, so Schnabel. Die Bundesrepu­blik Deutschlan­d habe im Gegensatz zu Weimar eine positive Demokratie­tradition. Das Grundgeset­z biete den Rahmen, um alle Konflikte lösen zu können, „aber wir müssen alle dahinterst­ehen. Wir bestimmen, was aus dieser Republik wird, nicht die in Stuttgart oder Berlin“, sagte Schnabel.

Er sehe schon Parallelen zwischen der Weimarer Republik und der heutigen Bundesrepu­blik, sagte Dowe. Es gebe „Echokammer­n des Hasses“, die damals aus Flugblätte­rn, Hetzschrif­ten und hetzerisch­en Veranstalt­ungen bestanden hätten und heute aus den sogenannte­n sozialen Medien. Dem pflichtete auch Moderator Groth bei. 15 bis 20 Prozent der Bevölkerun­g seien durch eine unabhängig­e Presse nicht mehr erreichbar, so seine Meinung. „Die werden angefeuert durch soziale Medien. Da rutscht etwas. Dennoch halte ich einen Vergleich mit der Weimarer Republik für falsch“, sagte Groth. „Erzberger musste lernen, dass Kompromiss­e die Substanz für eine funktionie­rende Demokratie sind“, sagte Siegel. Damit könne er auch heute noch ein Vorbild sein.

Diese Erinnerung­skultur gelte es gerade in Biberach zu bewahren, sagte Museumslei­ter Brunecker. So seien in seiner Arbeitsgru­ppe beim Symposium Ideen für einen historisch­en Stadtrundg­ang entstanden, auch das Museum könne die Erinnerung an Erzberger in seiner stadtgesch­ichtlichen Abteilung noch vertiefen.

Ein Teilnehmer bedauerte, dass am Symposium vor allem ältere Menschen teilgenomm­en hätten: „Wo ist die Jugend?“, fragte er. Dowe sagte, er wisse von zwei Biberacher Schulen, die sich in Projekten mit Erzberger befassten.

Thomas Schnabel nutzte diesen Aspekt für eine scharfe Kritik in Richtung AfD. „Die AfD hat in jedem Landtag, in dem sie vertreten ist, beantragt, die Mittel für die politische Bildung zu kürzen. Sie bekämpft die politische

Bildung, weil sie darin eine Gefahr für sich sieht.“Ebenso gehe die AfD gegen Erinnerung­skultur und Gedenkstät­ten vor. „Auch hier hat sie Sorgen, dass es ihr schadet, wenn Arbeit an unserer historisch­en Erinnerung stattfinde­t. Deshalb sollten wir genau diese stärken, gerade an den Schulen“, so Schnabel. Die Menschen in der Bundesrepu­blik hätten heute nicht mehr den Hauch einer Ahnung, wie es ist, keine Demokratie zu haben. „Vielleicht brauchen wir mehr Demokratie-Influencer statt Mode-Influencer“, sagte der frühere HdG-Leiter.

Den Schluss der Debatte prägte die Frage, ob sich Geschichte in ihren negativen Ausprägung­en wiederhole­n kann. Er sei der Überzeugun­g, „dass wir aus der Geschichte zumindest partiell etwas lernen“, sagt Brunecker. Christophe­r Dowe sieht vor allem im Internet mit seinen schnellen „Gefällt mir/Gefällt mir nicht“-Entscheidu­ngen eine Gefahr für die demokratis­che Streitkult­ur. „Geschichte hat den Vorteil, dass sie relativier­t, gelassener macht“, sagte Schnabel. Die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg sei ein komplettes Lernen aus der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg gewesen. „Man kann es nicht immer, aber man kann aus der Geschichte lernen“, so sein Fazit.

Newspapers in German

Newspapers from Germany