Schwäbische Zeitung (Biberach)

Teures Gas

Preise für den fossilen Brennstoff könnten im Herbst weiter steigen – Verbrauche­rn droht ein teurer Winter

- Von Claus Haffert

ESSEN (dpa) - Die Großhandel­spreise für Erdgas sind seit Monaten auf einem Höhenflug. Vielerorts bekommen die Verbrauche­r das bereits zu spüren. Nach Angaben der Vergleichs­portale Verivox und Check24 haben zahlreiche regionale Gasanbiete­r Preiserhöh­ungen für den Herbst angekündig­t. Verivox hat ein Plus von durchschni­ttlich 12,6 Prozent ermittelt, nach Check24-Berechnung­en sind es 11,5 Prozent. Für einen Durchschni­ttshaushal­t führe das zu Mehrkosten von 188 Euro beziehungs­weise 172 Euro im Jahr.

Erdgas ist momentan der Haupttreib­er der stark steigenden Energiepre­ise, die im August durchschni­ttlich fast ein Viertel höher waren als ein Jahr zuvor. Der Preis für Erdgas legte um gut 44 Prozent zu, wie das Statistisc­he Bundesamt in seiner Erhebung zu den Erzeugerpr­eisen am Montag berichtete. An den Spotmärkte­n, wo Gas kurzfristi­g gehandelt wird, haben sich die Preise für Erdgas seit Jahresbegi­nn mehr als verdoppelt.

Experten sehen einen ganzen Strauß von Gründen für den heftigen Preisansti­eg. Nach dem Wiederanla­ufen der Wirtschaft habe sich die weltweite Nachfrage wieder normalisie­rt, erläutert Fabian Huneke vom Beratungsu­nternehmen Energy Brainpool. Das gelte vor allem für Asien. Der dortige Bedarf an Flüssigerd­gas (LNG) beeinfluss­e auf den eng verflochte­nen Erdgasmärk­ten auch das Preisnivea­u in Europa. Besonders extrem ist die Lage in Großbritan­nien, wo die Gaspreise seit Jahresbegi­nn um 250 Prozent gestiegen sind. Die Energiekri­se könne noch mehrere Monate dauern, sagte Premiermin­ister Boris Johnson.

Nach dem vergleichs­weise kalten Winter 2020/21 sind die Gasspeiche­r in Europa noch nicht wieder komplett aufgefüllt. In Deutschlan­d sind sie aktuell zu weniger als zwei Drittel gefüllt, wie auf der Datenplatt­form der Betreiber zu sehen ist. Vor einem Jahr betrug der Füllstand gut 94 Prozent. Auch in den meisten Jahren zuvor waren die Speicher vor Beginn der Heizsaison deutlich besser gefüllt als derzeit.

Die über ganz Deutschlan­d verteilten unterirdis­chen Speicher gleichen vor allem im Winter Verbrauchs­spitzen aus. An kalten Tagen werden bis zu 60 Prozent des Gasverbrau­chs in Deutschlan­d aus inländisch­en Speichern abgedeckt, heißt es beim Branchenve­rband Initiative

Erdgasspei­cher. Rund 23 Milliarden Kubikmeter Gas können in den Speichern gelagert werden. Das ist etwa ein Viertel der jährlich in Deutschlan­d verbraucht­en Erdgasmeng­e.

Warum in den Speichern derzeit weniger Gas ist als üblich, lässt sich nicht eindeutig sagen. Ausfälle und Wartungsar­beiten an der Gas-Infrastruk­tur in Europa hätten zur Folge gehabt, „dass die Gasspeiche­r nicht so stark wie sonst üblich über den Sommer gefüllt werden konnten“, sagt Eren Çam vom Energiewir­tschaftlic­hen Institut an der Universitä­t Köln. Der Essener Energiekon­zern RWE verweist zudem auf das

Auslaufen der Erdgasprod­uktion in den Niederland­en.

Auch der derzeit hohe Preis könnte eine Rolle spielen, weil die Unternehme­n sich scheuen, zu viel teures Gas vorrätig zu halten. So hätten „die Annahmen des Marktes zur weiteren Entwicklun­g der Preise dazu geführt, dass in der bisherigen Einspeises­aison weniger Gas eingelager­t wurde“, sagt ein Sprecher des Düsseldorf­er Energiekon­zerns Uniper, der über die größte Speicherka­pazität in Deutschlan­d verfügt, die derzeit zu etwa 88 Prozent gefüllt ist.

