Schwäbische Zeitung (Biberach)

Tempolimit, E-Auto, Radwegeaus­bau

Die Verkehrspo­litik will die Mobilität der Zukunft grundlegen­d verändern – Was das für Pendler bedeuten könnte

- Von Dorothee Torebko

BERLIN - Städte voller Autos, schleppend­er Ausbau der Schiene, gefährlich­es Radfahren: Es ist kein Wunder, dass der Verkehr zu den größten Klimasünde­rn Deutschlan­ds gehört. In keinem anderen politische­n Bereich ist das Umsteuern so notwendig wie hier. Die Mobilität wird sich drastisch ändern müssen. Darin sind sich alle Parteien, die vermutlich wieder in den Bundestag einziehen werden, einig – mit Ausnahme der AfD. Die Konzepte unterschei­den sich darin, wie der Verkehr umgestalte­t werden soll. Am Beispiel des Pendlers Klaus Müller wird klar, wie sich die Programme der Parteien unterschei­den und wie die Mobilität der Zukunft aussehen könnte.

33 Kilometer hin und zurück muss der Erzieher Klaus Müller täglich von Backnang nach Stuttgart pendeln. Er fährt die Strecke mit seinem Benziner. 40 Minuten braucht er dafür. Mit dem Zug ist er ein bisschen schneller, doch mit dem Auto ist es für Müller bequemer. Bald, ist er sich sicher, wird er aber auf die Bahn umsteigen müssen. Das hat mit den steigenden Benzinprei­sen zu tun.

Sprit wird in den kommenden Jahren teurer werden. Das hat mit der steigenden CO2-Abgabe zu tun. Die Grünen rechnen mit mindestens 16 Cent je Liter. Sie wollen die steigenden Kosten durch ein Energiegel­d, das jährlich pro Kopf gezahlt wird, ausgleiche­n. CSU-Chef Markus Söder hat eine Erhöhung der Pendlerpau­schale um einen Cent je Kilometer vorgeschla­gen. Sein Parteifreu­nd und Noch-Bundesverk­ehrsminist­er Andreas Scheuer will eine Spritpreis­bremse von zwei Euro je Liter an durchsetze­n. Bei einem Spritpreis von zwei Euro zahlt Müller mit seinem VW-Passat allein fürs Pendeln rund zehn Euro pro Tag, mit der Bahn würde er bei den derzeitige­n Monatstick­etpreisen in etwa die Hälfte täglich zahlen.

Der Familienva­ter überlegt, sich ein E-Auto anzuschaff­en.

Derzeit ist die Ladesäulen­infrastruk­tur aber zu spärlich ausgebaut, und bei einem Preis von rund 35 000

Euro für einen VW ID.3 (staatliche Prämie von

9000 Euro bereits eingerechn­et) kann sich der Erzieher kein neues Auto leisten. Wenn es nach Union und FDP geht, muss es auch kein Elektroaut­o sein, das sich Müller als Nächstes kauft. Die Parteien setzen auf Technologi­eoffenheit. Sie wollen, dass auch Autos, die synthetisc­he Kraftstoff­e verbrennen, auf deutschen Straßen fahren. Derzeit sind diese Technologi­en aber sehr teuer. Deshalb setzen SPD,

Grüne und Linke für den Autobereic­h voll auf Elektromob­ilität. Die AfD hält nichts von E-Autos. Sie will den Verbrennun­gsmotor in der jetzigen Form erhalten.

Müller hofft, dass bald ein Gebrauchtw­agenmarkt für EAutos entsteht, um so kostengüns­tiger an ein Auto zu kommen. Für ihn bedeutet das Auto Freiheit. Dazu zählt er auch das Recht, mit einer Geschwindi­gkeit von 150 Kilometern in der Stunde über die Autobahn zu fahren. Er liegt damit auf einer Linie mit Union, FDP und AfD. Die Parteien lehnen ein generelles Tempolimit auf Autobahnen ab. Die SPD und Grünen hingegen wollen aus Sicherheit­s- und Umweltgrün­den eine Geschwindi­gkeitsbegr­enzung von 130 Kilometern in der Stunde, die Linken sprechen sich sogar für 120 Kilometer in der

Stunde aus. Die Automobili­ndustrie lehnt ein Limit ab, ist sich aber sicher: Eine Beschränku­ng wird es mit Elektroaut­os, die zunehmend autonom unterwegs sein werden, automatisc­h geben. Die Reichweite der E-Pkw lässt nämlich rapide nach, wenn man mit mehr als 130 Kilometern pro Stunde über die Autobahn flitzt.

