Schwäbische Zeitung (Biberach)
Die schwarze Serie geht weiter
VfB Stuttgart kann 60 Minuten Überzahl gegen Leverkusen nicht ausnutzen und verliert
STUTTGART (SID) - Ein Stunde in Überzahl, trotzdem nicht gewonnen: Der VfB Stuttgart hat seine schwarze Serie gegen Bayer Leverkusen nicht stoppen können. Die Schwaben unterlagen der Werkself in einem hitzigen Spiel mit 1:3 (1:2) und sind damit seit zehn Spielen zu Hause sieglos gegen die Rheinländer. Nach Treffern von Robert Andrich (2.) und Patrik Schick (19.) brachte Orel Mangala (37.) den VfB heran, ehe Florian Wirtz (70.) den Endstand herstellte.
Dabei hatte Stuttgart vor 23 450 Zuschauern nach einem schwachem Beginn beste Chancen zum Sieg gegen seinen Angstgegner, weil Andrich den bis dahin deutlich überlegenen Leverkusenern einen Bärendienst erwies: Der Neuzugang von Union Berlin sah nach Videobeweis Rot für ein brutales Foul an Tanguy Coulibaly (32.).
„Wir sind nicht ins Spiel reingekommen, bis zur Roten Karte war Leverkusen die bessere Mannschaft, wir haben wenig kreieren können. Nach der Roten Karte war es ein Stück weit ein anderes Spiel. In der zweiten Halbzeit haben wir uns allerdings schwer getan, Chancen zu kreieren“, sagte VfB-Trainer Pellegrino Matarazzo: „Leverkusen war sehr clever mit seinem Verhalten, den Rhythmus zu brechen und das Spiel zu beruhigen. Unter dem Strich bin ich sicher nicht zufrieden mit der Leistung, wir wollen mehr, wir können mehr, wir brauchen mehr Zielstrebigkeit.“
Die Mannschaft von Matarazzo ist damit seit dem 5:1 am ersten Spieltag gegen Aufsteiger SpVgg Greuther Fürth sieglos. Bayer hält sich dagegen weiter in der Spitzengruppe der Bundesliga. „Wir haben die drei Punkte mit einer hässlichen Leistung geschafft“, sagte Bayer-Torhüter Lukas Hradecky: „Es tut mir fast schon leid, wie wir in der zweiten Hälfte gespielt haben, aber so muss man mit einem Mann weniger spielen.“Leverkusens Innenverteidiger Jonathan Tah fand es „eigentlich ganz schön“, wie er scherzhaft sagte: „Es war kein schönes Spiel und keines, wie wir es uns vorstellen.“
Sportlich hatte Bayer zuvor direkt losgelegt. Robert Andrich hatte erst Wataru Endo im Mittelfeld den Ball
Es ist ein Phänomen unserer Zeit, dass alles direkt zum Phänomen gemacht wird. Auch im Sport – und vor allem im Fußball – gibt es kaum noch Normalität, sondern scheinen ausschließlich Superlative zu existieren. Vor allem in den Boulevard- und von Klickdruck getriebenen Onlinemedien wimmelt es täglich nur so von „Super“, „Mega“, „Wahnsinn“und „Rekord“. Doch genauso schnell sind die Aufmerksamkeitshascher mit „Schock“, „Eklat“und „Tragödie“zur Stelle. Die Nachricht allein ist schon lang nicht mehr ausreichend, und da haben wir noch nicht einmal über das Gebaren in den (un)sozialen Netzwerken gesprochen. Doch kommen wir zurück zum Sport und dem aktuellen Liebling aller Plattformen.