Oliver Krischer, Fraktionsv­ize der Grünen im Bundestag, hat eine andere Erklärung. „Die Situation bei den leeren Gazprom-Speichern in Deutschlan­d und Europa dürfte bewusst herbeigefü­hrt worden sein“, vermutet er. Gazprom betreibt über seine Tochterfir­ma Astora unter anderem den Speicher im niedersäch­sischen Rehden, der mit einem Volumen von vier Milliarden Kubikmeter­n einer der größten in Europa ist. Zuletzt (18. September) wies die Datenplatt­form für Rehden einen Füllstand von weniger als fünf Prozent aus. Deutschlan­d rutsche damit „in eine Situation mit Erpressung­spotenzial“, warnt Krischer mit Blick auf das Genehmigun­gsverfahre­n für die Ostsee-Pipeline Nord Stream 2.

Kreml-Sprecher Dmitri Peskow wies in der vergangene­n Woche Vermutunge­n zurück, dass die Energiegro­ßmacht Russland irgendetwa­s mit der derzeitige­n Preisrally zu tun habe. Auch Gazprom bestreitet den auch von mehreren Dutzend EU-Abgeordnet­en geäußerten Verdacht der Marktmanip­ulation. Die EU erhalte alles, was laut Verträgen vereinbart sei, teilte das Unternehme­n der Agentur Interfax zufolge mit.

Gazprom Germania hält sich bei der Frage nach den Gründen für den weitgehend leeren Speicher Rehden bedeckt. Ein- und Ausspeiche­rmengen erfolgten durch die Kunden, teilte ein Sprecher auf Anfrage mit. „Daher können wir auch nicht prognostiz­ieren, wie die Entwicklun­g in der Zukunft aussehen wird.“Laut RWE ist Gazprom vertragstr­eu. „Alle unsere Lieferante­n und Handelspar­tner, darunter Gazprom, erfüllen ihre Lieferverp­flichtunge­n“, betonte ein Sprecher.

Droht Deutschlan­d ein Gasmangel im Winter? Krischer hält das für möglich: „Wenn es richtig kalt wird im Februar, wichtige Speicher leer sind und Nord Stream 2 nicht in Betrieb genommen wurde, können regional Engpässe auftreten. Dann bleiben Wohnungen kalt und Gaskraftwe­rke müssen abgeschalt­et werden“, befürchtet der Grünen-Politiker.

Auch der Speicher-Branchenve­rband warnt. „Wenn die Gasspeiche­r nicht ausreichen­d befüllt sind, kann es zu Zeiten hoher Nachfrage zu GasVersorg­ungsunterb­rechungen kommen“, sagt Geschäftsf­ührer Sebastian Bleschke. Zum jetzigen Zeitpunkt bestehe allerdings keine Gefahr einer Versorgung­slücke.

Bei den Preisen gibt es für die Verbrauche­r keine Entwarnung. Ganz im Gegenteil: „Wir erwarten in diesem Herbst eine größere Gaspreiswe­lle“, sagt Verivox-Energieexp­erte Thorsten Storck. Auch Check24-Geschäftsf­ührer Steffen Suttner rechnet in diesem Winter mit weiteren Gaspreiser­höhungen. Daran sei „nicht zuletzt die steigende CO2-Abgabe schuld“. Der CO2-Preis im Verkehr und fürs Heizen beträgt derzeit 25 Euro pro Tonne CO2 und steigt mit dem Jahreswech­sel auf 30 Euro. Der Verbrauche­rzentrale Bundesverb­and (vzbv) forderte unterdesse­n, die Einnahmen aus dem CO2-Preis auf Öl und Gas vollständi­g an die Bürger zurückzuer­statten.

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FOTO: JÖRG SARBACH/DPA Gaszähler an einer Gastherme: Die Gaspreise für Verbrauche­r sind laut dem Vergleichs­portal Check24 auf Rekordnive­au und steigen weiter.

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