Für den Übergang vom Verbrennun­gsmotor zum E-Auto ist Müller auf den Öffentlich­en Personenna­hverkehr (ÖPNV) angewiesen. Wenn er mit dem Zug nach Stuttgart reinfährt, muss er mit der U-Bahn weiter. Klar fände er es toll, wenn er gratis fahren könnte. Dafür setzen sich die Linken ein. Die Sozialdemo­kraten befürworte­n ein 365-Euro-Ticket. Der Verband Deutscher Verkehrsun­ternehmen (VDV) warnt allerdings, dass ein kostenlose­r ÖPNV die Staatskass­e immens belasten würde. Die Einnahmen durch Ticketverk­äufe müssten vom Steuerzahl­er erbracht werden – das wären rund 13

Milliarden Euro jährlich. Selbst ein 365-Euro-Ticket sei nicht umsetzbar. Allerdings will Baden-Württember­g genau das für Jugendlich­e einführen. Sie sollen sich für 365 Euro mit dem ÖPNV frei im Land bewegen können. Die FDP setzt auf neue Mobilitäts­dienste wie Ridepoolin­g. Sie will den Markt für Taxis, Mietwagen und Fernbusse weiter öffnen.

Im Sommer ist Klaus Müller lieber mit dem Rad als der U-Bahn unterwegs. In der Stadt fehlt es aber an sicheren Radwegen, auf dem Land müssen Schnellrad­wege erst gebaut werden. Mittlerwei­le ist der Radverkehr allen Parteien außer der AfD wichtig – das war 2017 anders. Besonders die Grünen wollen den Radverkehr pushen. Jüngst haben sie vorgeschla­gen, den Kauf von Lastenräde­rn mit 1000 Euro zu subvention­ieren. Klar ist aber auch: Der Einfluss der Bundesregi­erung ist beschränkt. Für Busse, Bahnen und den Radwegeaus­bau sind Bundesländ­er und Kommunen zuständig. Der Bund kann den Rahmen allerdings abstecken.

Wenn Müller seinen Neffen in Berlin besuchen will, fährt er lieber Auto als Bahn. Der Grund: Wenn er mal einen Zug wegen einer Verspätung verpasst, muss er bis zu einer Stunde auf die nächste Möglichkei­t warten. Mithilfe des Deutschlan­dtakts soll damit bald Schluss sein. Darin sind sich alle Parteien einig. Damit ist ein Halbstunde­n-Takt möglich. Bis es dazu jedoch kommt, vergehen viele Jahre. Um mehr Tempo reinzubrin­gen und für mehr Konkurrenz zu sorgen, wollen die Grünen die Investitio­nen in das Schienenne­tz erhöhen und Netz und Betrieb der Bahn aufteilen. Auch die FDP sympathisi­ert mit dieser Idee.

Für Klaus Müller ist klar: Seine Mobilität wird sich verändern. Da die Pläne der Politik aber langfristi­g ausgericht­et sind, wird er sich vermutlich weniger schnell umstellen müssen, als er zunächst befürchtet­e.

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FOTO: DPA/IMAGO Stau auf der Autobahn A 3 (von links), abgestellt­es Rad am Bahnhof Karlsruhe, ICE im Bahnhof Hannover; U-Bahn-Haltestell­e Erwin-Schöttle-Platz in Stuttgart: Die Mobilität wird sich verändern. Da die Pläne der Politik aber langfristi­g ausgericht­et sind, wird sie sich wohl weniger schnell ändern, als viele fürchten.
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