Dieser trägt den Namen: Steffen Baumgart. Dieser „Typ“, „Held“und schon jetzt „Kulttrainer“brüllt und gestikuliert seit dieser Saison am Spielfeldrand des 1. FC Köln. Das hat er zwar davor auch schon beim SC Paderborn, dem Berliner AK und beim 1. FC Magdeburg gemacht, doch da der schlafende Fußballriese aus Köln jüngst vom 49-Jährigen wiedererweckt wurde, überschlagen sich die Branche und das Umfeld. „Baumgarts Kölner“schreibt etwa die „Bild“, bei Sport1 heißt es „Phänomen Baumgart“, Stefan Effenberg sprach vom „Mini-Klopp“und die „11Freunde“fragen gar: „Warum können nicht alle wie Steffen Baumgart sein?“Damit wir uns hier richtig verstehen, der Verfasser dieser Zeilen bejubelte den jungen Baumgart schon, als er von 25 Jahren mit aufgestelltem Éric-Cantona-Gedächtnis-Kragen die Offensive des FC Hansa Rostock bereichert hatte. Der Trainer ist zudem weitaus mehr als abgenommen, dann köpfte er selbst die Flanke von Bakker unhaltbar ins Tor. Gespielt waren da gerade mal 90 nur ein Schreihals, Motivationsmonster und Wüterich am Spielfeldrand. Er ist ein taktisch überaus beschlagener Übungsleiter, der dem FC eine Spielphilosophie zurückbrachte. Doch die Frage bleibt, muss man es immer verbal übertreiben? Ähnlich
Sekunden. Der VfB war erkennbar beeindruckt und geriet in der Folge weiter unter Druck. Bayer war bissig, ist es bei seinen Kollegen, die ebenfalls um keinen markigen Spruch verlegen sind. Julian Nagelsmann und Christian Streich sind unbestritten riesige Bereicherungen für die Liga und Typen, wie man sie sich wünscht, doch fehlt auch hier spielte mit mehr Tempo und Zug zum Tor – und legte nach: Nach einem Ballgewinn des starken Wirtz musste Schick nur den Fuß hinhalten. Nach einer halben Stunde aber kippte das Spiel: Andrich trat Coulibaly brutal gegen das linke Knie, nach Inaugenscheinnahme der Szene nahm Schiedsrichter Benjamin Cortus Gelb zurück und zeigte Rot.
Stuttgart war sofort hellwach: Mangala staubte ab, nachdem Lukas Hradecky einen Kopfball von Konstantinos Mavropanos grandios pariert hatte. Anschließend versuchte die Werkself mit Erfolg, dem Sturm und Drang des VfB mit Ruhe und Kontern zu begegnen. Tatsächlich wirkte das Spiel der Stuttgarter unstrukturiert, für Bayer ergaben sich regelmäßig gute Gelegenheiten. Eine davon nutzte Wirtz, der sich den Ball im Mittelfeld erkämpfte, ein Solo eiskalt abschloss und den Stuttgartern einen weiteren Dämpfer verpasste. Am Wasen dürften die Tage damit nicht unbedingt ruhiger werden. oft Maß und Mitte. Zudem sind alle – sollte es sportlich einmal ziemlich schlecht laufen – dann auch schnell gefallene Götter und ihren Job los (na gut, Streich wahrscheinlich weniger). Dennoch steht irgendwann die nächste Krise vor der Tür. Noch ausgeprägter ist es bei den Spielern, und da müssen wir gar nicht zu den Supergöttern Lionel Messi und Cristiano Ronaldo und ihren absoluten Glanzzeiten schauen. Es reicht ein Blick nach Dortmund, wo seit über einem Jahr Tor-Heiland Erling Haaland in allen Variationen. Der „100Mio-Torweger“(„Bild“) hat eine enorme Trefferquote und dominiert nicht ganz zu Unrecht viele Schlagzeilen. Doch kann solch ein Hype vor allem bei so jungen Halbgöttern die persönliche Entwicklung gefährden. Während bei Baumgart, Streich, Nagelsmann oder auch Jürgen Klopp das Risiko des geistig in höhere Gefilde Abhebens nicht mehr gegeben sein dürfte, gibt es derzeit mindestens eine Stimme, die Haaland die Bodenhaftung abspricht. So berichtet Gibraltars Nationalspieler Reece Styche nun von einem missglückten Trikottauschversuch. „Mein kleiner Junge ist ein riesiger Fan von dir, würdest du dein Trikot mit mir tauschen?'“, fragte Styche, woraufhin Haaland ihn angeblich lediglich angeschaut und gelacht habe, bevor er wegging. Styche mutmaßt, dass dem 21-jährigen Haaland der mediale Hype um seine Person „zu Kopf gestiegen“sei: „Er kann sich viele Sachen kaufen, aber Klasse zählt nicht dazu“, formulierte Styche. Ein Grund mehr für alle Menschen, auf ihre Wortwahl zu achten – überall. Denn über Baumgart, Streich und Nagelsmann kann man sich als Fan auch dann freuen, wenn sie nicht überall das Attribut „Kult“tragen.